Der Paradiesapfel als Weihnachtsdekoration hielt erst in der Neuzeit Einzug in die bürgerlichen Stuben. Der Ursprung des Brauchs, einen Apfel an einem grünen Buschen oder Baum in der Weihnachtszeit zu hängen, ist vor allem in der Entwicklung des Paradiesspiels vom Mittelalter zur Neuzeit zu suchen. Im Folgenden kann die Geschichte des geistlichen Dramas lediglich in einigen wichtigen Grundzügen nachgezeichnet werden. Weiterführende Informationen sind nachstehend den einzelnen Kapiteln angefügt.
Das erste schriftlich belegte Paradiesspiel im deutschsprachigen Raum fand in Regensburg am 7. Februar 1194 statt. In den Annales Ratisponenses wird in Kürze der Inhalt des Stücks skizziert: Das christliche Weltendrama handelte von der Erschaffung der Engel, dem Sturz Luzifers, der Schöpfung, dem Sündenfall des Menschen und den alten Propheten.
Paradiesspiele bildeten im Mittelalter nicht eine eigene Gattung des geistlichen Dramas, sondern lediglich den ersten Akt der christlichen Heilsgeschichte. Ursprünglich war das Paradiesspiel als Einheit in Weihnachts-, Oster-, Passions- oder Fronleichnamsspiele eingebettet. Liturgisches Jahr und geistliche Dichtung waren somit auf engste Weise verflochten.
Im Hochmittelalter wurden die geistlichen Spiele in oder vor Kirchen dargeboten, während sich im Spätmittelalter der Darstellungsraum in die Öffentlichkeit verlagerte. Es finden sich Zeugnisse, dass bei Umzügen auch markante Szenen pantomimisch an bestimmten Haltpunkten nachgespielt wurden. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts sind bereits unverwechselbare Requisiten belegt: der Paradiesbaum, ein Schwert für den Engel und ein Apfel, den der Teufel trägt. Neben einer stummen Darbietung konnten in den Anfängen des Paradiesspiels auch einzelne Verse gesprochen werden.
Die Ausführung dieser geistlichen Spiele nahm immer größere Ausmaße an, so dass die Spieldauer mehrere Tage umfassen konnte und ganze Marktplätze mit Bühnen in die dramaturgische Umsetzung einbezogen wurden, wie der Spielplan des Luzerner Osterspiels aus dem Jahr 1583 verrät. Die Spielanweisung der Paradiesszene gibt einen Einblick in die Bühnenpraxis der spätmittelalterlichen Simultanbühne: Der Himmel fand sich in Form eines Balkons über die ganze Länge der Bühne. Die Hölle war im vorderen Bereich gegenüber dem Balkon angesiedelt, der Höllenschlund war in Form eines Tiermauls gestaltet. Der Garten Eden befand sich in Himmelsnähe, als Paradiesbaum diente ein dichter Buchsbaum. Die Erschaffung Evas vollzog sich in einer für den Zuschauer nicht sichtbaren Grube durch Gottvater, der an entsprechender Textstelle eine Rippe aus dem Ärmel zog. Adam und Eva treten in Lybkleyder alls nacket auf. (Auf der mittelalterlichen Bühne wird Nacktheit durch weiße oder fleischfarbene, geschlechtsneutrale Leinenkleider, sog. Leibkleider, wiedergegeben.) Die Schlange solle mit eym wybischen Angesicht, bekrönt, sonst als ein giftig Wurm dargestellt werden. Alle Schauspieler waren auf der Bühne zugegen, auch wenn sie im Augenblick keine Rolle zu spielen hatten. Sie hielten sich an zugewiesenen „Ständen“ auf und erhoben sich von ihrem Platz, wenn sie an der Reihe waren. Eine Regensburger Handschrift aus dem Jahr 1582, die Schauspiele von Hans Sachs enthält, weist bereits auf eine „papierne tafel“ hin, die nach Bedarf ausgewechselt werden konnte und den Übergang zur illusionistischen Bühne bereite: „Da mueß sein ain Paum mit fruchten gemalt, darvon man essen darf. Auch ainer, der verpotten, doch mit fruchten.“ (BSB Cgm 3635 zit. nach Simhandl: S. 14.)
Das mittelalterliche Paradiesspiel zeichnet sich durch seinen Anspruch aus, die Geschehnisse der Genesis nicht als bloße chronologische Erzählung darzubieten, sondern argumentativ einen Bogen von der Schöpfung bis hin zur Erlösung der Menschheit zu spannen. Die Abfolge der dramaturgischen Einheiten findet keine Entsprechung im Bibeltext. Alle Ereignisse, die für die Heilsgeschichte relevant erschienen, wurden zu einem dramaturgischen Gerüst verbunden: Zitate aus der Heiligen Schrift, Ausführungen der alten Kirchenväter und populäre Legenden.
Die Erschaffung der Engel bildet den Grundstein für alle weiteren Geschehnisse: Der Engel Luzifer wird mit seinen Gefährten wegen seines Hochmuts von Gottvater in die Hölle gestoßen. Luzifer bereut sein Handeln bitter und klagt, dass er alles darum gäbe, an seinen alten Platz zurückkehren zu dürfen. Nachdem der 10. Engelchor gefallen war, beschließt Gott, die Lücke durch den Menschen zu füllen. Somit wird die Erschaffung Adams kausal mit dem Sturz Luzifers verknüpft, da dieser seinen freigewordenen Platz einnimmt. Luzifer sinnt in seiner Verbitterung auf Rache.
Nach dem Sündenfall wird der Schauplatz durch eine allegorische Szene vor Gottes Thron verlagert: die vier göttlichen Schwestern Misericordia, Pax, Veritas und Iustitia tragen nun in der sog. litigatio sororum einen himmlischen Prozess um das Schicksal der Menschen aus, der mit allerlei scholastischer Argumentationsfertigkeit geführt wird. Die Schuld des Menschen wiegt zu schwer: Allein durch Gott kann er erlöst werden, da er durch den Verstoß des göttlichen Gebots unendliche Schuld auf sich geladen hat. Gottes Sohn selbst löst das drohende Urteil der ewigen Verdammnis auf, indem er sich bereit erklärt, durch sein unendliches Leid die Schuld der Menschen zu befristen und sie durch seine Menschwerdung und seinen Tod am Kreuz zu erlösen.
Durch diesen allegorischen Einschub werden Sündenfall und Erlösung in Form der Menschwerdung (Geburt Christi) kausal miteinander verknüpft.
Das nachfolgende Auftreten der alten Propheten, das sog. Prophetenspiel, knüpft inhaltlich an das Ergebnis des himmlischen Prozesses an, indem sie den Auftrag Gottes ausführen, den Erlöser zu weissagen.
In der Neuzeit wird die komplexe mittelalterliche Struktur des Paradiesspiels vor allem unter dem Einfluss der Dramen von Hans Sachs aufgegeben. Als Vorlage dienen die beiden Stücke: Comedie mit 24 personen, die entpfengnuß und geburt Johannis und Christi (1557) und Tragedia von schöpfung, fal und außtreibung Ade auß dem paradeiß (1558). Das Paradiesspiel wird aus seiner Einbettung in einen umfangreichen Zusammenhang herausgelöst und fortan meist als eigenständiges Schauspiel dargeboten. Da der Weihnachtstag zugleich auf den Gedenktag von Adam und Eva fällt, werden die sog. 12 heiligen Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest zum bevorzugten Spielraum.
Argumentative Spitzfindigkeiten fallen weg, das geistliche Drama verkommt zum Volksschauspiel mit biblischem Inhalt. Das Zielpublikum ist nun das einfache Volk. Herumziehende Schausteller führen nach liturgischem Kalender passende Stücke auf und ziehen von Haus zu Haus. Auf eine Bühnentechnik wird verzichtet, die Aufführung findet in Stuben und Wirtshäusern statt. Das umfangreiche Personal schrumpft auf zwei bis drei männliche Darsteller (Adam, Engel, Teufel) und eine verführerische Eva zusammen. Anspruchsvolles Versmaß und gewählte Sprache werden zu Gunsten einer verflachten Wiedergabe aufgegeben, die sich auf mündliche Tradierung oder vereinfachte Texte beruft. Dramaturgische Schwerpunkte bilden die beiden spannungsgeladenen Szenen der Verführung und der Vertreibung aus dem Paradies.
Die Ausstattung der fahrenden Schauspieler beschränkt sich neben Gewändern auf einen Paradiesbaum mit einer Schlange als einziges Requisit. Als immergrünes Gewächs sind Buchs, Wacholder, Tanne, Fichte und Stechpalme belegt. Die verbotenen Früchte werden effektvoll durch rote Äpfel dargestellt. Überdies konnte das Bäumchen oder der Buschen mit Bändern geschmückt sein.
Für die Oberpfalz sind Paradiesspiele als eigenständige Einheit oder als Szene im Weihnachtsspiel vor allem zur Zeit der Gegenreformation überliefert. Diese weihnachtlichen Spiele umfassten die Herbergssuche, die Huldigung der Hirten und der Heiligen Drei Könige, die Flucht nach Ägypten und den Kindermord. Als abschließende Szene treten meist das Gute und das Böse in Gestalt von Engeln oder Teufeln auf. 1626 führten die Jesuiten in Amberg ein weihnachtliches Theaterstück vor der Krippe auf. Ein Jahr später schien das Spiel zumindest bei den Frauen nicht mehr ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten zu haben, da diese durch Ratscherei unangenehm auffielen. Für Regensburg, Landshut und Eger sind ebenfalls jesuitische, für Nabburg benediktinische Weihnachtsdramen belegt. Neben dem Drachenstich erwähnt die Further Stadtgeschichte ein Adam- und-Eva-Spiel für die Barockzeit. Während sich für andere Regionen Texte erhalten haben, kann das Adam-und Eva-Spiel für den Böhmerwald und die Oberpfalz im 19. Jahrhundert durch die lebhafte Erzählung des Dichters Josef Rank nachgewiesen werden, der sich an seine Kindheit erinnert:
Mann und Weib stellten sich neben der Thür auf, den Apfelbaum zwischen sich. Nun begann der Erstere (Adam), indem er, singend wie im Recitativ, die Vorgeschichte des ersten Sündenfalls erzählte, eine an der Rückseite des Baumes angebrachte Kurbel zu drehen, die eine zwischen den Ästen hängende Schlange in Bewegung setzte; diese schoß giftige Blicke, fuhr hin und her und stieß unermüdet mit dem Kopf gegen einem Apfel, als wolle sie sagen: „Der ist’s, der wird dir’s weisen!“ […] Adam und Eva knickten zusammen und stimmten ein Schlußlied an; es klang von arger Neue und zählte die Mühseligkeiten auf, unter denen sie fortan leben und ihr Brot erwerben müßten! Das Spiel war zu Ende. Adam, Eva und der Teufel, aus der Rolle fallend, sagten jetzt in gewöhnlichem Tone, demüthig: „Bitten schön auch um was!“ […]. (Zit. n. Blab: S. 104.) Als der Vater Ranks fragte, woher die Schauspieler kämen, stellten sie sich als Oberpfälzer heraus und versicherten treuherzig – auch der Teufel, dass sie katholischen Glaubens wären. In dieser Spielbesetzung (Adam, Eva, Teufel) wurde auf die Darstellung von Gottvater und eines Engels verzichtet.