Die 18 Stationen des Marienlebens werden von einem Titel- und Schlussblatt gerahmt. Beide tragen entgegen den anderen Holzschnitten eine schriftliche Bemerkung. Auf der Titelseite werden oberhalb der Mondsichelmadonna der Werktitel, der Künstler und der Dichter in einer zentrisch zulaufenden Überschrift genannt. In den Versen unterhalb der Darstellung empfiehlt sich Maria als himmlische Fürsprecherin in jeder Bedrängnis, indem sie sich in direkter Rede an den Leser wendet.
Dem letzten Holzschnitt sind auf der linken Seite ein Bittgebet an die Gottesmutter und die Widmung an Caritas Pirckheimer, der Schwester des Willibald Pirckheimer, gegenübergestellt. Die humanistisch gebildete Äbtissin wird zum Vorbild aller jungen Frauen erhoben: Ihr sittlicher Lebenswandel als virgo findet eine geistige Entsprechung in ihrem Studium antiker Literatur. Unter dem Holzschnitt selbst fügt Dürer nach seinem Impressum noch ein Nachdruckverbot an, das durchaus ernst gemeint war: Vor dem Erscheinen des Marienlebens in Buchform 1511 hatte Dürer zuvor einzelne Abbildungen in Umlauf gebracht. Bereits 1506 wurde der italienische Kupferstecher und Radierer Marcantonio Raimondi von dem Nürnberger verklagt, weil er Kopien unter dem Namen Dürers vertrieben hatte. Der Erfolg des Prozesses war dürftig: Raimondi durfte mit den Nachdrucken fortfahren, allerdings ohne Angabe des Monogramms Dürers.
Da das Marienleben als Teil der Trilogie gesehen werden muss, ist es verständlich, dass das Leidensmotiv auf einen Holzschnitt, nämlich den Abschied Jesu von der Mutter beschränkt wird, um thematische Wiederholungen zu vermeiden. Der Passionsweg beginnt bei den Ängsten und Schmerzen Mariens, als sich ihr Sohn seinen Feinden ausliefern will. Die anderen Holzschnitte zeigen überwiegend freudige Ereignisse oder heilsgeschichtliche Ankündigungen. Gemäß der literarischen Tradition lässt Dürer seine Marienbiographie bei deren Eltern Anna und Joachim beginnen, um die Auserwähltheit der Mutter Gottes zu begründen. Wie Chelidonius verweist Dürer auf eine aktuelle dogmatische Diskussion: der Jungfräulichkeit Mariens, die wiederum selbst durch Gottes Fügung empfangen wurde.
Die Holzschnitte sind über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren entstanden und geben Zeugnis von der künstlerischen Entwicklung. Ein Großteil der Schnitte wurde zwischen 1501 und 1505 angefertigt (darunter auch unser Weihnachtskartenmotiv). Nach der zweiten Italienreise Dürers sind wohl der Tod Mariens, die Himmelfahrt und Krönung Mariens und das Titelblatt Maria auf der Mondsichel um 1510 einzuordnen. Während die späteren Werke klare Raum- und Landschaftskonzepte, eine konsequente perspektivische Ordnung und eine kompromisslose Präsentation der Hauptpersonen verfolgen, zeigt die Anbetung der Könige eine überbordende Vielfalt an Personen und eine phantasievolle Raumgestaltung.
Dürer schuf einen neuartigen Typus der Andachtsliteratur: Die feinschraffierten ganzseitigen Holzschnitte in Folio lösten die bisher überwiegend kleinformatigen Darstellungen ab, die wegen ihrer groben Linienführung nachträglich koloriert mussten. Sein Anliegen als Verleger war es, die Illustrationen nicht als schmückendes Beiwerk in einen Text einzubinden, wie es in den zeitgenössischen Marienepen üblich war. Sie sollten auch in Buchform ihren autonomen Wert behalten.
Die Veröffentlichung der Holzschnitte in Manier einer Andachtsliteratur erforderte erzählerische Begleitung. Im Falle des Marienlebens entstanden Illustration und Text zunächst voneinander unabhängig. In Zusammenarbeit mit dem humanistisch gebildeten Nürnberger Mönch Benedictus Chelidonius gelang es Dürer, die bisherige Konzeption der erbaulichen Literatur hinter sich zu lassen:
Chelidonius verfasste für jede Station aus dem Marienleben 12 elegische Distichen mit einer einleitenden Überschrift. Dem selbständigen Nebeneinander von literarischem und graphischem Werk wurde in der optischen Gestaltung des Buchs Rechnung getragen. So stehen sich Text und Bild auf Doppelseiten in gleicher Höhe gegenüber. Die Gedichte wurden zentriert auf der linken Seite in der modernen Schrifttype der Humanisten gesetzt, der Antiqua. Eine derart strenge und gleichmäßige Ausrichtung von Form und Inhalt war völlig neu: Das Marienleben wird zu Recht als Künstlerbuch der frühen Neuzeit gerühmt.
Die Buchausgabe des Marienlebens war zu Dürers Zeiten äußerst beliebt. Noch zehn Jahre nach seinem Erscheinen gehörte es zu den meist verkauften Werken des Nürnberger Künstlers. Durch die Reformation bedingt, erlebte das Marienleben keine zweite Auflage. Da vielfach die Bücher aufgetrennt und die Drucke herausgeschnitten wurden, haben sich kaum vollständige Exemplare erhalten. Die Illustrationen selbst wurden jedoch in späterer Zeit mehrfach nachgedruckt. Die Holzschnitt-Trilogie wurde in geringer Auflagenhöhe ebenfalls als Sammelband angeboten.