Gegen Ende des 19. Jahrhunderts eröffnete die Lust am Schnee nicht nur touristische, sondern auch emanzipatorische Möglichkeiten. Waren die verschneiten Berge noch in der Romantik als innerer Sehnsuchtsort und Sinnbild des Erhabenen auf subjektive Innerlichkeit angelegt, wurden sie nun zu einem begehrten Reiseziel für extrovertiertes Sportvergnügen. Die Unberührtheit der Landschaft erschloss nicht mehr metaphysische Spielräume für übermenschliche, nicht fassbare Mächte, sondern verflachte zu einem stilisierten Gegenentwurf zur städtischen Zivilisation.
Die Industrialisierung und der technische Fortschritt prägten das Bild der Städte: Kamine pusteten dicken Rauch in den Himmel, Gestand durchzog dank neuer chemischer Verfahren die Gassen, die Städte schwollen durch ihren Hunger nach billigen Arbeitskräften an, Schnelligkeit und Normierung bestimmten die Arbeitsweise. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkeimende Reformbewegung erkannte in der Lebensweise der modernen Gesellschaft die Ursache von Zivilisationskrankheiten, denen man durch eine „Zurück zur Natur“-Lebensweise entgegenwirken wollte. Mediziner forderten den Korsettverzicht für Frauen, bewegungsfreundliche Kleidung, sportliche Betätigung, den Aufenthalt an frischer Luft und eine gesunde Ernährungsweise für beiderlei Geschlechter. Durch die Rückbesinnung auf vorindustrielle Zeiten wurde dem ländlichen Leben eine Erdverbundenheit und Ursprünglichkeit zugewiesen, entlegene Gegenden dienten als Zufluchtsort.
Anfänglich war das Vergnügen in Eis und Schnee einer wohlhabenden Schicht vorbehalten, die sich von dem „artic fever“ anstecken ließ: Als sich Nansen 1888 anschickte, Grönland mittels seines „Schneeschuhs“ zu durchqueren, verfolgten die Medien sensationslüstern die Expedition. Weitere nordische Forschungsreisen sollten folgen, die nicht weniger das Interesse der Öffentlichkeit erregten und bis zu den Thule-Expeditionen (1912-1933) von Knud Rasmussen ungebrochen waren. Experimentierfreude trieb Skipioniere an, die nordischen Bretter an alpine Verhältnisse anzupassen, Fahrtechniken zu erproben und auf Skiern verschneite Berggipfel zu erklimmen. Nicht minder spektakulär waren Skirennen über wilde Pisten und Skispringen von Hausdächern.
Der Zulauf der Städter war enorm: Die neuartige Bewegungsmethode in verschneitem Gelände wurde als Freizeitsport entdeckt. Zeitschriften bewarben seit den neunziger Jahren regelmäßig den Schneesport. Schließlich wurden sogar Sonderbeilagen für den Wintersport in beliebten Journalen wie „Der Tourist“, „Der Alpenfreund“ und im „Simplicissimus“ gedruckt. In München wurde zudem ab 1906 „Der Winter. Illustriertes Wochenblatt für den Wintersport“ verlegt. Da sich anfänglich nur eine wohlhabende Schicht einen solchen Urlaub finanziell und zeitlich leisten konnte, wurden auch die Freizeitvorstellungen und Ansprüche der Städter in die Bergdörfer importiert. Die Geschäftstüchtigkeit der Einheimischen erkannte die Möglichkeit, der bäuerlichen Armut und Existenznot zu entfliehen, und reagierten auf die Wünsche der Gäste. Die ersten mondänen Winterurlaubsorte etablierten sich, die auch heute noch für exklusives Schneevergnügen stehen: Lech am Arlberg, St. Moritz, Gstaad, Kitzbühel, Davos, Zermatt, Chamonix, Mont Blanc, Cortina d’Ampezzo und Garmisch-Partenkirchen.
Urlaub im Schnee wurde zum Lifestyle: Skikurse machten dabei nur einen kleinen Teil des Angebots aus. Eisbahnen wurden künstlich erzeugt, um Eisstockschießen und Schlittschuhlaufen zu ermöglichen. Skijöring und Rodeln auf Mehrsitzern sorgte für ausgelassene Stimmung. Ein elegantes Dinner mit anschließendem Tanz versprach einen gelungenen Ausklang des Tages. So verwundert die Frequenz der Sektwerbungen in den zeitgenössischen Zeitschriften nicht: Pärchen prosten einander auf dem Schlitten zu, am Rande der Eisbahn oder auf der Piste in einer Abfahrtspause. Das schäumende Getränk gehörte – zumindest nach Vorstellung der Werbebranche – zum festen Bestandteil des heiteren Skiurlaubs.
Die Männer waren durch ihre Alltagskleidung den Frauen in den Anfangstagen des Skisports überlegen: Das Korsett engte stark ein und verhinderte ein größeres Atemvolumen bei Anstrengungen. Die langen Röcke sorgten nicht nur für erhöhte Unfallgefahr, sondern erwiesen sich als extrem unpraktisch und peinlich. Der Stoff sog sich mit Wasser voll und gefror durch den Fahrtwind. Bei einem Sturz stülpten sich die steifen Glockenröcke um. Da die Unterhose bis 1914 im Schritt offen war, wurden unfreiwillige Einblicke gewährt, die eine Hilfeleistung für beide Parteien – Gestürzte wie Retter – pikant werden ließ. In Fachjournalen und Anleitungsbüchlein wurde der Gebrauch einer Hose unter dem Rock empfohlen. Auch wenn sich die Hose zum Bergsteigen und Radfahren zur Risikominimierung bereits etabliert hatte, so war doch der Gebrauch auf die Dauer der jeweiligen Körperertüchtigung beschränkt. Hosen wurden verstohlen im Rucksack mitgenommen, auf der Toilette angezogen und nach dem Pistenabenteuer wieder abgelegt.
Da zum einen oftmals die Umkleidemöglichkeiten an den Pisten fehlten und zum anderen ein anderer Zeitgeist Einzug hielt, entwickelten sich praktikablere Mischformen: Über der Hose wurde ein aufknöpfbarer Rock getragen, der bei der Abfahrt als Cape um die Schultern gelegt werden konnte. Auch das Bloomer-Reformkostüm mit seinem korsettfreien Oberteil und weiten Pumphosen wurde von der selbstbewussten Damenwelt entdeckt. Dieses mutige Kostüm fand bei der Männerwelt wegen seiner modern gesinnten Befürworterin und Namensgeberin Amelia Bloomer nur wenige Anhänger, ebenso wie ausladende „Breeches“, die am Unterschenkel noch mehr Kontur zeigten.
Obgleich derartige Kleidungstücke gesellschaftlich nicht akzeptiert waren, ließen sich immer weniger Frauen auf Mischkostüme ein und trugen selbstverständlich Hosen, auch abseits der Pisten. Die Modebranche witterte Geschäft und legte in bunten Farben und tauglicheren Stoffen Beinkleider vor. Das neue Modeideal propagierte einen eher androgyn anmutenden Frauentyp: Die aufwändigen Hochsteckfrisuren sollten dem Bubikopf weichen, das Korsett wurde zu Gunsten einer natürlichen Körperkontur abgelegt, feine Blusen wurden durch sportive Wickelblusen und Westen ersetzt und die langen Röcke gegen Überfallhosen eingetauscht. Polizeiliche Verbote, in Hosen Gaststätten und Cafés zu betreten, wurden ignoriert.
Achtung.
Die Damenhose kommt!
Poiret hat’s prophezeit:
„Oui, mes Dames! Es ist so weit!“
Eine allgemeine, große
Damen-Herrenhose-Hausse
Ist im „Anzug“! Wie der Mann
Zieht die Frau jetzt Büxen an!“ –
Schmunzelnd, mit verklärtem Blick
Ruft der Junggeselle: „Schick!“:
„Hm!“, verdrießlich und verlegen
Brummt’s der Bräut’gam; froh
Dagegen,
Boshaft grinst der Ehemann:
„Bald hat jede – Hosen an!!“
(Fliegende Blätter: 17.02.1928, Nr. 4307, S. 96 a.)
Ein bei beiden Geschlechtern beliebtes Kleidungsstück wurde als verächtliches Synonym für den Wintersport von konservativen Geistern verwendet: der „Pulloversport“. Doch der Spott währte nicht lange: Der Pullover wurde in den 30er Jahren als offizielle Mannschaftsbekleidung des Bayerischen Skisportvereins eingeführt.
Das Erlernen des Skifahrens stellte jedoch nur einen Aspekt des neuen Freizeitvergnügens dar. Da sich dieser neuen Betätigung vor allem junge Menschen annahmen, konnten sich Männer und Frauen abseits von gesellschaftlichen Zwängen einander annähern. Im Gegensatz zu anderen Sportarten partizipierten die Frauen von Anfang an gleichberechtigt und wurden auch so von dem anderen Geschlecht wahrgenommen. Nur wenige Stimmen erhoben sich gegen die neue gesundheitsfördernde Sportart, indem sie befürchteten, die Gebärfähigkeit könne bei zu großen Strapazen leiden.
In der Frau wurde eine „Kameradin“ entdeckt, mit der man auch außerhäusliche Erlebnisse teilen konnte. Die neue Ungezwungenheit drückt sich nicht nur eine körpernahe Kleidung aus, sondern auch durch lautes Lachen, zerzauste Haare, Schweißperlen auf der Stirn, trainierten Muskeln und ein braun gebranntes Gesicht. Die gepflegte Salonunterhaltung wurde auf der Piste oder Eisbahn durch waghalsige Kunststücke und Wettrennen ersetzt. Nicht selten unterstellte man den modernen Frauen, lediglich auf nivale Männerjagd zu gehen, während man den Männern nachsagte, ihre Hilfsbereitschaft auf der Piste wäre nicht ohne Hintergedanken.
Ein „Naturbursche“ als Skilehrer und das fesche „Skihaserl“ werden bereits in den 30er Jahren zu Stereotpyen des winterlichen Sports.
Der neue Look der Damenwelt versetzte die heimische Bevölkerung nicht nur in Erstaunen, sondern bisweilen in helle Empörung, da man jugendgefährdende Einflüsse durch schamloses Auftreten befürchtete.
„ Ein wahrer Skandal in des Wortes ernstester Bedeutung ist das, was man in diesen Wintertagen im Sauerland […] zu sehen bekommt. Ich meine die Kleidung so vieler Frauenzimmer – Damen kann man sie nicht nennen – die unser schönes Sauerland aufsuchen, um da Wintersport zu treiben. Nicht bloß auf den Sportplätzen, sondern auch in den Straßen unserer Städtchen und Dörfer sieht man diese modernen Sportweiber in Männerkleidung rudelweise herumlaufen, zum Ärger aller Erwachsener und für unsere heranwachsende Jugend. Von dieser Kleidermode gilt zweifellos das Urteil des Fuldaer Hirtenbriefes vom 10. August 1913, das sie dem Schönheitsgefühl Hohn spricht und geradezu durch Unanständigkeit Ärgernis erregt. Sie gehört zu den raffinierten Formen der Bekleidung, deren Hauptzweck scheint, den Körper wie unbekleidet erscheinen zu lassen. Die Bischöfe fügen hinzu, daß die Zügellosigkeit des Neuheidentums, namentlich gewisser Weltstädte, derartige Moden erfinden! Ich glaube aber nicht fehl zu gehen, wenn ich vermute, daß selbst in den Weltstädten eine solche Bekleidung in der Öffentlichkeit nicht geduldet würde; wenigstens ist mir von einem Herrn, der vor kurzem in Paris war, gesagt worden, so schamlose Tracht, wie in Winterberg, habe er dort auf der Straße nicht gesehen.“ (Kölnisches Volksblatt 31. Januar 1914; zit. n. Michels: Großstadtunsitten. S. 63 f.)
Ein Pfarrer im Sauerland war in den 30er Jahren um das Seelenheil seiner Gemeinde so verzweifelt, dass er sonntags von der Kanzel flehte, es möge doch an Weihnachten nicht schneien, damit die „Weibersleut nicht in Hosen herumlaufen.“ (a.a.O. S. 67.)
In manchen Orten wurden die Damen mit Schneebällen beworfen, um Mißachtung zu zeigen.
Moderne Weiblichkeit
Sie schneiden sich die Zöpfe ab
Und tragen nur Bubiköpfe
Und Männerhüte und Hosen
Und lieben männliche Posen,
Verfolgen männliche Ziele,
Und männlichen Sport und Spiele
Betreiben Sie sehr geschäftig
Und werden formlos und kräftig
Und werden so sehnig und hager
Und werden so eckig und mager,
Bis sie sich erringen das Recht
Zu heißen: „Das flache Geschlecht.“
(Fliegende Blätter 14.01.1927 .Nr. 4250. S. 34)
Die Ablehnung gegen die Städter war auch aus anderen Gründen verständlich: Anfänglich waren die Gasthäuser nicht auf derartige Mengen an Wochenendgästen gefasst, so dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln schwierig wurde. Zum Teil erhielten im Sauerland die Einheimischen Rationen, um die geschmäcklerischen Städter am Wochenende verwöhnen zu können. Die meisten Dorfbewohner sahen jedoch den touristischen Aufschwung positiv: „Jede Flock‘ nen Daler wert.“, der letztendlich den Wohlstand sicherte und Bergdörfer in mondäne Kur- und Wintersportorte verwandelte. So wurde aus dem einst beschwerlichen Schnee eine willkommene Notwendigkeit für den Fremdenverkehr.
Damit einher ging auch die Veränderung der unberührten Natur: Straßen wurden gebaut, Pisten zerfurchten die Berghänge, Lifte wurden installiert, Bauernhöfe zu Hotelbetrieben umgebaut, neue Zweckbauten für den Tourismus entstanden. Der zünftige Hüttenabend mit einfacher Hausmannskost verkam immer mehr zur folkloristischen Abendunterhaltung, um den Erwartungen der Gäste gerecht zu werden.
Das dritte Reich nutzte geschickt das Vergnügungspotential des Schnees in mehrfacher Weise: Die beliebten Sportwochenenden wurden als KdF-Fahrten mit der Reichsbahn bei Partiemitgliedschaft um bis zu 50% rabattiert. Um möglichst viele an dem nivalen Vergnügen teilhaben zu lassen, wurden Winterkleidung und Skier in den Jahren 1942/3 eingesammelt: der Skisport wurde ein Massensport, den sich jeder leisten können sollte. Zudem verknüpfte sich mit dem Parteibuch das Startrecht an Wettkämpfen. Jüdische Sportler litten bereits seit dem Ersten Weltkrieg unter Benachteiligungen im Skisport, die schließlich zum Ausschluss vom Skiverband führten.
Das sich ausgelassene Messen in der neuen Sportart nach britischer Rekordmanier wurde im Sinne des Elitegedankens zur Überlegenheit der arischen Rasse funktionalisiert. Skikurse der Hitlerjugend sorgten für Gleichschaltung, Drill, Körperertüchtigung und Spaß gleichermaßen. Auch der Film leistete einen wesentlichen Beitrag zur Popularität des Schnees als Lustfaktor: Leni Riefenstahl verkörperte in ihrem Film „Der weiße Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs“ (1931) den kämpferischen und willensstarken Frauentyp und begeisterte durch Aufnahmen von stiebendem Schnee, temporeicher Bildfolge, eleganter Choreographie und körperbetonten Silhouetten vor untergehender Sonne. Störend wurde die dünne Handlung auch in nachfolgenden Skifilmen nicht empfunden: Spektakuläre Naturaufnahmen ergänzten anmutige Körperbeherrschung. Atemberaubender Geschwindigkeitsrausch und heroischer Körperkult in Eis und Schnee mystifizieren in alpiner Landschaft die nationalsozialistische Ideologie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg befeuerte das Wirtschaftswunder die Schneebegeisterung der Massen, so dass ausbleibender Niederschlag zu einem fremdenverkehrstechnischen Problem wurde: Daher wurde 1964 am Fuße der Zugspitze die erste Schneekanone (aus Amerika importiert) in Betrieb genommen. Das aus dem Eibsee gepumpte Wasser wurde über Aluminiumrohre durch einen Kondensator geleitet und verdichtet.
Beschneier simulieren die Bedingungen innerhalb einer Wolke: Wasserdampf wird als Sprühnebel unter null Grad ausgeblasen, so dass eher graupelähnliche Eisteilchen entstehen, die anfänglich noch nicht durchgefroren und eher seifig sind. Mit dem Frost backen sie zu einer Schicht zusammen, die in ihrer Struktur groben, kugelförmigen Gletschereiskristallen ähneln. Daher ist es notwendig, den technisch erzeugten Schneeauftrag mit einer Fräse zu bearbeiten und durch Zerkleinerung in sechseckige Prismen aufzubrechen. Im Gegensatz zu den natürlichen feinen Dendriten des Neuschnees federn die prismenförmigen Kristalle einen Sturz weniger ab: Durch die andersartige Kristallstruktur (Verlinkung zu 2) ist technischer Schnee härter und verursacht leichter blaue Flecken.
Mittels „snowfarming“ lässt sich Schnee auch über den Sommer konservieren: Schnee, im Vorwinter produziert, wird durch eine isolierende Abdeckung für den späten Herbst erhalten, um bei niedrigen Temperaturen eine Loipe auf grüner Wiese auch ohne vorherigen Schneefall anbieten zu können…