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Studie zur bayerischen Ostpolitik in der Zeit des Teilherzogtums Niederbayern (1255-1340)

Dr. Tobias Appl

Habilitationsprojekt

Nachdem es den ersten bayerischen Herzögen aus der Familie der Wittelsbacher gelungen war, ihre Herrschaft im Herzogtum Bayern abzusichern und fest zu etablieren, rückte – nicht zuletzt aufgrund des Erwerbs der Pfalzgrafschaft bei Rhein – im Laufe des 13. Jahrhunderts immer mehr auch die Reichs- und Außenpolitik in den Fokus der herzoglichen Politik. Spätestens seit der Regierung Herzog Ottos II. (1231-1253) lässt sich feststellen, dass gerade die bis ins 12. Jahrhundert zum bayerischen Herzogtum gehörenden, seit 1156 bzw. 1180 eigenständigen Herzogtümer Österreich und Steiermark zu den vorrangigen Aktionsfeldern der bayerischen Politik zählten. In Folge dieser politischen Neuorientierung gewannen auch die teilweise schon jahrhundertealten bayerischen Beziehungen zu Ländern wie Ungarn, Böhmen und Kärnten wieder stärker an Bedeutung.


Appl Karte Niederbayern

Ober- und Niederbayern nach der Teilung von 1255 unter Ludwig II., dem Strengen, und Heinrich XIII.

(Karte: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg)


Schon aufgrund der geographischen Lage – aber nicht nur deshalb – fiel die bayerische Ostpolitik nach der bayerischen Landesteilung von 1255, welche als deutliches Zeichen für das gewandelte Verständnis des Herzogsamtes und der weitgehend abgeschlossenen Fundierung der wittelsbachischen Herrschaft in Bayern gesehen werden kann, hauptsächlich dem niederbayerischen Teilherzogtum unter Herzog Heinrich XIII. (1253-1290) zu, während sich Oberbayern-Pfalz unter Herzog Ludwig II. (1253-1294) mehr in das Reich hinein orientierte.

Besonders augenfällig wird diese unterschiedliche außenpolitische Ausrichtung der beiden Teilherzogtümer bei der Parteinahme der bayerischen Herzöge am Ende des sogenannten Interregnums, als sich Heinrich XIII. auf die Seite des mächtigen Königs Ottokars II. Přemysl von Böhmen stellte, der gleichzeitig Herzog von Österreich, Steiermark und Kärnten sowie Markgraf von Mähren und Krain war, während Ludwig II. den neuen König Rudolf von Habsburg (1273-1291) unterstützte. Die niederbayerischen Ambitionen auf Gebietserwerbungen zerschlugen sich jedoch spätestens dann, als Ottokar im Jahr 1278 in der entscheidenden Schlacht auf dem Marchfeld gegen Rudolf I. den Tod fand und der habsburgische König in der Folge seine beiden Söhne Albrecht und Rudolf mit Österreich und der Steiermark belehnte. Auch 20 Jahre später, in den in der Schlacht von Göllheim gipfelnden Auseinandersetzungen um das Königtum zwischen König Adolf von Nassau (1292-1298) und Herzog Albrecht I. von Österreich und Steiermark, schloss sich Niederbayern der antihabsburgischen Partei an und stand damit erneut auf der Seite der Verlierer.

Den größten Rückschlag in ihrer Ostpolitik erlebten die niederbayerischen Herzöge jedoch zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Ungarn. Hier konnte Otto III. (1290-1312) nach dem Aussterben der Arpaden als Enkel König Bélas IV. aus verwandtschaftlichen Gründen Erbansprüche geltend machen. Hatte er im Jahr 1301 das Erbe der Arpaden noch abgelehnt, zeigte er sich 1305 bereit, nach der Stephanskrone zu greifen. Mit Unterstützung Böhmens und gegen den Widerstand der Habsburger gelangte er nach Ungarn und wurde Ende 1305 in Stuhlweißenburg als Béla V. zum König von Ungarn gekrönt. Doch konnte er sich hier nicht gegen den vom Papst und der ungarischen Kirche unterstützten Karlrobert von Anjou behaupten. 1307 wurde er sogar gefangen gesetzt und es gelang ihm nur und unter großen Schwierigkeiten, wieder nach Bayern zurückkehren.


Appl Stammtafel

Stammtafel der Herzöge von Niederbayern (1255-1340)


Die nächste Generation der niederbayerischen Herzöge, Heinrich XIV. (1310-1339), Otto IV. (1310-1334) und Heinrich XV. der Natternberger (1312-1333), geriet weitgehend in das Fahrwasser der Politik Ludwigs des Bayern, der in der Schlacht bei Gammelsdorf 1313 sein Recht auf die Vormundschaft über seine niederbayerischen Vettern gegen die Habsburger durchsetzte. Dennoch lassen sich auch in dieser vermeintlich von Abhängigkeiten geprägten Phase deutliche Zeichen einer eigenständigen niederbayerischen Ostpolitik feststellen. Der Tod des erst elfjährigen Herzogs Johann I. (1339-1340) am 21. Dezember 1340 jedoch führte dazu, dass das Herzogtum Niederbayern aufhörte zu bestehen und an das von Kaiser Ludwig dem Bayern regierte Oberbayern fiel. Damit fand die fast ein Jahrhundert währende Phase der ambitionierten, aber wenig erfolgreichen niederbayerischen Ostpolitik, die trotz sich ständig verändernder Konstellationen und Bündnisse einige deutliche Konstanten und Kontinuitäten aufzeigt, ihr Ende.

In dieser Arbeit wird erstmals die bayerische Ostpolitik zwischen 1255 und 1340 systematisch dargestellt und analysiert. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob in dieser Zeit die Vorstellung der früheren räumlichen Ausdehnung des bayerischen Herzogtums (vor dem Verlust von Österreich und der Steiermark) vorhanden und lebendig war und ob es deshalb ein erklärtes Ziel der bayerischen Politik gewesen sein könnte, diese beiden Herzogtümer wieder an Bayern zu bringen, oder ob stattdessen einfach nur das machtpolitische Streben nach jeder sich bietenden Möglichkeit zur territorialen Abrundung und Erweiterung die bestimmende Antriebskraft für die wittelsbachischen Herzöge dieser Linie war.

Sollte sich tatsächlich eine über Generationen bestehende Kenntnis von historischen Räumen und Zusammenhängen sowie ein langfristiges herzogliches Konzept zur Wiedergewinnung ehemals bayerischer Gebiete belegen oder rekonstruieren lassen, muss auch auf die Träger und Vermittler sowie die Legitimationsversuche dieser Vorstellungen und Ziele eingegangen werden. So soll mit besonderem Augenmerk auf den Adel, die Klöster sowie die Städte und Märkte Österreichs und der Steiermark untersucht werden, ob und inwieweit sich ein solches Bewusstsein früherer territorialer und kultureller Zusammengehörigkeit auch auf der anderen Seite der Grenze feststellen lässt. Eine vornehmliche Bedeutung kommt hierbei wegen des fast dauerhaften bayerischen Interesses dem Land ob der Enns zu.

Die Bedeutung der Phase des niederbayerischen Teilherzogtums liegt nicht zuletzt darin, dass in dieser Zeit die Konkurrenzstellung zwischen den Wittelsbachern und den Habsburgern aufgrund des stetig wiederkehrenden Interesses an den Territorien der jeweils anderen grundgelegt wurde, was sich als ein Kontinuum bis herauf in das beginnende 19. Jahrhundert feststellen lässt.


  1. Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften
  2. Institut für Geschichte

Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte

Dr.

Tobias Appl

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