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Eine verhängnisvolle Frucht mit vieldeutigem Namen

Sowohl die griechisch-römische als auch die jüdisch-christliche Tradition lassen ihre Ursprungserzählungen mit einem Apfel beginnen. Den Anfang des Krieges um Troja, von Homer in der Ilias geschildert, führten die antiken Mythographen auf den Apfel zurück, mit dem die Streitgöttin Eris bei der Hochzeit von Peleus und Thetis den ersten Schönheitswettbewerb der Weltgeschichte auslöste. Auch bei der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies spielt das Obst eine verhängnisvolle Rolle: In der christlichen Spätantike waren botanisch spitzfindige Theologen wegen der vermeintlichen etymologischen Nähe von mālum („Apfel“) und mălum („Übel“) übereingekommen, dass es sich bei dem – im Bibeltext botanisch nicht näher bestimmten – „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ um einen Apfelbaum handeln musste – das erste Zeugnis findet sich Anfang des 5. Jahrhunderts bei dem Dichter Cyprianus Gallus (vgl. Leder pass.). Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass der lateinische Begriff mālum und sein griechisches Pendant µῆλον ganz unterschiedliche Obstsorten abdecken und sich damit zumindest für die antiken Textstellen ein recht breites Sortenspektrum ergibt, das – grob zusammengefasst – von allen Arten von „Äpfeln“ im herkömmlichen Sinne über Quitten bis hin zum Granatapfel, zum Pfirsich und zur Zitrone reicht. Erklärende Adjektive sorgen für etwas mehr Eindeutigkeit: So weist der Zusatz κυδώνιον (scil. µῆλον) darauf hin, dass es sich um die Quitte handelt, von der Alkman übrigens schon im 7. Jhd. v. Chr. spricht (frg. 100 Page-Davies). Für die Granatäpfel (von lat. granatus = „körnig“) hatten die Griechen immerhin ein eigenes Wort (ῥοιαί), während die Römer auf das erklärende Beiwort Punicum (scil. malum) zurückgriffen – „phönizisch“ heißt die Frucht hier nicht wegen ihrer purpurroten Farbe, sondern weil die Römer die Granatapfelkultur aus Afrika eingeführt haben.

Mala Cydonia (Quitten

Mala Cydonia (Quitten). In: Pedanios Dioscurides: Pedanii Dioscoridis Anazarbei De Medicinali Materia. Libri Sex. Frankfurt 1549. (Von Ryff und Ruel überarbeitet). Dauerleihgabe Regensburgische Botanische Gesellschaft. Universitätsbibliothek Regensburg. 1. Buch. S. 74 f.

Gotthold Ephraim Lessing nahm die Diskussion, welche Frucht mit dem paradiesischem Obst zu identifizieren sein, augenzwinkernd hin:

Das Paradies

Sein Glück für einen Apfel geben,
O Adam, welche Lüsternheit!
Statt deiner hätt ich sollen leben,
So wär das Paradies noch heut.

Wie aber, wann alsdann die Traube
Die Probefrucht gewesen wär?
Wie da, mein Freund? Ei nun, ich glaube
Das Paradies wär auch nicht mehr.


Aus: Kleinigkeiten (1751)

Literatur

  • Andrew Dalby: Food in the Ancient World from A to Z, London / New York 2003.
  • Siegmar Döpp: ΜΗΛΟΝ ΚΥΔΩΝΙΟΝ (Malum Cydonium): Quitte oder Apfel? In: Hermes 123 (1995). S. 341-345.
  • Christian Dutilh: Art. „Granatapfel“. In: LCI 2, Sp. 198-199.
  • Josef Engemann: Art. „Granatapfel“. In: RAC 12, Sp. 689-718.
  • Karl Heisig: Woher stammt die Vorstellung vom Paradiesapfel? In: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche 44 (1953,1). S. 111-118.
  • Hans-Günter Leder: Arbor Scientiae. Die Tradition vom paradiesischen Apfelbaum. In: Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft 52 ( 1961). S. 156-189.
  • Gotthold Ephraim Lessing: Werke 1751-1753. Herausgegeben von Jürgen Stenzel (= Werke und Briefe in zwölf Bänden, Hgg.: Wilfried Barner et al., Bd. 2), Frankfurt am Main 1998, S. 372.
  • Anthony R. Littlewood: The symbolism of the apple in Greek and Roman literature. In: Harvard Studies in Classical Philology 72 (1967). S. 147-181.
  • Hans-Günter Leder: Arbor Scientiae – Die Tradition vom paradiesischen Apfelbaum. In: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche 52 (1961). S. 156-189.
  • Manfred Lugauer: Untersuchungen zur Symbolik des Apfels in der Antike. Diss. Bamberg 1967.
  • Friedrich Muthmann: Der Granatapfel. Symbol des Lebens in der alten Welt. Mainz 1982.
  • Franz Olck: Art. „Apfel“. In: RE 1. Sp. 2700-2708.
  • Hendrik Willem van Os: Art. „Apfel“. In: LCI 1. Sp. 123-124.
  • Victor Reichmann: Art. „Feige I (Ficus carica)“ und „Feige II (Sykomore)“. In: RAC 7. Sp. 640-689.
  • August Steier: Art. „Malum Punicum“. In: RE XIV.1. Sp. 928-942.
  • Sibylla Zenker u. Eduard Stemplinger: Art. „Apfel“. In: RAC 1. Sp. 493-495.

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