Die 19. internationale Jahrestagung des Forum Mittelalter widmete sich mit der multiperspektivischen und epochenübergreifenden Erschließung von vormodernen Stadttoren und Stadtmauern einem Forschungsdesiderat: Während der Blick bisher vorwiegend auf die Abwehr- und Schutzfunktion von Stadtbefestigungen und bauforscherliche Aspekte gerichtet war, beschäftigte sich das interdisziplinär zusammengesetzten Programm mit der Einbindung, Zeichenfunktion und agency von Toren und Mauern im Stadtraum der Antike, des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Beteiligt waren nationale und internationale Referent:innen aus der Klassischen Archäologie, der Alten und Mittelalterlichen Geschichte, der Kunst- und Architekturgeschichte, der Byzantinistik und der Liturgiewissenschaft. Die Diskussion profitierte zudem von neuen Fallstudien der Mitarbeiter und PIs im Regensburger GRK „Metropolität in der Vormoderne“. Die Organisation lag in den Händen von Prof. Dr. Albert Dietl (Kunstgeschichte | Bildkünste des Mittelalters, UR), Prof. Dr. Dirk Steuernagel (Klassische Archäologie, UR) und Dr. Lorenzo Cigaina (Postdoktorand im GRK „Metropolität in der Vormoderne“, ebenfalls Klassische Archäologie).
Stadttor des antiken Nicäa (heute İznik/Türkei), aufgenommen während der Türkei-Exkursion des GRK "Metropolität in der Vormoderne" im Okt. 2023 (Foto: L. Cigaina)
Im Abendvortrag am 14.11. im Diözesanzentrum Obermünster verfolgte Prof. Dr. Harald Buchinger (Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft) die Verwendung und Bedeutung des Psalms 23(24) „Hebt, ihr Häupter, eure Tore“ durch die Liturgie- und Theologiegeschichte: Der kryptische Appell wurde früh als Interpretament der Himmelfahrt Christi verwendet, diente aber auch der narrativen Entfaltung des Abstiegs Jesu in die Unterwelt, so etwa im apokryphen Nicodemusevangelium. Im späten Mittelalter unterlegt der Psalm den liturgisch gefeierten Einzug Jesu nach Jerusalem am Palmsonntag. Die Erschließung der theologischen Symbolik von Toren und Einzügen stellte das Stadttor in ein Bezugsnetz aus überzeitlich wirksamen Denotationen, die auch für die Sektionsvorträge leitend sein sollten.
Prof. Dr. Harald Buchinger beim Abendvortrag zur Jahrestagung im Diözesanzentrum (Foto: A. Cortese)
Die Beiträge des Tagungsprogramms überspannten einen Zeitrahmen vom 7. Jh. v. Chr. bis um 1800 – Schwerpunkte lagen auf der Identitätstiftung, Signalwirkung und Symbolik von Stadttoren in der römischen Welt, ihrer Kommunikations- und Schwellenfunktion in politischen und religiösen Ritualen des Mittelalters sowie der Rolle von Stadtbefestigungen in Mythos, Literatur und frühneuzeitlicher Architekturtheorie. Eindrücklich veranschaulichte Prof. Dr. Albert Dietl (Kunstgeschichte des Mittelalters, UR) in seinem Vortrag die zentrale These der Tagung, Stadttore seien „besondere Verdichtungsräume städtischer Identität und geschichtlicher Kontinuität“: Die vorgestellten Stadttorinschriften italienischer Kommunen des 12. bis 14. Jahrhunderts appellierten an die innerstädtische Eintracht der Bürger, dienten als epigraphische „Leistungszertifikate“ der Erbauer und riefen die rühmenden Epitheta des literarischen Städtelobs sowie ideale Stadtleitbilder wie Rom oder das Himmlische Jerusalem auf.
So kann die Tagungsinitiative zu vormodernen Stadttoren und Stadtmauern auch als ein Brennglas der perspektivreichen, interdisziplinär anschlussfähigen kunsthistorischen Forschungen Albert Dietls gelten, der zum Ende des Wintersemesters 2024/25 aus dem akademischen Betrieb ausscheidet - unseren Forschungseinheiten bleibt er hoffentlich als Ideengeber und prägender Mediävist noch lange erhalten.
Prof. Dr. Albert Dietl am 15.11.24 beim Vortrag "Die Stimme der Stadt. Stadttorinschriften in nord- und mittelitalienischen Kommunen des Mittelalters"
(Foto: A. Cortese)
An der diesjährigen Konferenz der European Association of Biblical Studies (EABS) nahmen neben Dr. Arabella Cortese, die mit Kolleginnen der Universität Graz und der LMU München zusammen die Session „Jews, Christians, and the Materiality of Mortuary Rituals in Late Antiquity“ organisiert hatte, auch die Graduierten Marina Pizzi und Adrian Linz je mit einem Beitrag teil.
Die mehrtägige Konferenz in Sofia (BUL) bot nicht nur über Führungen am Montag, den 15.07.2024, die Möglichkeit den Tagungsort und seine Geschichte näher kennen zu lernen, sondern auch mit zahlreichen Forscherinnen und Forschern aus den Bereichen biblische Studien, Theologie, Alte Geschichte, Patristik, klassische und hebräische Philologie und Studien des Nahen Ostens aus aller Welt in den Austausch zu kommen. Die Eröffnung am Montagabend in den Räumlichkeiten der St. Kliment Ohridski Univeristät Sofia war herzlich und – nicht zuletzt wegen der 38 Grad Außentemperatur, die die gesamte Tagung überschatten – „warm“.
Regionales Geschichtsmuseum Sofia
Dr. Arabella Cortese hatte mit ihren Kolleginnen Dr. Sarah Hollaender (Graz) und Daniela Coppola (München) mit dem Thema der jüdischen und christlichen Materialität der Begräbnisrituale in der Spätantike ein breites Spektrum an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Archäologie, Theologie und Alten Geschichte geladen, die in ihren bereichernden Vorträgen und Diskussionen sich den Thema multiperspektivisch annahmen und Fallbeispiele aus dem gesamten Römischen Reich präsentierten. Neben aktuellen Grabungsberichten aus Israel standen u.a. Besprechungen von jüdischen und christlichen Grabinschriften und Funeralkunst.
Adrian Linz gab auf Basis der stadtrömischen Katakombenmalerei und Sarkophagplastik Einblicke in das christliche Totenmahl und dessen mögliche Hintergründe und Implikationen. Er ordnete dieses in die griechisch-römischen Praktiken ein und konnte herausstellen, inwiefern dieses Mahl überhaupt als ein Ritual zu verstehen ist. Diesbezüglich entscheidend ist sicherlich auch die offensichtlich beabsichtigte Uneindeutigkeit der Bilder, sodass der Betrachterin/dem Betrachter stets mehrere Interpretationsmöglichkeiten offenstanden: Vom himmlischen Mahl über die Eucharistie bis hin zum Gedenken an die Verstorbenen.
Vortrag von Adrian Linz in Sofia
Marina Pizzi wandte sich in ihrem Vortrag den Darstellungen von Personengruppen und deren rituellen Bedeutung in der Grabmalerei des Balkans zu. Sie konnte mit Hilfe von Vergleichen aus dem gesamten Mittelmeerraum auf einer breiten Basis von Quellen archäologischer und literarischer Provenienz herausarbeiten, inwiefern die Personen als Dienerinnen und Diener bzw. Teilnehmer an einer Grabprozession zu verstehen sind. Dadurch war es ihr möglich zu zeigen, wie die bestattete Person sich im Diesseits präsentieren wollte und welchen Status sie für das Jenseits ersuchte.
Insgesamt kann man durch die zahlreichen Eindrücke und den fruchtbaren Austausch die Konferenz als einen vollen Erfolg verbuchen.
Der Vortrag von Marina Pizzi in Sofia
(Bericht: A. Linz, Fotos: A. Cortese)
Vom 1. bis 4. Juli nahmen Arabella Cortese und Sophia Wagner am International Medieval Congress in Leeds teil, der in diesem Jahr das Thema „Krise“ zum Schwerpunkt hatte. Als größte interdisziplinäre mediävistische Konferenz Europas stellt der IMC ein wertvolles Forum des wissenschaftlichen und kollegialen Austauschs dar.
Am 3. Juli präsentierte Sophia Wagner in einem von der niederländischen Stiftung Cartusiana organisierten Panel mit dem Titel „Causing a Commotion: Carthusian Monks' Interactions with Religious Women in the Later Middle Ages“ einen Einblick in einen Teilbereich ihres Dissertationsprojekts. Ihr Vortrag behandelte die wirtschaftlichen und spirituellen Kontakte der Nürnberger Kartause Marienzelle mit dem nahegelegenen Klarissenkloster St. Klara im Spätmittelalter.
Arabella Cortese stellte am 4. Juli in ihrem Vortrag mit dem Titel "Venerating Saints in Times of Crisis: Urban Transformations in the Seventh-Century Byzantine Empire" ausgewählte Beispiele für die Veränderungen in Heiligenkulten am Übergang von der Antike zum Mittelalter, sichtbar in der städtischen Raumgestaltung, vor. Der Vortrag fand im Rahmen der Session “Local Perspectives on Late Ancient Crises III: Managing the Ecclesia”, organisiert von Mateusz Jakub Fafinski und Jakob Riemenschneider statt.
(Bericht: S. Wagner, Fotos: A. Cortese)
In aller Frühe brach am 21. Mai 2024 eine Exkursionsgruppe von Promovierenden und Dozierenden des Graduiertenkollegs ‚Metropolität in der Vormoderne‘ nach Nürnberg auf. Organisiert wurde die Exkursion von den beiden Nürnberg-Forscherinnen Sophia Wagner und Isabell Hesse, die die Gruppe auch vor Ort führten. Im Rahmen eines ausführlichen Stadtrundgangs mit Besuch verschiedener historischer Stätten (wie z.B. den Kirchen St. Sebald und St. Lorenz, dem Alten Rathaus und der Kaiserburg) erläuterte Isabell Hesse die Nürnberger Geschichte in Verbindung mit den metropolitanen Merkmalen der Stadt. Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung Nürnbergs von den ersten Siedlungen bis hin zur mittelalterlichen (und schließlich modernen) Metropole mit einflussreicher Stadtelite, florierendem Handwerk und Handel sowie beeindruckenden Stadtbefestigungen. Nach dem Mittagessen führte Sophia Wagner die Exkursionsgruppe durch das Germanische Nationalmuseum und stellte dabei bedeutende Objekte der Sammlung aus verschiedenen Jahrhunderten vor, darunter z.B. den Goldhut von Ezelsdorf/Buch, die Adlerfibel, den Codex Aureus und den Heiltumsschrein, in dem die politisch bedeutende Stadt die Reichskleinodien aufbewahrt hatte. Zudem bot sie einen umfassenden Überblick über das Nürnberger Kartäuserkloster, dessen Räumlichkeiten inzwischen Teil des Museums sind. Die Gruppe besichtigte u.a. Kirche, Kreuzgänge und Mönchshäuser der Kartause, während Sophia Wagner die Besonderheit eines Klosters mit eremitischer und zönobitischer Lebensweise, das dabei aber in einer Metropole gelegen war, herausstellte.
(Bericht: I. Hesse, Fotos: A. Cortese)
Nach mehrwöchiger Vorbereitung und intensiven Diskussionen bezüglich des Programms war es am 6. Februar so weit und eine kleine Gruppe Interessierter machte sich auf Spurensuche in Augsburg. Ziel der Exkursion war es die Geschichte und städtebauliche Entwicklung des römischen und mittelalterlichen Augsburgs, hinsichtlich seiner Rolle als vormoderne Metropole, näher zu studieren.
Da ein straffes Programm zu absolvieren war, wurde von Maria Whitten bereits im Zug anhand von Bildmaterialien das erste Referat zum Bronzegrabmal des 1302 verstorbenen Augsburger Bischofs Wolfhard von Roth gehalten. Dieses sticht hervor nicht nur durch die Materialwahl, sondern auch durch die präzedenzlose Art der Darstellung sowie das Vorhandensein von Künstlersignaturen – für die Entstehungszeit eine absolute Rarität.
In Augsburg angekommen ging es im Stechschritt zur Basilika St. Ulrich und Afra, jedoch mit einem kurzen Abstecher in das Schaezler-Palais, Augsburgs bedeutendstem und am besten erhaltene privaten Wohn- und Geschäftshaus des 18. Jahrhunderts mit einem nach historischen Befunden gestaltete Rokoko-Garten. Die Basilika selbst wurde der Gruppe durch Exkursionsleiter Dr. Lorenzo Cigaina nahegebracht. Herausstechend ist dabei, dass es sich um die Grablege der drei Bistums-/Stadtheiligen Sintpert, Ulrich und Afra handelt. Auch eine Auswahl früh- und hochmittelalterlicher Abtsgrabsteine finden sich in der Vorhalle, für den Metropolitätsaspekt jedoch am bedeutendsten sind einige der Kapellen. Da ist zum einen die italienische Vorbilder imitierende Simpertuskapelle mit ihren Terrakottafiguren der Apostel und Christus, zum anderen die von den Fuggern gestifteten Andreas-, Georgs- und Bartholomäuskapelle. Die Fugger als Augsburger Pendant zu den Medici sind in der Stadt und ihrer Sakraltopographie allgegenwärtig und würden den Teilnehmer*innen im Laufe des Tages noch des Öfteren begegnen.
Rokkoko-Garten und Südseite des Schaezler-Palais (©Maria Whitten)
Nach einer kurzen Stärkung ging es weiter im Hohen Dom Mariä Heimsuchung. Dort gab es eine einstündige Führung durch Herrn Rudolf Ziegler vom Dompfarramt, der der Gruppe sehr versiert und mit Leichtigkeit die unterschiedlichen baulichen Zeugnisse der verschiedenen Bauphasen nahebrachte. Besonders beeindruckend sind hierbei die frühromanischen Krypten der Doppelchoranlage, ein spätgotisches Monumentalfresko sowie die reiche Grabmallandschaft des Kreuzganges. Bei einem kurzen Besuch im Diözesanmuseum konnte auch noch die originale, aus dem 11. Jahrhundert stammende Bronzetür mit bis heute nicht eindeutig identifizierter figuraler Ornamentik besichtigt werden.
Bronzeportal aus dem frühen 11. Jht. (©Maria Whitten)
Der Nachmittag wurde schließlich den frühen Wurzeln von Augsburg gewidmet. Das römische Museum bildete die perfekte Gelegenheit Näheres zur römischen Vergangenheit der Stadt zu erkunden. Leda-Sophie Moors hielt zunächst einen Vortrag über die allgemeine Geschichte der römische Stadtanlage. Sie wurde im Jahre 15 v. Chr. als Militärlager errichtet und erhielt den Namen Augusta Vindelicum (Vindelicorum). Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich der Ort zu einem der wichtigsten Handelszentren des Römischen Reichs, innerhalb der Provinz Raetia. Seine günstige Lage an der Via Claudia Augusta und den Flüssen Wertach und Lech steuerten dazu bei, dass Augsburg an Bedeutung zunahm. Marina Pizzi ergänzte den Vortrag durch eigene Recherchen zur antiken Schiffsanlegestelle. Anhand von ausgestellten Reliefdarstellungen, die den Transport von Gütern bildlich belegten, wurde das antike Transportwesen nochmal deutlich gemacht. Am Ende führte Magdalini Valsamidou durch einige der wichtigsten Exponate des Museums.
Den Bezug zur Frühen Neuzeit stellte dann der Besuch des Rathauses her. Filip Schuffert hielt vor Ort ein Referat zur Entstehung und historischen Bedeutung dieses beeindruckenden Baues. Die Teilnehmer*innen konnten sich zudem vor Ort vom Prunk des Goldenen Saals überzeugen, einem Kulturdenkmal der Spätrenaissance. Im Augsburger Rathaus fand 1712 der Reichstag statt, da in Regensburg die Pest wütete. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde der Goldene Saal zwischen 1980 und 1996 originalgetreu rekonstruiert und zeigt nun wieder Wandmalereien mit je acht heidnischen und acht christlichen Kaisern, die sich mit ihren jeweiligen Wahlsprüchen gegenüberstehen und dabei die Überlegenheit des Christentums über das Heidentum ausdrücken. In der Mitte der eindrucksvollen Nussholzdecke mit Rund- und Ovalbildern sowie goldüberzogenen Ornamenten thront die Sapientia in Frauengestalt als wichtigste Tugend eines jeden Herrschers.
Die Runde der Exkursionsteilnehmer im Goldenen Saal im Augsburger Rathaus (©Maria Whitten)
Schlussendlich widmete sich die letzte Etappe der Exkursion der berühmten Fuggerei von Augsburg: Die älteste Sozialsiedlung der Welt. Seit über 500 Jahren leben in der von Jakob Fugger gestifteten „Stadt in der Stadt“ bedürftige katholische Augsburger*innen. Laut Stiftungsurkunde soll die Fuggerei „in ewig Zeit“ bestehen und ist damit ein Verbindungsglied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die informativ gestalteten musealen Räume zu Alltag, Bewohner und Geschichte der Fuggerei sind angereichert mit rekonstruierten Möbeln und digitalen Film- und Medienstationen, die in kurzen Clips zeigen, wie vielseitig das Wohnen in der Fuggerei war und ist. Da die Fuggerei um 18 Uhr für Besucher schließt, kam der reiche Exkursionstag zu einem Ende. Auf Wunsch wurde noch die Kirche St. Anna aufgesucht, um die dortige Fuggerkapelle zu besichtigen. Allerdings war diese bereits geschlossen und so trat die Gruppe – gesättigt von vielfältigen Eindrücken – die Rückfahrt nach Regensburg an.
In der Fuggerei (©Maria Whitten)
In Anbetracht der reichen historischen Bedeutung der Stadt Augsburg war die Exkursion nicht nur äußerst lehrreich, sondern bot zudem die Möglichkeit, Wissen zu einer vormodernen Metropole an einem konkreten Beispiel zu vertiefen.
Magdalini Valsamidou/Maria Whitten