Rückenschmerzen können die vielfältigsten Ursachen zu Grunde liegen. Häufig handelt es sich dabei um harmlose Störungen im Bereich der Muskulatur oder der Wirbelsäule im Lendenbereich, die nach wenigen Tagen durch einfache Hausmittel oder auch die Einnahme von Schmerzmitteln wieder verschwinden.
Manchmal können jedoch auch ernsthafte Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule die Ursache für Schmerzen sein. In vielen dieser Fälle sind die Bandscheiben, die knorpeligen Zwischenplatten zwischen den Wirbelkörpern, die Ursache von Beschwerden.
Bewegungssegment der Lendenwirbelsäule | Anatomisches Präparat eines Prolapses | |
Bandscheiben werden im Laufe des Lebens stark belastet. Bei jedem Bücken und Heben, ja sogar beim Sitzen, treten teilweise sehr hohe Belastungswerte im Innern der Bandscheiben auf, insbesondere in den beiden untersten Bandscheiben.
Durch die wiederholten Belastungen kommt es zur Alterung des Knorpelmaterials, aus dem die Bandscheiben aufgebaut sind, insbesondere im äußeren Ring, dem sogenannten „Anulus fibrosus“. Im hinteren Anteil des Anulus fibrosus, der durch die Wirbelsäulenkrümmung, das Hohlkreuz, besonders belastet ist, können dann Risse entstehen. Durch diese Einrisse kann Bandscheibengewebe aus dem Inneren, der sogenannte Gallertkern („Nucleus pulposus“), aus der Bandscheibe herausquellen. Je nach Größe des Risses und Menge des ausgetretenen Materials spricht man von einer Bandscheibenvorwölbung („Protrusion“) oder einem Bandscheibenvorfall („Prolaps“).
Bei der Protrusion sind die äußersten Schichten des Anulus fibrosus erhalten und hindern den Gallertkern am vollständigen Austritt aus der Bandscheibe. Die geschwächten Bandscheibenanteile wölben sich jedoch durch den Druck des Gallertkerns in Richtung des Wirbelkanals vor und können teilweise heftige Rückenschmerzen hervorrufen. Diese können sich z.B. als sogenannter Hexenschuß („Lumbago“) äußern und eine ärztliche Behandlung notwendig machen.
Beim Bandscheibenvorfall ist der Anulus fibrosus komplett eingerissen und Teile des Gallertkernes treten ungehindert aus der Bandscheibe aus. Da die Einrisse meist im hinteren Anteil der Bandscheibe liegen (dort treten Belastungsspitzen durch die Hohlkreuzbildung an der Lendenwirbelsäule auf), quetscht sich der Gallertkern in den Wirbelkanal („Spinalkanal“) hinein, in dem die zentralen Nervenbahnen zur Versorgung der Beine und auch wichtiger Organe wie Harnblase und Schließmuskel verlaufen. Da der Wirbelkanal in der Wirbelsäule rundherum im Wesentlichen knöchern begrenzt ist, können die empfindlichen Nervenbahnen dem Bandscheibenvorfall jedoch nicht ausweichen und werden durch das ausgetretene harte, knorpelige Gewebe gequetscht. Es entstehen starke Rückenschmerzen, meist mit Ausstrahlung in ein oder, selten, auch in beide Beine. Die Art der Schmerzausstrahlung (nur Oberschenkelschmerz, seitlicher Beinschmerz, Wadenschmerz) hängt davon ab, welcher Nerv durch den ausgetretenen Bandscheibenvorfall gequetscht wird.
In den meisten Fällen kann ein Bandscheibenvorfall heute ohne Operation behandelt werden.
Dem Hausarzt und dem Orthopäden stehen vielfältige Möglichkeiten der Therapie zur Verfügung. Allen diesen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie versuchen, den Nervenschmerz, der durch den Druck des Vorfalles auf den Nerv entsteht, zu bekämpfen und den Nerv unempfindlicher zu machen. In schwereren Fällen kann auch eine stationäre Behandlung zur minimal-invasiven Therapie notwendig werden. Nach einiger Zeit kommt es dann durch die Selbstheilungskräfte des Körpers zu einer Schrumpfung des Bandscheibenvorfalles und zu einer narbigen Reparatur des Einrisses in der Bandscheibe, der Druck auf den Nerven hört auf.
In einigen Fällen kann dieser Prozeß der Selbstheilung jedoch nicht abgewartet werden oder die Schmerzen des Patienten lassen sich ohne Operation nicht ausreichend lindern. Insbesondere bei Patienten, bei denen durch einen großen oder ungünstig gelegenen Bandscheibenvorfall Nerven sehr stark gequetscht werden, können Funktionsverluste eintreten. Diese Patienten haben einen z.B. einen Sensibilitätsverlust im Bein, d.h. sie spüren Berührung im Bereich der schmerzhaften Anteile des Beines nur noch dumpf oder gar nicht mehr. Wird der Nerv noch stärker geschädigt, können auch Lähmungen resultieren, z.B. kann der Fuß nicht mehr angehoben werden, die Patienten stolpern beim Gehen. Auch Störungen der Schließmuskelfunktion an Blase oder After können auftreten, evtl. auch zusammen mit akuten Lähmungen in beiden Beinen.
In all diesen Fällen wird der Hausarzt oder Orthopäde die notwendige Diagnostik, z.B. ein Kernspintomogramms („MRT“), veranlassen und den Patienten dringlich stationär vorstellen, da die Behandlung unter statiönären Bedingungen notwendig wird. Für jeden Patienten muß dann individuell festgelegt werden, ob ein minimal-invasiver Therapieversuch noch möglich ist, oder ob der Bandscheibenvorfall operativ entfernt werden muß, um den Nerv möglichst schnell zu entlasten, damit drohende oder bereits eingetretene Funktionsverluste sich vermindern lassen.
Die in unserem Haus durchgeführte Methode zur operativen Entfernung des Bandscheibenvorfalls wird Mikrodiskotomie genannt. Trotz vieler in der Presse vorgestellter Verfahren stellt die Mikrodiskotomie nach aktuellem Stand der Wissenschaft die sicherste und effektivste operative Behandlungsmöglichkeit des Bandscheibenvorfalls an der Lendenwirbelsäule dar.
Hierbei wird in Vollnarkose über einen kleinen Schnitt (ca. 3-5 cm) gezielt die Muskulatur in Höhe der betroffenen Bandscheibe von der Wirbelsäule abgeschoben. Dies geschieht schonend, z.B. erfolgen notwendige Einschnitte in die Muskulatur und die straffen Bindegewebsschichten in Richtung des Faserverlaufs. Damit soll nach Abheilung der OP-Wunde die Funktion der Rückenmuskulatur möglichst wenig durch Narbenbildung im Muskel beeinträchtigt werden. Die eigentliche Operation an der Wirbelsäule erfolgt unter Benutzung eines Operationsmikroskops durch einen kleinen Trichter, der in die präparierte Muskellücke am Rücken eingesetzt wird. Durch die Verwendung des Mikroskops (daher der Name „Mikro“-diskotomie) können auch kleinste Strukturen an der Wirbelsäule und den Nerven im Wirbelkanal erkannt und geschont werden. Das Risiko von unerwünschten Blutungen oder Verletzungen z.B. der Rückenmarkshaut oder Nerven wird somit minimiert. Insbesondere kann durch das schonende Operationsverfahren auch die Ausbildung von unerwünschten Narben im Wirbelkanal soweit wie möglich minimiert werden. Diese Narben stellen nämlich ein Risiko für später auftretende neue Schmerzen, evtl. auch wieder mit Beinausstrahlung, dar, da die Nerven im Wirbelkanal von der im Laufe der Zeit immer härter werdenden Narbe eingemauert und ebenfalls gequetscht werden können.
Nach Erreichen der Wirbelsäule wird unter Mikroskop-Sicht der Wirbelkanal durch ein kleines Fenster von ca. 1-2 qcm eröffnet. Hierzu werden Teile der weichteiligen Begrenzung des Wirbelkanals abgetragen. Je nachdem, welche Bandscheibe betroffen ist, kann auch das Abtragen von knöchernen Anteilen des Wirbelkanals notwendig werden. Ein Stabilitätsverlust der Wirbelsäule ist nach der Operation jedoch nicht zu befürchten.
Im Wirbelkanal werden dann vorsichtig die verschiedenen Nerven und auch die versorgenden Gefäße identifiziert und der gequetschte Nerv vorsichtig mit einem speziellen Haken vom Bandscheibenvorfall gelöst. Anschließend kann mit einer kleinen Zange das störende Bandscheibengewebe vollständig entfernt werden. Durch den Einriß in der Bandscheibe kann diese ausgetastet werden. Lose Anteile des Gallertkernes, die noch in der Bandscheibe liegen und drohen, ebenfalls in den Wirbelkanal zu rutschen, werden hierbei ebenfalls entfernt. Hierbei wird besonders darauf geachtet, mit den Instrumenten nicht vorne oder seitlich aus der Bandscheibe herauszurutschen, da hierbei wichtige Blutgefäße vor der Bandscheibe verletzt werden könnten. Intakte Anteile des Anulus fibrosus und des Gallertkernes bleiben erhalten, um auch nach der Operation die Funktion der Bandscheibe sicherzustellen. So soll das unnötige Auftreten von Rückenschmerzen durch eine zu starke Ausdünnung der Bandscheibe vermieden werden. Die gesamte Präparation im Wirbelkanal findet fast ausschließlich stumpf, d.h. ohne die Benutzung von Messern oder Scheren, statt, um die Gefahr von Nervenverletzungen zu minimieren. Nach Entfernen des Bandscheibenvorfalls aus dem Wirbelkanal und loser Anteile aus der Bandscheibe ist die Operation beendet.
Nach der Operation sollte der Patient einige Zeit liegen, üblicherweise bis zum nächsten Morgen, um durch das Eigengewicht des Körpers die Entstehung von schmerzhaften Blutergüssen am Rücken zu verhindern. Manchmal wird auch eine kleine Drainage am Rücken ausgeleitet, über die Wundsekret und Blut abgeleitet werden. Dies geschieht insbesondere dann, wenn zum Erreichen des Bandscheibenvorfalles Teile des Knochens abgetragen werden mußten, aus denen es zu Nachblutungen kommen kann. Solche Nachblutungen sind unerwünscht, da es durch sie sowohl zu erneutem Druck auf die Nerven als auch zu verstärkter Narbenbildung im Wirbelkanal kommen kann.
Die Wundschmerzen werden von den Patienten üblicherweise nicht als sehr stark empfunden. Dazu trägt auch die schonende Operationsmethode bei. Die meisten Patienten verspüren bereits direkt nach der Operation eine deutliche Schmerzlinderung im betroffenen Bein, da der Druck des Bandscheibenvorfalles auf den Nerven ja durch die Operation behoben wird. Gefühlsstörungen oder gar Lähmungen, die bereits präoperativ bestanden, sind jedoch meist postoperativ noch vorhanden. Der Nerv muß sich erst nach und nach erholen und seine Funktionen wieder aufnehmen. Da Nervengewebe sich nur sehr langsam regeneriert, können Taubheitsgefühle oder Lähmungen aber häufig erst nach Wochen, teilweise erst nach Jahren, verschwinden. Manchmal verbleiben auch Dauerschäden, diese sind jedoch in der Regel nicht sehr ausgeprägt. Z.B. kann es zu bleibenden Mißempfindungen im Bein kommen (Kribbelgefühl bei Berührung) oder das betroffene Bein ermüdet schneller beim längeren Laufen (es kommt dann beim längeren Gehen gelegentlich zu Krämpfen). Stärkere Lähmungen einzelner Muskelgruppen als Dauerschaden sind sehr selten.
Die Dauer des stationären Aufenthaltes postoperativ wird im wesentlichen durch die Schmerzen des Patienten und den Zustand der Operationswunde bestimmt. Üblicherweise sind nach 5 bis 7 Tagen die Schmerzen so gering und die Wunde ist soweit abgeheilt, daß man die Patienten aus der stationären Behandlung entlassen kann.
Wie bereits erwähnt, bestehen zwei wesentliche Risiken für den Mißerfolg der Mikrodiskotomie im Auftreten von erneuten Vorfällen durch das Loch in der Bandscheibe und die Ausbildung von erneuten ausstrahlenden Beinschmerzen durch unerwünschte Narbenbildung im Wirbelkanal. Da das Loch in der Bandscheibe intraoperativ nicht verschlossen werden kann, muss es (so wie ohne Operation auch) narbig abheilen. Bis die Narbe belastbar genug ist, auch größere Drücke in der Bandscheibe auszuhalten, vergehen 3 Monate. In dieser Zeit sollten Belastungen der Bandscheibe vermieden werden. Hierzu zählen vor allem Bücken, Heben und Tragen, aber auch längeres Sitzen und lange Autofahrten. Schon das Körpergewicht alleine in Verbindung mit einer ungünstigen Bewegung kann erneut Teile der vorgeschädigten Bandscheibe abscheren und durch das noch in Abheilung begriffene Loch in den Wirbelkanal drücken. Auch kann eine vorzeitige Überbelastung der Wirbelsäule einen verstärkten Reizzustand im operierten Wirbelsegment auslösen und die unerwünschte Narbenbildung im Wirbelkanal begünstigen.
Daher ist die Nachbehandlung nach der Operation äußerst wichtig, um einen langfristigen Erfolg zu sichern. Neben der Anleitung durch die Krankengymnasten und die Beratung durch den betreuenden Arzt erhalten unsere Patienten nach der Operation eine sogenannte Orthese, d.h. ein Korsett. Dieses soll einerseits die Patienten, die meist einige Tage nach der Operation völlig schmerzfrei sind, daran erinnern, daß sie sich einer Mikrodiskotomie unterzogen haben (Mahnfunktion der Orthese). Andererseits schützt die Orthese aber auch direkt den Patienten, indem sie schädliche Bewegungen zumindest deutlich erschwert. Diese Orthese sollte während der Drei-Monats-Frist nach der Operation konsequent getragen werden, sobald der Patient sich aus der liegenden Position erhebt.
Auch ein Muskeltraining zur Stabilisierung der Wirbelsäule und damit der vorgeschädigten Bandscheibe ist wichtig. Hier sollte jedoch in den ersten 3 Monaten darauf geachtet werden, daß die Übungen die operierte Wirbelsäule nicht überfordern und somit negativ wirken. Daher empfehlen wir unseren Patienten, in dieser Zeit ausschließlich die isometrischen Übungen auszuüben, die sie von unseren Krankengymnasten nach der Operation erlernen. Insbesondere erweiterte Reha-Maßnahmen sollten nicht vor Ablauf der 3-Monats-Frist durchgeführt werden.
Sollten noch Funktionsdefizite von einzelnen Muskelgruppen bestehen (z.B. eine Fußheberschwäche), so muß diese natürlich konsequent mittels Krankengymnastik auch schon direkt nach der Operation therapiert werden. Im weiteren Verlauf empfehlen wir jedem Patienten die Beachtung der Prinzipien der Rückenschule und rückenfreundliche Sportarten, um das Risiko einer erneuten Bandscheibenerkrankung bei einer vorgeschädigten Wirbelsäule zu minimieren.
Patient mit Orthese |
Zusammengefasst bietet die Mikrodiskotomie für die Patienten, die eine operative Entlastung des Nerven von einem Bandscheibenvorfall benötigen, eine schonende und erfolgversprechende Operationsmethode mit geringen Risiken. Für den langfristigen Erfolg ist jedoch die konsequente Nachbehandlung, insbesondere eine angepaßte Belastung der Wirbelsäule in den ersten 3 Monaten nach der Operation, mit entscheidend.