Da sich das Marienleben Dürers in seiner Neuartigkeit nur vor dem Hintergrund der Tradition der Nürnberger Andachtsliteratur verstehen lässt, seien einige Beispiele wegen ihrer Bedeutsamkeit herausgegriffen:
In mehr als 100 handschriftlichen Exemplaren hat sich die deutsche Version der Vita beatae Mariae et salvatoris rhythmica durch Bruder Philipp von Seitz zu Beginn des 14. Jahrhunderts erhalten. Die volkssprachliche Bearbeitung hat wie ihre lateinische Quelle alle vermeintlich verbürgten Informationen zu dem Leben Mariens und Jesu akribisch zusammengetragen. Eine besonders schöne oberrheinische Prosaversion um 1450 zeigt zum Text Illustrationen, die in vielen Stationen mit Szenen aus Dürers Marienleben ikonographisch übereinstimmen (Bibliothek Otto Schäfer, OS 50, s. Literaturangabe). Die Marienepen des Bruders Philipp wie auch des Bruders Wernher wurden fälschlich für die Vorlage der Versdichtung des Benedictus Chelidonius gehalten, die die Holzschnitte der Buchausgabe des Marienlebens begleitet.
Als typisches Andachtsbuch der Renaissancezeit darf Bertholds Horologium devotionis (1489) aus der Druckerei Friedrich Creussners gelten (OS 96). Das handliche Format in Oktav und die inhaltliche Gliederung erlaubten einen Gebrauch, der einem Stundenbuch gleichkommt. Das Passionar kann auf eine reiche handschriftliche Tradition zurückblicken. Neuartig ist jedoch die Einteilung des Buchs nach Leidensstationen, die mit seitengroßen Illustrationen eingeleitet werden. Die beliebte Inkunabel wurde in 16 Auflagen verlegt.
Die Nürnberger Offizin Anton Kobergers, der im Übrigen auch Dürers Pate war, überraschte 1491 mit 91 ganzseitigen Holzschnitten in Folioformat bei der Drucklegung des Schatzbehalters des Franziskanermönchs Stephan Fridolin (OS 5). Die meisten der Illustrationen werden Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff zugeschrieben. Waren in Andachtsbüchern bislang die relativ einfachen Konturholzschnitte für eine spätere Kolorierung vorgesehen, so konnten nun die detailgenauen Darstellungen durch ihre feinlinige und schraffierte Binnenzeichnung allein bestehen. Der abgedruckte Text beruht nicht auf handschriftlichen Quellen, sondern wurde für den Wiegendruck neu geschaffen.
In der Privatdruckerei des Nürnberger Stadtarztes Ulrich Pinder entstand 1505 der Beschlossen gart des Rosenkranzes Mariens (OS 774) als Auftragsarbeit der Rosenkranzbruderschaft Nürnbergs. Die Illustrierung des umfangreichsten Marienwerks orientiert sich an der üblichen Gestaltung von Andachtsbüchern: Die zahlreichen und kleinformatigen Holzschnitte aus der Dürerwerkstatt (über 1000 Stück) wurden relativ beliebig in den Text eingefügt, so dass einige Druckstöcke mehrfach Verwendung fanden. Umso bemerkenswerter ist die Weiterentwicklung der Buchkonzeption des Speculum passionis, das zwei Jahre später ebenfalls bei Pinder erschien. Die Illustration, die auch hier von Hans Schäufelein und Hans Baldung Grien angefertigt wurde, übernahm eine gliedernde Funktion: Jeder Leidensstation wurde ein großer Holzschnitt vorweggestellt. Ein einheitliches Format der Abbildungen wurde dennoch nicht ganz einhalten: Kleinere Holzschnitte wurden zur Anschaulichkeit der Passion beigefügt.