DFG-Projekt (seit 2019, mit Unterbrechungen)
http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/400112452
Kurzbeschreibung: Das Projekt verfolgt eine global vergleichende Architektursoziologie. In Fallstudien zu Architekturen in China, Nordafrika und Südamerika, sowie zur europäischen Architektur der Moderne geht es darum, die gesellschaftliche Bedeutung dieser materiellen Kultur herauszuarbeiten – den Beitrag von Architekturen und Infrastrukturen zur Konstitution des Sozialen. Auf Basis des synchronen Vergleichs der in vielen Hinsichten einander entgegengesetzten architektonischen Kulturen verfolgt das Projekt auch eine diachrone Perspektive. Sichtbar werden in den Fällen die jeweiligen gesellschaftlichen Folgen kolonialer und neokolonialer Architekturpolitiken, aus Vergangenheit und Gegenwart.
Ausführlichere Projektbeschreibung:
Dem Projekt geht es um die Bedeutung von Architekturen und Infrastrukturbauten für Gesellschaft oder Kollektive, davon ausgehend, dass architektonische Kulturen Gesellschaft nicht nur noch ‚ausdrücken‘, sondern mit erzeugen – neben den Diskursen, Bildern usw., und im besonderen Bezug zum Körper. Das Forschungsprojekt besteht im Vergleich einander divergenter Architekturen – entlang der Fragen, welche sichtbare Gestalt das Kollektiv erhält, wie es eingeteilt wird, wir z.B. Geschlechterordnungen durch Architekturen mit hervorgebracht werden, wie Natur und Kultur in Bezug gesetzt werden, welche Geschichte oder kollektive Identität in der Zeit erzählt wird, wie Institutionen auf Dauer gestellt werden, welche Art von Ungleichheit architektonisch erzeugt wird.
Dazu dienen Fallstudien zu folgenden vier ‚architektonischen Modi kollektiver Existenz‘: die architektonische Kultur der europäischen Moderne, eine urban konzentrierte, Zentrum und Peripherie trennende architektonische Kultur (Gesellschaften der Städte), die im Blick auf die Avantgarde der 1920er in ihren grundlegenden Prinzipien und ihrer Gesellschaftsordnung durchsichtig wird; die architektonischen Kultur der Tuareg sowie der mongolischen Nomaden mit ihrer Priorität der Bewegung und ganz eigenen Formen sozialer Ungleichheit sowie der sichtbaren Gestalt der Kollektive (Gesellschaften der Zelte); die territoriale Struktur und Baukultur der Achuar und Shuar in Peru und Ecuador mit einer extremen Zerstreuung des Kollektivs (residentieller Atomismus); sowie die Han-chinesische Baukultur Yao Dong – eine Architektur, die sich durch eine z.T. vertikale Eingrabung in den Boden kennzeichnet (sociétés à maisons creusées, eingegrabene Gesellschaften).
Der Vergleich der vier Modi folgt methodologisch der strukturalen Anthropologie – dem symmetrischem Blick, der Enthaltung von jeder evolutionistischen Denkweise im Versuch, „so wenig Ethnozentrist wie möglich“ zu sein (Ph. Descola über Claude Lévi-Strauss).
Von diesem Vergleich – einer Matrix einander entgegengesetzter „architektonischer Modi kollektiver Existenz“ – werden historische und aktuelle Transformationen rekonstruierbar und sichtbar: die Effekte architektonischer Politik, z.B. kolonialer und neokolonialer Architektur. Im Import europäische Architektur und Infrastruktur, von Materialien, Entwurfsweisen und Formen, in der Veränderung der materiellen Gestalt und der Räume werden die Kollektive andere – das gilt für die massive Urbanisierung Zentralchinas seit den 1980ern, für die Ansiedlung der mongolischen Nomaden, für die territoriale Beschränkung der Tuareg oder für die An- und Umsiedlung der Shuar durch Missionare.
Mitarbeiter des DFG-Projekts ist Leonard Beigel, M.A. Sein Promotionsprojekt trägt den Titel: "Feindliche Architektur - Architektur der Ausgrenzung als spezifisches Phänomen Europas" (Erstbetreuerin: Prof. Dr. Heike Delitz; Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Silke Steets, Uni Erlangen)
Mehr Informationen zu ihm finden Sie hier.
"Koloniale und nachkoloniale Architekturen - Transformationen von Gesellschaften", Workshop des AK Architektursoziologie/des DFG-Projektes "Architektonische Modi kollektiver Existenz"; Universität Regensburg, 11./12.09.2024.