Der Pariser Gelehrte Alexandre Le Maître führte im Jahr 1682 die beherrschende Rolle von Paris und London unter den Städten der Welt auf drei Faktoren zurück: Beide seien der Mittelpunkt bedeutender Reiche, in denen erstens der Thron des Herrschers, zweitens die wichtigsten Märkte und Finanzinstitutionen und drittens „la gloire, la valeur et la force d'un pays“ vereinigt seien. Das historische Argument der ruhmvollen Vergangenheit korrespondiert in seiner Bewertung mit den aktuellen Machtverhältnissen in Europa und in Übersee. Damit erfasst Le Maître ein Kriterium, das in vielen modernen Metropolendefinitionen übersehen wird: Metropolität konstituiert sich in diesem Sinne durch ein stark ausgebildetes Selbstbewusstsein von Städten und der sie prägenden Eliten, einem besonderen Gemeinwesen anzugehören, aus dessen Größe, Macht und Geschichte sich aktuelle politische oder kulturelle Ansprüche ableiten lassen. Entsprechende Selbstäußerungen können in fundierenden Stadtgeschichten und Gründungsmythen genauso verortet werden wie in architektonischen Inszenierungen oder herrschaftlichem Handeln. Metropolen sind in diesem Sinne bewusst gestaltete Erinnerungsräume inhärent, in denen die identitätsstiftenden Narrative dargestellt und gedeutet werden.
Bereits 1984 hat G. Dragon der byzantinischen Reichskapitale Konstantinopel ein „Constantinople imaginaire“ gegenübergestellt, dessen Konstruktion in spätantiken und frühmittelalterlichen Texten wie in Denkmälern und Architekturen einen heilsgeschichtlichen Geltungsanspruch der Stadt reklamiert. Die Veränderungspotentiale der Metropole zeigen sich nicht zuletzt in den vielschichtigen literarischen und kulturellen Diskursen über sie, welche nicht nur affirmativ/zukunftsbezogen, sondern auch satirisch, negativ, nostalgisch sind; die Prozesshaftigkeit des Metropolitanen wird hier besonders deutlich. Eine spezifische Form der Selbstreferentialität ist der tatsächliche oder virtuelle Austausch mit unbestrittenen metropolitanen Vorbildern. Dieser transmetropolitane Diskurs zeigt sich auch in Selbststilisierungen antiker oder mittelalterlicher Städte als „Roma nova“ oder in feierlich inszenierten Reliquientransfers etwa von Alexandria nach Venedig (Markus) oder von Mailand nach Köln (Drei Könige). Auch die Ausrichtung lokaler Liturgien auf überörtlich verbindliche Muster und ihre Ausbreitung beinhaltet Aussagen über Geltung und Wandel des metropolitanen Status urbaner Zentren.
Wie lassen sich die Träger und Medien solcher selbstreferentiellen Diskurse in der Vormoderne erfassen? In der antiken und mittelalterlichen Historiographie ist eine Fülle von Selbst- und Fremdzuschreibungen der bedeutendsten urbanen Zentren zu finden. Als besonderes Genre sticht das Städtelob heraus, in dem Autoren die aktuelle Errungenschaften und historische Bedeutung ihrer Heimatstadt narrativ verarbeiten. Solche Texte sind zwar keineswegs auf Großstädte oder Metropolen beschränkt, übernehmen ihre Argumentationsmuster und Themen jedoch in aller Regel von den metropolitanen Vorbildern. In kirchenhistorischer Perspektive bieten in erster Linie spätantike Predigten, Briefe und Inschriften zahlreiche Beispiele für metropolitane Autoritätsansprüche, die unterschiedliche Argumentationsfiguren aufweisen (Gründung durch einen Apostel; Apostelgrab; Aufbewahrungsort bedeutender Reliquien; politische Bedeutung). Mit dem Einsetzen der Stadtchronistik im Spätmittelalter verbreitern sich hier die Textgrundlage und die narrativen Muster identitätsstiftender Selbstinszenierungen, die im Falle traditionsreicher Zentren wie Rom, Köln, Mailand oder Paris durchaus affirmative Statements zum metropolitanen Geltungsanspruch enthalten (vgl. etwa die Mirabilia Urbis Romae, um 1140, die Chronik des Kölner Ratsschreibers Gottfried Hagen, 1260, die Lobschrift „De magnalibus urbis Mediolani“ des Mailänder Patriziers Bonvesin de la Riva, 1288 oder den „Tractatus de laudibus parisius“ des Pariser Magisters Jean de Jandun, um 1320). Verstärkt setzt sich allerdings die Chronistik in kleineren und mittleren Städten auch kritisch mit dem Führungsanspruch und Machtgebaren überregionaler Großzentren auseinander. Ebenso spiegeln archäologische und kunsthistorische Forschungen zur urbanistischen Struktur und Ausstattung öffentlicher wie privater Räume in der Stadt Diskurse über Geltungsansprüche, Identität, Konkurrenz und Vorbilder. Forschungen zu Mailand in der römischen Kaiserzeit legen dabei nahe, dass sich nicht nur durch die Imitation des römischen Beispiels, sondern auch in bewusster Abgrenzung und selbstbewusster Neudefinition urbanistischer, sakraltopographischer oder liturgischer Standards metropolitaner Geltungsanspruch äußern konnte. Umgekehrt erlaubt die Beobachtung urbanistisch-architektonischer Muster und Vorbilder der archäologischen Forschung valide Aussagen über Städtehierarchien und metropolitane Strukturen im hellenistischen Griechenland. Äußere und innere Urbanisierung gehören in dieser Forschungsperspektive eng zusammen, d.h. die Planung und Ausgestaltung der urbanistisch-architektonischen Struktur der Stadt sowie die Ausbildung eines zumeist von den Eliten getragenen, städtischen Selbstbewusstseins und von Diskursformen, in denen sich die Fülle der historischen Bedeutungen bündeln.
Am Beispiel Londons, der „ersten Metropole und Weltstadt der Neuzeit“, lässt sich in der Frühen Neuzeit ein ausdifferenzierter Literatur- und Theaterbetrieb analysieren, in dem städtische Identität bzw. stadtteilbezogene oder gruppenspezifische Identitäten genauso verhandelt werden wie kritische oder satirische Brechungen des von Eliten getragenen historischen Diskurses. Die Repräsentationsbestrebungen sowie die Leit- und Vorbildfunktion, welche Metropolität auszeichnen, generieren und äußern sich in einem permanenten diskursiven Austauschprozess von Innen- und Außensicht. Die Funktion der Metropole als „Referenzort“ für andere ist im Kontext der englischen Frühen Neuzeit nicht nur im nationalen und europäischen, sondern im globalen Rahmen zu betrachten: Hier aktualisiert sich die historische Semantik der Metropolität im Selbstbild einer nach außen expandieren - den Handelsnation und Kolonialmacht, sowie umgekehrt durch Außenansichten, die mit dem überseeischen Personen- und Warenverkehr in die Metropole hineingetragen werden. Die Selbstreferentialität frühneuzeitlicher Metropolen, die im 16. Jahrhundert europaweit einen explosionsartigen Anstieg der Einwohnerzahl verzeichnen (vgl. Knittler 2002: 216), beinhaltet somit auch eine permanente diskursive Selbstüberschreitung, indem sich hier zentralisierende und diversifizierende Kräfte in einem steten Wechselspiel befinden. Die Komplexität und der Veränderungsdruck metropolitaner Lebensumstände erzeugt eine Dichte an juristischen, wirtschaftlichen, politischen, religiösen und kulturellen Diskursen, deren multilaterale Interaktionen wiederum Gegensätze und Transformationspotentiale erkennbar machen und befördern. In Untersuchungen frühneuzeitlicher metropolitaner Diskurse anhand von Stadtchroniken, Gesetzestexten, antiquarischen, piktorialen und kartographischen sowie literarischen und theatralen und nicht zuletzt liturgischen und außerliturgischen rituellen Repräsentationen lässt sich diese Verflechtung von Betrachtungsweisen bei gleichzeitiger gegenseitiger Relativierung und Kommentierung zeigen.
Besondere Bedeutung kommt hierbei intermedialen, selbstreflexiven und metafiktionalen Momenten innerhalb dieser komplexen Diskursverflechtungen zu: Prozesse der Übersetzung und Rekodierung von Narrativen über die Metropole von einem Medium / einer Darstellungsform in das/die andere, d.h. Prozesse der ‚Remediation‘, produzieren stets auch Ambivalenzen und Ironien - wie wenn bspw. durch die frühneuzeitlichen Acting Companies, ihrerseits ein genuin städtisches Phänomen, sowohl Zentralisierung als auch Diversifizierung der Metropole inszeniert werden. Damit lässt sich Reifs Formulierung von der „Fülle der Bedeutungen“, die sich in metropolitanen Diskursformen zu „Vorstellungswelten“ bündelt, etwa für die Frühe Neuzeit um eine charakteristische Dynamisierung und Verzeitlichung solcher Vorstellungen erweitern: Hier paaren sich Ansprüche, Ambitionen und Mythologisierungen mit einem expliziten Bewusstsein der eigenen Historizität, der Prozesshaftigkeit des Metropolitanen. Eine überragende, nach Innen wie Außen zentrierende Integrationsfigur der zivilreligiös konstituierten italienischen Kommunen des Mittelalters war der hagiographisch und piktural nach aktuellen Bedürfnissen modellierbare Stadt- heilige, der städtisches Eigenbewusstsein und geschichtliche Kontinuität verkörperte - auch über reale Kontinuitätsbrüche und Katastrophen von Bistums- und Stadtgeschichte hinweg. Auch in anderen, aktualitätsbezogenen Anlässen wie etwa der kollektiven Memorie- rung von Schlachtengedenktagen war die überregionale Bild- und Kultpropagierung spezifischer Heiliger ein Kristallisationspunkt für die Formierung einer territorialen, gruppenübergreifenden, metropolitanen Identität mit herrschaftslegitimierendem und -stabilisierendem Aspekt. Das Regensburger Forschungsprogramm „Vormoderne Metropolität“ setzt einen ersten Schwerpunkt auf die Konstituierung metropolitaner Geltungsansprüche und da- mit auf die Struktur, Träger und Medien metropolitaner bzw. transmetropolitaner Diskurse. Hierzu bieten mehrere der beteiligten Disziplinen eigene Forschungen an, insbesondere die Klassische Archäologie, Kunstgeschichte, Geschichte, Liturgiewissenschaft und anglistische Literaturwissenschaft.