Am 8. und 9. Februar 2019 fand in Köln erstmals ein internationaler Workshop „Dominikanerstudien“ statt, um den BearbeiterInnen laufender Dissertations- und Habilitationsprojekte, die sich mit dem Dominikanerorden und Aspekten seiner Geschichte befassen, ein Forum zum Austausch und zur Vernetzung zu bieten. Zu dem Workshop hatte das Institut zur Erforschung der Geschichte des Dominikanerordens im deutschen Sprachraum (P. Elias H. Füllenbach O.P. / Prof. Dr. Klaus-Bernward Springer) in Trägerschaft der deutschen Dominikanerprovinz Teutonia gemeinsam mit dem Regensburger DFG-Graduiertenkolleg „Metropolität in der Vormoderne“ (Prof. Dr. Jörg Oberste) und dem Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte des Historischen Instituts an der Universität zu Köln (Prof. Dr. Sabine von Heusinger) eingeladen. Von den Veranstaltern, die sowohl auf transdisziplinäre Impulse als auch auf komparative Ansätze der Ordensforschung Wert legten, waren im Vorfeld elf Projekte ausgewählt worden, die auf dem Workshop vorgestellt und diskutiert wurden. Einige interessierte Promovierende nahmen ebenfalls teil.
Nach der Begrüßung durch den Prior des Kölner Dominikanerklosters Heilig Kreuz, P. David Kammler O.P., und die Veranstalter referierte Dr. Cornelia Linde (Deutsches Historisches Institut London) aus ihrem Habilitationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Die Dominikaner und die Universität Oxford, 1221-1538“ über Die Bedeutung des Bildungsstandorts Oxford für die Dominikanerprovinz Anglia und den Orden. Da die 1217/18 begründete Studienmöglichkeit der Dominikaner in Paris überlastet war, wurden 1248 vier Generalstudien, darunter Oxford, eröffnet, an die jede Ordensprovinz Studenten entsenden konnte. Der Konvent in Oxford war bereits vorher ein wichtiges, mit der Universität verbundenes Studienzentrum der englischen Provinz gewesen, die auch nach der Errichtung des Generalstudiums der Ausbildung ihrer eigenen Provinzelite verpflichtet blieb. In der Folgezeit kam es deshalb zu erheblichen Konflikten mit der Ordensleitung (1260/61 Strafversetzung des englischen Provinzials Simon von Hinton nach Köln; 1357 die Vorschrift, „Ausländer“ bei Promotionen und Dozenturen nicht zu benachteiligen). Trotz dieser teils drastischen Maßnahmen und der prinzipiell internationalen Offenheit blieb Oxford ein protektionistisches, überwiegend von angelsächsischen Regenten und Dozenten geleitetes Generalstudium, das sich weitgehender Autonomie erfreute.
Die an der Universität Freiburg promovierende Luxemburgerin Sarah Mammola stellte ihr Dissertationsprojekt Die Freiburger Dominikaner im späten Mittelalter vor. Für den Untersuchungszeitraum von ca. 1233-1378 ist eine weit ausgreifende Fallstudie über die lokale Einwurzelung des Freiburger Konventes und seine überregionalen Verbindungen geplant. Die lokal-regionalen, provinzintern-reichsweiten und international-ordensweiten Bezüge reichen von den vier Frauenklöstern vor Ort bis zu Papst und Kaiser. Es geht um eigene wie empfangene Impulse der Predigerbrüder, aber auch um Schwierigkeiten und Versagen und deren Evaluation. Dabei werden nicht edierte Quellen erschlossen.
Ein weiteres spannendes Promotionsvorhaben beschrieb Adrian Kammerer aus Köln. Er widmet sich der sehr vernachlässigten Geschichte des dominikanischen Drittordens und seiner Verbreitung nördlich der Alpen: Frauengemeinschaften und die Annahme der dominikanischen Drittordensregel in der Teutonia. Diese Drittordensregel gab es, wie die neuere Forschung herausgearbeitet hat, nicht schon 1285 oder 1286, sondern erst mit der päpstlichen Approbation 1405. Also sind nicht nur etliche Bezeichnungen von Personen inklusive Heiligen wie von Konventen aus der Zeit vor 1405 als Teil des Dritten Ordens inkorrekt, sondern das Verständnis der Geschichte des Dritten Ordens ist auf eine neue historische Basis zu stellen. Im Gegensatz zu Italien fehlen für den deutschsprachigen Raum Untersuchungen zu den Konventen fast völlig. Die Ergebnisse von Gender Studies aufnehmende Dissertation widmet sich dem Erklärungsbedarf für die bislang als dem Dritten Orden zugehörig angesehenen Personen und Kommunitäten wie der Entstehung und Entwicklung der (weiblichen) Gemeinschaften des Dritten Ordens und ihren Kontexten in der deutschen Ordensprovinz.
Claudia Sutter aus St. Gallen beschrieb Besitzverwaltung von Dominikanerinnenklöstern am Beispiel von St. Katharinen im schweizerischen St. Gallen. Behandelt werden vor allem die zweiten Hälfte des 15. und das beginnende 16. Jahrhundert der nie dem Orden inkorporierten, im Untersuchungszeitraum streng observanten Kommunität. Wirtschaftsgeschichte ist eine vernachlässigte Komponente nicht nur im Bereich Orts- und Ordens- wie Frauengeschichte, durch sie kann man erfahren, ob der Konvent nach der Observanzeinführung seinen Besitz effizienter verwaltete, ob und wie sich Stiftungen mehrten und Förderkreise im Vergleich zu vorher änderten. Von besonderem Interesse ist das in den 1470er Jahren begonnene und bis zur Reformation 1528/29 geführte Urbar des Klosters von 109 Folios, für das die Autorin eine digitale Edition erstellt. Es geht einerseits um Fragen der Verwaltung und Wirtschaftsführung, ferner auch Buchführung und Aufbewahrung des pragmatischen Schriftguts, einschlägige Ämter und Kompetenzen, aber auch um neue Fragen und Möglichkeiten, die sich durch die Erstellung einer digitalen Edition ergeben und die Forschung bereichern können.
Bei einer Besichtigung der früheren Stiftskirche und heutigen Dominikanerkirche St. Andreas in Köln konnten einige aus dem früheren Dominikanerkloster Hl. Kreuz bei der Säkularisation übereignete Kunstgegenstände vorgestellt werden. Darauf beschloss ein gemeinsames Abendessen in einem Kölner Brauhaus den Tag.
Am nächsten Morgen eröffnete Kristin Hoefener aus Paris den zweiten Tag des Workshops aus einer musikwissenschaftlichen Perspektive: Überlieferung und Rezeption des Ursula-Kultes bei den Dominikanern zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert. Einflüsse dominikanisch-hagiographischer Texte auf das Entstehen von Ursula-Offizien zu Ehren der Kölner Jungfrauen. Als der Dominikanerorden entstand, war der Ursula-Kult längst etabliert. Die Ursula-Offizien empfingen jedoch durch die Legenda aurea des Dominikaners Jakobus de Voragine und die Werke anderer Dominikaner wie Vinzenz von Beauvais neue Impulse. Zitate aus den neuen Legenden wurden zum Teil wörtlich in Antiphonen des Offiziums oder als Lesungstexte übernommen. Dies führte zu einer Intensivierung des Kultes.
Aus kunstgeschichtlicher Perspektive beleuchtete die am New Yorker Metropolitan Museum arbeitende und ihre Dissertation in Cambridge (UK) erstellende Rumänin Krisztina Ilko (New York) das Thema One Saint – Two Orders: St Augustine, the Dominicans and the Augustinian Friars. Auf der Augustinusregel fußen beide Orden. Die Augustiner-Eremiten versuchten, den Heiligen als ihren Gründer zu etablieren, und stellten ihn daher in ihrem Ordensgewand dar. Dies geschah besonders mit Blick auf die beim Zweiten Konzil vom Lyon geforderte Aufhebung und nur „auf Bewährung“ zugestandene Weiterexistenz des 1256 aus verschiedenen Eremiten-Verbänden gegründeten Ordens. Die Dominikaner hingegen präsentierten Augustinus häufig als Bischof (möglicherweise weil die Predigt lange ein bischöfliches Recht war) oder zeigten ihn im Kampf gegen Häretiker. Demonstriert wurde anschaulich, dass die Verehrung des Augustinus in ordensspezifischer Weise und von entsprechend verschiedenen Blickwinkeln her erfolgte.
Der Frage nach Identität und Vereinnahmung schloss sich Lena Marschall (Hamburg) mit ihrem Thema an: Ordensbäume im Dienst dominikanischer Selbstdarstellung. Die ab dem 15. Jahrhundert nachweisbaren Ordensstammbäume zeigen in typologischer Parallelität zur Wurzel Jesse die aus Dominikus hervorgehende und oft in Maria mündende Entfaltung des Ordens in seinen Heiligen, Päpsten und herausragenden Theologen als „Früchten“ am „Weinstock des Herrn“. Der Referentin ging es vor allem um die genauere Eruierung der Vorgeschichte. Hier ist auf das franziskanische, schon von Bonaventura benutzte Vorbild der Lebensbäume einzugehen: Von dem am Kreuz als Lebensbaum dargestellten Christus und / oder dem am Lebensbaum befindlichen „alter Christus“ Franz von Assisi gehen zahlreiche Zweige aus, die die heilsgeschichtlich interpretierte Entfaltung des Ordens in herausragenden Mitgliedern zeigen. Offenbar beeinflussten die Franziskaner die dominikanische Ikonographie, wie Marschall an einer dominikanischen Lebensbaumdarstellung aus Florenz deutlich machte. Im Gegenzug nahmen die Franziskaner das Motiv des Ordensbaumes auf.
Die Frage des Umgangs mit Mystik im Kontext der Aufklärung, auch zwischen Eliten- und Volksglauben, nahm Elisabeth Fischer (Hamburg) auf. Ihr ging es um Prüfung von Heiligkeit und Umgang mit dem Übernatürlichen im Dominikanerorden im 18. Jahrhundert am Beispiel der stigmatisierten Bamberger Laienschwester Maria Columba Schonath OP (1730-1787). Sie war eine der zahlreichen mystisch begabten, visionären bzw. auch stigmatisierten Klosterfrauen im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts. Aspekte aus vielen Bereichen, Gendergeschichte, Geschichte der Körperlichkeit, Ordens- und Kirchengeschichte ermöglichten einen facettenreichen multiperspektivischen Einblick. Vornehmlich ging es um die Unterscheidung der Geister in einer Zeit, als man der Überzeugung war, dass Gott und Teufel direkt in die Welt eingreifen. Doch war der Kontakt mit dem Übernatürlichen nicht eindeutig, sondern von Ambiguität geprägt: Handelte es sich bei mystischen Erfahrungen um Gottesbegegnung, Hysterie oder etwas anderes? Unklarheit herrschte auch über die Zeichenhaftigkeit klar erkennbarer körperlicher Symptome wie der Stigmatisation. Aufklärer einschließlich des zuständigen Bischofs legten auf natürliche Erklärungen Wert. Es ist also eine komplizierte und komplexe analytische Thematik und um diesen Evaluationsprozess ging es der Referentin. Sie zeichnete u.a. die Verwissenschaftlichung des Diskurses in kirchlichen Behörden nach etwa in Techniken der Befragung oder der Nutzung empirischer Möglichkeiten wie ihre Verrechtlichung (Kodifizierung von Wundern und Tugendgraden) in Heiligsprechungsverfahren. Erscheinungsweisen des Übernatürlichen waren vielfältig – empirisch (z.B. medizinisch), theologisch und historisch – zu untersuchen.
Die beiden Ungarn Dániel Siptár (Budapest) und Ferenc Veress (Sopron) boten aus historischer wie kunstgeschichtlicher Sicht Einblick auf Dominicans in Hungary in the Early Modern Period (1638-1788). Im dreigeteilten, aber durch (Rück-) Eroberungen schließlich dominierenden königlich-habsburgischen Ungarn (neben dem zum ottomanischen Reich gehörenden Ungarn und Siebenbürgen) waren infolge der Reformation wie der muslimischen Siege die Dominikaner zu Ende des 16. Jahrhunderts untergegangen und die Provinz 1611 aufgelöst worden. Mit Hilfe der steyrisch-kärntischen Kongregation bzw. der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner wurden ab 1638 sieben Konvente und Häuser in Ungarn gegründet und die ungarische Ordensprovinz (wieder-) mit Konventen sowohl in Ungarn wie im Habsburgerreich errichtet. Da das deutschspachige Element zahlenmäßig überwog, wirkten die Dominikaner häufig in Ungarn in der Deutschenseelsorge. Eine wichtige Facette dieses Überblicks innerhalb einer häufig noch vernachlässigten europäischen Perspektive bot die kunsthistorische Darstellung. Hier wurden die im Barockstil errichteten Kirchen und Konvente betrachtet, die sich häufiger an der barocken Wiener Dominikanerkirche orientierten. Denn auch wenn Dominikaner an zwei früheren Wirkungsorten siedelten, waren sie auf Neubauten angewiesen.
Dr. Igor Sosa Mayor (Valladolid) erläuterte Kohäsionsmechanismen des Ordens in der Frühen Neuzeit (ca. 1550 – ca. 1750): Generalmeister und Historiographie. Er untersucht die vielen historiographischen Arbeiten von Dominikanern in einem Zeitalter, in dem der Orden außerhalb Europas expandierte und die Geschichtswissenschaft sowohl allgemein als auch im Orden einen Aufschwung nahm. Da die „demokratischen“ Elemente des Ordens wie das Generalkapitel im Zeitalter des Absolutismus geschwächt waren, zugleich absolutistische Herrscher auf Einordnung in ihr Regiment setzten und überregionale Ordensstrukturen beschränkten, war es ein Anliegen der Ordensmeister – darunter die Ordenshistoriker Ripoll und Bremond – den Zusammenhalt des Ordens zu fördern und Spaltung zu vermeiden. Dem diente eine Art zentralisierte Historiographie des Ordens auch als Mittel gemeinsamer Identitätsbildung. Dies erfolgte in vielen Formen: die Edition der päpstlichen Vergünstigungen (Bullarium Ordinis Praedicatorum), Heiligenviten und Zusammenstellungen der bedeutenden Persönlichkeiten des Ordens als besonders identitätsstiftend, ebenso Neu-Herausgabe ihrer Werke, ordensgeschichtliche Arbeiten und vieles mehr.
Die rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Universitäten in Europa und den USA sorgten nicht nur mit der Bandbreite von Themen, sondern vor allem durch rege und anregende fächerübergreifende Diskussion für die Herausarbeitung interdisziplinär relevanter Impulse. Dies ermöglichte Vertiefung wie Kritik fachspezifischer Informationen. Nicht zuletzt sorgte die positive Resonanz dafür, dass die Veranstalter beschlossen, künftig möglichst regelmäßig einen Workshop „Dominikanerstudien“ anzubieten.
Prof. Dr. Klaus-Bernward Springer, Köln
Freitag, den 8. Februar 2019
Samstag, den 9. Februar 2019