Im Kontext gegenwärtiger Neuausrichtungen des Diskurses über ‚Globalisierung‘ sind die hier entwickelten Perspektiven auf global cities in der Vormoderne richtungsweisend. Von Zygmunt Baumans Beobachtungen zur Opposition zwischen „globe“ und „place“ im Glokalisierungsmodell (Baumann 1998) bis zur Berücksichtigung von Möglichkeiten ebenso wie Grenzen transregionaler Mobilität in neujustierten Globalisierungsmodellen (siehe Graw/Schielke 2012: 19) ist in den gegenwärtigen Diskussionen der kulturwissenschaftlichen Area Studies die wechselseitige Rückbindung des Globalen an lokale, dezentrale Standorte wichtig. In historischer Perspektive gehören hierzu auch Beobachtungen zu Abgrenzungstendenzen in Kulturkontaktzonen, die als historisch dokumentierte und rekonstruierbare Phänomene neben Prozessen des Kulturtransfers stehen. Hier ergeben sich – ähnlich wie im Abgleich der im GRK untersuchten vormodernen Metropolität mit den gegenwartsbezogenen Metropolitan Studies, der Urbanistik und modernen Stadtsoziologie – Möglichkeiten eines fruchtbaren Austausches zwischen den in einer Reihe von Einzelprojekten beobachteten dezentralen Metropolitätsphänomenen in der Vormoderne und neueren Theorieansätzen in diesem Bereich (so zeigt sich der Geltungsanspruch auf ‚Metropolität‘ als strukturelles, die Stadtgesellschaft prägendes Muster beispielswiese auch in kleineren, dezentralen Städten in Antike und Früher Neuzeit [so etwa in Projekt Nr. 1, 2, 5, 12]).
Metropolitane Gesellschaften sind bereits in der Antike durch internationale Anziehungskraft und Ausstrahlung globale Gesellschaften, in denen diverse Religionen, Kulturen und Sprachen sowie sozio-professionelle und ethnische Gruppen vereinigt sind. Im Jahr 2008 wurde im Pergamonmuseum an Geschichte und Mythos des antiken Babylon der Ursprung der Idee der globalisierten Stadt aufgezeigt (Wullen 2008). In den altertumswissenschaftlichen und mediävistischen Disziplinen wird der Trend zur Beobachtung früher Globalisierungstendenzen kontrovers diskutiert (vgl. Fried 2014). Mittlerweile gibt es kaum eine Epoche oder Hochkultur, die nicht unter der Globalisierungsperspektive ausgeleuchtet und neu bewertet worden wäre. Globalisierungen im Plural (Osterhammel 2011) hat man für das Reich der Sumerer konstatiert, die ihre Handelsnetze bis an den Indus ausgeweitet hatten, für die hellenistische und später die römische Erschließung der Mittelmeerwelt sowie des Nahen und Mittleren Ostens (Truschnegg 2013, Pitts/Versluys 2015 und kritisch Leppin 2017). So ist das antike Alexandria seit dem 3. Jh. v. Chr. ein Zentrum für die Bewahrung und Förderung aller Arten von Wissenschaft und deren Ergebnissen, die aus der gesamten Mittelmeerwelt zusammengetragen wurden, was insbesondere durch die Bündelung einer Vielzahl von Handelswegen in den See- und Binnenhäfen der Stadt möglich war. Diese erstrecken sich jedoch nicht nur ins Mittelmeer, sondern über den Nil und das Rote Meer nach Indien und China (vgl. das neue GRK-Projekt Nr. 9). Insbesondere die ‚eurasische Spätantike‘ wird neuerdings unter der Globalisierungsperspektive betrachtet (so Di Cosmo 2018; Preiser-Kappeler 2018; zu den damit verbundenen Debatten: Humphries 2017). Die amerikanische Historikerin V. Hansen hat sogar die erste Jahrtausendwende zur Geburtsstunde der Globalisierung deklariert, ein Zeitalter, das zumindest aus europäischer Perspektive bislang nicht unbedingt für seinen expansiven oder innovativen Drang auffällig geworden ist (Hansen 2020).
Gerade wenn man die Übertragbarkeit des modernen Globalisierungsschemas auf Antike und Mittelalter kritisch sieht, da suprastaatliche Institutionen oder Technologien fehlten, gerät die diesbezügliche Relevanz vormoderner Metropolen in das Blickfeld: Wir gehen von der Annahme aus, dass auch antike und mittelalterliche Metropolen ihrer jeweiligen Zeit und Kultur entscheidende kulturelle, technologische, ökonomische Impulse vermittelt haben, ja dass sich in der vorindustriellen Zeit die Voraussetzungen für globales Denken und Handeln nur in den multinationalen und multikulturellen Gesellschaften großer Metropolen überhaupt schaffen ließen. Die günstigen Voraussetzungen von Hafenstädten für die Etablierung zentralörtlicher Strukturen und internationaler Netzwerke werden in Regensburg in zwei archäologischen Projekten zu Ephesos und Aquileia (Projekte Nr. 3, 7) näher analysiert. Gemeinsam mit den althistorischen Projekten zu Rom, Mailand und Alexandria konturieren diese Projekte die Relevanz von Metropolen für die Dynamik internationaler und globaler Vernetzungen und Wissenstransfers (vgl. die internationale Tagung des Kollegs im November 2018, publiziert in Oberste/Ehrich 2019). Über das Konzept der ‚Global City‘ in der Vormoderne, ihre statusgenerierenden Voraussetzungen und statuserhaltenden Strategien der Kommunikation, Urbanisierung und politisch-sozialen Normierung soll in der zweiten Förderperiode eine wichtige Dimension vormoderner Metropolität weiter erforscht werden.
Die Untersuchung vormoderner Metropolität kann auch dazu beitragen, Prozesse und Phänomene in kleineren urbanen Zentren zu verstehen, wenn diese versuchen, ihren Platz innerhalb von metropolitanen Netzwerken zu finden oder sich das regionale und transregionale Städtenetz in ständiger Konkurrenz um Bedeutungszuwächse als hierarchisches Konstrukt an metropolitanen Vorbildern ausrichtet (vgl. unter dieser Perspektive etwa die Ergebnisse der Forschungsprojekte
Nr. 1 und 2 zu den Städtelandschaften in Kilikien und Mittelitalien im Arbeitsbericht, Kap. 3.2). Historisch ergeben auch die griechischen poleis, die römischen Kaiserresidenzen und Provinzzentren mit ihren vielfältigen Rom-Bezügen oder die dem König unterworfenen ‚bonnes villes‘ im spätmittelalterlich-absolutistischen Frankreich vielfältige Facetten dieses Forschungsfeldes. In der Vormoderne ist eine globale Vernetzung von Metropolen nicht ohne starke regionale Austausch- und hegemoniale Herrschaftsbeziehungen denkbar.