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Die Anbetung der heiligen drei Könige

Eine phantasievolle Ruine mit Turm und Holzverschlägen bildet das strukturierende Gerüst der Szenerie, indem sie durch perspektivische Raumgestaltung das Ereignis in seinem Einzelplätzen zusammenführt.

Die heilige Familie ist auf einer stufenartigen Anlage in den Vordergrund gerückt und auf der rechten Bildhälfte platziert. Dürer komponiert die Heiligen Familie als kompakte Dreigruppe, indem Maria den Knaben auf ihrem Schoß hält und Joseph unmittelbar hinter ihr steht. Diese gedrängte Personenanordnung wird durch einen hohen Mauerbogen gelockert, der die Heilige Familie rahmend umfängt. Auch den Stallbewohnern gesteht Dürer wenig Platz zu: Unter einem schrägen Holzdach spitzen lediglich die Köpfe von Ochse und Esel hervor. Einen Blick auf die fast schon schemenhaften Hirten kann man im Bildhintergrund durch eine ferne bogenförmige Öffnung der Ruine erhaschen. Was in dem vorausgegangenen Holzschnitt Die Geburt Christi noch das Thema war: das Christuskind in der Krippe, die ankommenden Hirten, die jubilierenden Engel, Maria und Joseph in Anbetung und Fürsorge versunken, wird hier durch die andere inhaltliche Akzentuierung in einer verschachtelten Ruine gestalterisch bis zu einem Zitat hin verdichtet.

Dürer stellt den knienden Melchior mit wallendem Bart in das Zentrum des Holzschnitts. Der älteste König hat seinen Turban abgenommen und seine Hände zum Gebet gefaltet, während sich ihm das Christuskind mit ausgestrecktem Arm zuwendet. Hinter ihm steht Balthasar mit phrygischer Mütze und bietet in der einen Hand ein Goldgefäß dar, während er mit der anderen dem dritten König den Weg zur Heiligen Familie weist. Caspar, leicht durch Kraushaar und afrikanische Gesichtszügen erkennbar, schickt sich an, seine Knie zur Anbetung zu beugen. In der rechten Hand hält er ein hornartiges Weihrauchgefäß. Ein herannahender Hund mit spitzer Schnauze folgt ihm auf seinen Fersen und verstärkt die Dynamik des herannahenden Königs. Obwohl Caspar oftmals in exotischem Gepränge gezeigt wird, erscheint er hier in zeitgenössischer städtischer Tracht: Er zieht einen Hut mit großer Feder, hüllt sich in einen weiten Umhang bis zur Hüfte und trägt Stiefel. Ein hohes Holzdach gibt den Blick auf das prächtige Gefolge zu Pferd und eine karge Berglandschaft mit einer nur schemenhaft zu erkennenden Stadt frei.

Die Huldigung der drei Weisen wird zu recht vor die zweite Italienreise Dürers datiert. Die komplizierte Raumarchitektur der Ruine vermag durch bogenartige Öffnungen und Dachkonstruktionen zwar eine gewisse optische Tiefe erreichen, eine konsequente perspektivische Ausrichtung wird noch nicht verfolgt: Das Größenverhältnis von nahen und fernen Personen ist nicht stimmig eingehalten, der erste Reiter des Gefolges scheint mit seinem Pferd geradewegs auf die Mauer zuzureiten.

Mit seiner Version der Huldigungsszene stellt sich Dürer bewusst in die Tradition einer Orientalisierung. Nicht ein zerfallener Stall wie in der Darstellung der Geburt Christi, sondern eine spätantike Ruine mit Turm und Bogenelementen wird gewählt. Die Armseligkeit dieser Behausung wird durch marode Holzverschläge sowie üppige Grasbüschel und Bäumchen, die wild aus den Fugen sprießen, betont. Bis auf den jüngsten König tragen alle Figuren wallende knöchellange Gewänder, als Kopfbedeckung der Könige und ihrer Begleiter werden Turbane und phrygische Mützen gewählt. Auf die Herkunft der Weisen aus dem Morgenland verweist die Fahne mit dem Halbmond.

Indem Dürer die Szenerie des weihnachtlichen Wunders in zwei aufeinanderfolgenden Holzschnitten so unterschiedlich ausführt, lässt sich für die Buchkonzeption der Illustrierung eine Beobachtung festhalten: Dürer legt nicht Wert auf eine fortführende Erzählung in dem Sinne, dass vor einer festen Kulisse nur die jeweiligen Ereignisse illustriert werden, sondern er formt die Szenerie dramaturgisch grundlegend neu. Obwohl die Darstellungen in einen chronologischen Kontext eingebunden sind, sind sie auch für sich genommen aussagekräftig und ikonographisch eindeutig entschlüsselbar. Diese Pointierung auf die jeweilig dargestellte Begebenheit erlaubte es auch, Einzelblattdrucke des Marienlebens vor der Vollendung des Gesamtwerks in Umlauf zu bringen.


Anbetung

Albrecht Dürer: Marienleben. Die Anbetung der Könige. Um 1503/4. Sammlung Langlotz 16. UBR.


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