Das Alte Testament stellt den Apfel in ein generell positives Licht. Insbesondere der Verfasser des Hohenliedes kommt in seiner bildhaften Ausdrucksweise immer wieder gerne auf die Frucht zu sprechen (Hld 4,3: Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel; Hld 7,9: Lass […] den Duft deines Atems
Das Christentum erweitert die positive Einschätzung des Apfels im Alten Testament um eine explizit negative: Der Apfel bezeichnete nun, da man den in Gen. 3,3-5 erwähnten „Baum der Erkenntnis“ mit einem Apfelbaum identifizierte (vgl. Cyprian. Gall. Gen. 77 und Avit. Poem. 2,210), auch die Aspekte Sünde und Tod. Freilich findet sich auch – anschließend an die jüdische Exegese (vgl. Reichmann, Sp. 668-669) – die Auffassung, die im Erkenntnisbaum den in der Bibel ebenfalls erwähnten paradiesischen Feigenbaum (Gen. 3,7) sah.
Die Bestimmung des Gewächses als Apfelbaum wurde in der späteren ikonographischen Tradition aufgegriffen: Der Apfel wird in mittelalterlichen Darstellungen der Paradiesschlange in den Mund gegeben oder erscheint in der Hand Mariens, der „neuen Eva“, als Zeichen der durch die Erlösungstat Christi überwundenen Sünde. Auch in der Paradiesspieltradition hat der Apfel einen festen Platz als Requisit, wenn auch weniger aus streng exegetischen denn aus pragmatischen Gründen. Ob es sich nun um eine Feigen- oder einen Apfelbaum handelte, der „Baum der Erkenntnis“ bildet eine wichtige Schnittstelle zwischen Altem und Neuem Testament: Man setzte ihn gleich mit dem „Kreuzesbaum“, an dem Christus wie ein Apfel hängt (Ps.-Greg. M. i. Cant. 8,5 = PL 79,541) – bis hin zu der Vorstellung, dass durch das Ausheben des Erdbodens auf dem Berg Golgotha beim Aufstellen des Kreuzes der Schädel Adams gefunden wurde. (siehe folgende Kapitel Das Paradiesspiel im Mittelalter und in der Neuzeit und Der Apfel zwischen Sünde und Verheißung).
Vielfach sind die Versuche, in den im Bibeltext erwähnten Äpfeln allegorische Bezüge zu Christus zu sehen. Besonders der Wohlgeruch und die Süße sind Aspekte der Frucht, auf die man hier verwies. Ambrosius (i. Ps. 118,5,9) spricht von der wohlriechenden Gnade Christi, seinem Wohlgeruch der Erlösung und nennt eine ihn süße Speise, die der Kirche zur Nahrung dient (ibid. 118,5,16). Seine botanischen Eigenschaften boten aber v. a. auch beim Granatapfel Möglichkeiten zur allegorischen Deutung (vgl. zusammenfassend Engemann, Sp. 708-711). Besonders drei Aspekte kamen hier ins Spiel: Die harte, rote Schale der Frucht bezog man auf die vom Blut Christi und der Märtyrer blutrot gefärbte Kirche (vgl. z. B. Beda in Cant. expos. 4 = PL 91,1145). Die vielen süßen Kerne repräsentieren die Einheit der Glieder der Kirche (vgl. z. B. Ambr. Iac. 2,1,3 = PL 14,646). Auch die unsichtbaren, aber wohlschmeckenden Kerne wurden allegorisch bezogen, etwa auf die verborgenen Tugenden einer gottgeweihten Seele (vgl. Beda in Cant. Expos. 6,24 = PL 91,1180).