Im Paradeisl, der bayerischen Variante des Adventskranzes, spielen die sündhaften Früchte des Garten Edens die Hauptrolle. Das adventliche Gesteck entzieht sich einer raschen Spurensuche hinsichtlich einer Datierung seines Aufkommens, seiner Geschichte und seiner Gestalt durch die Fülle an volkstümlichen Ausprägungen und regionalen Unterschieden. Da das Paradeisl in seiner frühen Zeit als Dekorationsobjekt einfacher Leute galt, sind nur wenige zeitgenössische Berichte erhalten.
Das Paradeisl ist ein licht- und apfeltragendes Adventsgesteck, das durch seine vier Kerzen als Zeitmesser für die vorweihnachtliche Zeit fungiert. In armen Familien soll das Paradeisl erst am Heiligen Abend aufgestellt worden sein, wobei in diesem Fall die Kerzen nicht die Adventssonntage markieren. Die benötigten Materialien für die Erstellung der adventlichen Dekoration weisen das Paradeisl als bescheidenen Tischschmuck aus: vier rote oder rotbackige Äpfel, sechs Haselnussruten und vier Kerzen. Zur weiteren Zierde können eine Walnuss, Buchs oder Zweige von immergrünem Nadelgehölz und Bänder hinzutreten.
Auf der unteren Ebene werden drei Äpfel seitlich durch Haselnussstecken zu einem Dreieck verbunden. Die restlichen Ruten werden auf der Oberseite der Äpfel eingesteckt, so dass sie zusammen in Pyramidenform den vierten Apfel tragen. Auf den Äpfeln werden die Lichter angebracht. Diese schlichte pyramidale Form des Paradeisls rückt es in die Nähe von Lichterpyramiden, wie sie aus dem Erzgebirge bekannt sind. Die Anlage als räumliche Figur eines Dreiecks verweist auf die Trinität, die in der Weihnachtsgeschichte ihre Entsprechung findet: Gottvater, der durch die Entsendung des Hl. Geistes Maria auswählt, und damit den Prozess der Menschwerdung Christi in Gang setzt.
Die Stecken können durch Einritzen der Rinde kunstvoll verziert oder mit immergrünen Zweigen und Bändern umwickelt werden. Als frisches Grün wurde von jeher verwendet, was die Natur zu dieser Jahreszeit anbot: Tanne, Fichte, Wachholder und Buchs. Letzterem schrieb man im Volksglauben teufelsvertreibenden Charakter zu, wie das Kräuterbuch des Hieronymus Bock belegt. Die grünen Zweiglein können als Variante auch in den Apfel eingesteckt sein, ohne die verbindenden Haselnussstecken zu bedecken. Aufgesteckte Zweige im oder am Haus sind als Abwehr des Bösen bzw. von Gefahren und Symbol vitalen Lebens in der kargen Winterszeit bereits in germanischen und römischen Kulten belegt.
Auf der unteren Ebene werden traditionell zwei violette, eine rosafarbene und auf der oberen Ebene eine weitere violette Kerze angebracht. Mit der violetten Farbe wird die liturgische Farbe der Vorweihnachtszeit als Zeichen des Übergangs und der Verwandlung zitiert. Die rosafarbene Kerze, als Abschwächung des Violetts, wird am 3. Adventssonntag Gaudete entzündet, an dem auch der Priester für sein Messgewand eine hellere Farbe als Ausdruck des freudigen Mottos tragen kann. Die Lichter werden wie beim Weihnachtsbaum als Symbol für Christus als Licht der Welt gesehen.
Vom vierten, oberen Apfel kann eine vergoldete Nuss hängen. Diese kann durch eine Bastelarbeit aufgewertet sein, die sich am Heiligen Abend durch Abnehmen der halben Nussschale enthüllt: In der anderen Hälfte kommt ein winziges wächsernes Christuskind auf Engelshaar zum Vorschein. Eine Abwandlung der goldenen Nuss ist in Form eines Körbchens mit dem Christuskind überliefert, das am Hl. Abend in die Mitte des Paradeisls gestellt wurde.
Das Paradeisl kann nach einigen Berichten auf einen großen Teller angebracht sein, dessen Innenraum mit Nüssen, getrocknetem Obst und Plätzchen gefüllt werden. An dieser Stelle können auch sog. Gebildbrote aus Hefeteig stehen, wie ein Nikolaus oder die Ureltern Adam und Eva. Die Erinnerung an den Sündenfall in Form des Apfels wird durch die Figuren der Ureltern der Menschheit verstärkt. Nur wenige Kalender führen heute noch den Gedenktag von Adam und Eva neben dem Heiligen Abend, an dem die Schuld der Menschheit ihr Ende in der Geburt des Erlösers findet. In traditionellen Simultankrippen findet sich daher ebenfalls die Paradiesszene.
Der umschränkte Innenraum des Paradeisls war wohl neben dem Symbol des Paradiesapfels namensgebend: Als Paradeis oder Paradiesgarten bot er die Köstlichkeiten eines Garten Edens. Diese Darbietungsform adventlichen Naschwerks ähnelt dem sog. Legerl aus dem Bayerischen Wald. Der Nikolaus mag zu dem Namen Klausenbaum und Nikolausturm geführt haben, die in der Literatur als niederbayerische Variante des Paradeisls genannt wird. Der Klausenbaum soll bereits seit dem 15. Jahrhundert belegt sein. Eine weitere Spielart des Paradeisls ist der Schlesische Putzapfel: Vier Stecken tragen einen einzigen Apfel, in dem grüne Zweiglein eingesteckt sind und eine Kerze trägt. Die Funktion eines Zeitmessers fällt hierbei weg.
Für die Beheimatung des Paradeisls in Bayern wird immer wieder auf Wanderarbeiter aus Südtirol und Österreich verweisen, die während des sog. Franzosenkriegs 1870/71 zu Tausenden gefordert wurden. Ein verheerender Orkan hatte weite Waldflächen niedergerissen und aus Angst vor einer Verbreitung des Borkenkäfers forderte die Regierung Waldarbeiter jenseits der Grenzen an, da die einheimischen Männer im Krieg waren. Diese Waldarbeiter sollen aus ihrer Heimat den Brauch des Paradeisls mitgeführt haben. Da sie sehr arm waren und die Herstellung des Adventsgestecks bis auf die Kerzen lediglich Naturmaterialien benötigte, konnten sie in ihren Baracken auf diese Weise eine weihnachtliche Stimmung verbreiten. Es wird aber auch berichtet, dass südböhmischen Glasarbeitern diese Form eines Lichtergestells mit Äpfeln bekannt wesen sei, ja sogar dass es ein geblasenes Paradeisl gegeben habe.
Die Verbreitung des Paradeisls ist vor allem für katholische Gebiete belegt. In Cham und im Münchener Raum scheinen Paradeisl besonders beliebt gewesen zu sein. In der Literatur wird vermutet, dass die ursprüngliche Beheimatung des Paradeisls im Bayerischen Wald war. Da vor allem aus der armen Chamer Gegend viele Leute ihr Auskommen in dem reichen München suchten, wäre das Paradeisl auf diese Weise in die bayerische Landeshauptstadt gekommen. Die Münchner Au als Wohngegend für einfache Arbeiterfamilien würde diese These stützen. Bei allen Theorien um die Entstehung und Ausbreitung des Paradeisl darf sein Erfolg als gesichert angesehen werden: 1933 vermeldeten die Münchener Neuesten Nachrichten, dass das Paradeisl fast in jeder vorweihnachtlichen Stube zu finden sei.
Der Adventskranz, der sich in den evangelischen Gegenden ab 1839 fand, etablierte sich den späteren 30er Jahren immer mehr, bis er das Paradeisl fast vollständig verdrängte. Heute erlebt das Paradeisl durch seine schlichte Form und Anspruchslosigkeit als traditioneller Gegenentwurf zu den mittlerweile oft verkitschen Adventskränzen eine Renaissance.
Der Paradiesapfel etablierte sich in den weihnachtlichen Stuben noch in einer weiteren Form: als Christbaumschmuck, der die Glasbläser aus Lauscha zu der Erfindung Christbaumkugeln anregen sollte.