Dr. Fabian Kratzlmeier war während und nach seinem Studium (wissenschaftlicher) Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Servatius. Nach zwei hervorragenden Staatsexamen folgte die von Professor Servatius betreute Promotion im internationalen Insolvenzrecht. Parallel hierzu absolvierte Herr Kratzlmeier einen LL.M.-Aufbaustudiengang an der University of Chicago.
"In den USA zu leben, davon träumte ich schon seit meinen Teenager-Tagen. Durch mein LL.M.-Studium an der University of Chicago 2021/22 ging für mich demnach ein Lebenstraum in Erfüllung. Und doch war das Jahr in Chicago weitaus mehr als nur die Realisierung eines lange ersehnten Abenteuers.
Gründe ins Ausland zu gehen, gibt es viele; um im Ausland zu studieren noch mehr! Demnach stand für mich schon seit meinen ersten Semestern fest, dass ich auch einen ausländischen Abschluss erwerben wollte – am liebsten an einer amerikanischen Universität. Schon während meiner „deutschen“ Juristenausbildung zog es mich in die Ferne. Mein drittes Studienjahr verbrachte ich an der McGill University im kanadischen Montréal und die Wahlstation absolvierte ich bei einer Großkanzlei in London. Als es im Sommer 2020 – ein gutes Jahr vor dem anvisierten Studienstart – an die Planung ging, wusste ich also schon relativ genau, auf was ich mich einlassen würde und wie man sich auf einen Auslandsaufenthalt vorbereitet. Allerdings brachte das LL.M. Studium auch neue Herausforderungen mit sich: die – gerade im Vergleich zu den Austauschplätzen der Heimatuniversität – schier grenzenlose Auswahl an Universitäten und Studiengängen, das – damit leider einhergehende – unübersichtliche Dickicht an Zulassungsvoraussetzungen, Bewerbungsfristen und einzureichenden Unterlagen sowie – last but not least – der immense Finanzierungsbedarf. Während man bei der Recherche des Studien- und Kursangebots der in Frage kommenden Universitäten sowie der jeweiligen Bewerbungsformalitäten weitgehend auf sich allein gestellt ist, bietet die Regensburger Fakultät ihren Studierenden, Alumni, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden im Übrigen zahlreiche Hilfestellungen, etwa für die Auswahl passender Universitäten und die Ausarbeitung der Bewerbungsunterlagen für die deutschen Stipendiengeber, deren Fristen regelmäßig als erste ablaufen (eine Fulbright-Bewerbung ist bereits im August des Vorjahres einzureichen). Besonders hilfreich waren insofern die Gespräche mit meiner Zweitgutachterin Frau Prof. Dr. Mayer, LL.M. (Chicago), die mir als Alumna einer meiner Wunschadressen nicht nur über die Institution und ihre persönlichen Erfahrungen berichten konnte, sondern auch für ein Empfehlungsschreiben geradezu prädestiniert war. Ausschlaggebend für meine Wahl des Studienorts waren letztendlich einerseits die fachlichen Überschneidungen zwischen meinen Forschungsinteressen und dem Lehrangebot der University of Chicago sowie andererseits die vollkommen freie Kurswahl im Rahmen des dort angebotenen sog. general LL.M.
Dementsprechend konnte ich mein Curriculum nach meinen individuellen Vorstellungen gestalten. Ich nutzte einige Credits, um meine eigenen Forschungsschwerpunkte zu vertiefen und um rechtsvergleichende Aspekte zu bereichern, und belegte andere Kurse mit dem Ziel, einen Einblick in (für mich) gänzlich neue Rechtsgebiete zu erlangen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir dabei ein Seminar zum Recht der nationalen Sicherheit, in dem die beiden Professoren – beide ehemalige hochrangige Beamte im White House – mit uns über die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik diskutierten. Thema waren unter anderem die Ausspähung von Ausländern durch amerikanische Geheimdienste (Stichwort NSA), durch Drohnenangriffe getötete Zivilisten, das Kriegsgefangenenlager in Guantánamo Bay sowie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – und damit allesamt Rechtsfragen, die in deutschen Hörsälen wohl allenfalls als Anschauungsmaterial einer Grund- oder Menschenrechtsvorlesung erörtert werden.
Als Wirkungsstätte von Nobelpreisträger Ronald Coase steht die University of Chicago vor allem für die wirtschaftswissenschaftliche Durchdringung und Untersuchung des Rechts auf seine verhaltenssteuernde und damit wohlstandsfördernde Wirkung. Auch wenn man die Einführungsveranstaltung zur Rechtsökonomik nicht besucht, kommt hier niemand an der „Chicagoer Schule“ vorbei; in (nahezu) jeder Lehrveranstaltung wurde das Recht (auch) aus dem „law and economics approach“ heraus betrachtet, sodass man diese Art zu Denken schnell selbst verinnerlicht. Dass das geltende Recht dabei bisweilen in den Hintergrund rückt und man sich in den Motivlagen und Anreizkulissen der verschiedenen Marktteilnehmer verliert, empfand ich dabei als durchaus erfrischend und für das Gesamtverständnis des jeweiligen Rechtsgebiets außerordentlich hilfreich – natürlich wohl wissend, niemals im U.S.-amerikanischen Recht praktizieren zu müssen. Wer sich also für wirtschaftliche Zusammenhänge interessiert und seinen deutschen „Methodenkanon“ durch eine neue Herangehensweise ans Recht und dessen Funktion in unserer Gesellschaft bereichern will, für den ist Chicago genau die richtige Adresse!
Bis zuletzt nicht vollends gewöhnt habe ich mich an den fast schon familiären Umgang zwischen Studentenschaft und Lehrpersonal. Insofern mutete es schon etwas komisch an, hohe Bundesrichter oder international renommierte Insolvenzrechtskoryphäen, deren scharfsinnige Aufsätze ich bereits im Rahmen meiner Forschung in Deutschland bewundert hatte, mit „Hi Michael“ oder „Hello Douglas“ anzuschreiben. Andererseits hatte die offene und engagierte Art der Professoren aber auch ihr Gutes: man konnte jederzeit mit Fragen auf sie zukommen und einige luden die Studenten sogar zum Mittagessen oder für einen Umtrunk zu sich nach Hause ein – alles ganz normal in den USA. Insgesamt nimmt das soziale Leben an amerikanischen Law Schools einen wesentlich höheren Stellenwert ein, als man es von deutschen Hochschulen kennt. Alle Frühaufsteher können sich z. B. jeden Mittwoch morgen in der Green Lounge (der Lobby der Chicago Law School) bei frischen Bagels, Doughnuts und Heißgetränken bedienen; und etwa dreimal pro Term spendiert die Fakultät Donnerstag Nachmittags Wein, Bier und anti-alkoholische Getränke. Außerdem organisieren die Studentenvereinigungen mehrmals die Woche einen sog. Lunchtalk, bei dem Gäste aus Judikative, Anwaltschaft, Wissenschaft und Politik – ich bekam z. B. die Gouverneure mehrerer U.S.-Bundesstaaten zu hören – zu aktuellen Themen sprechen, nachdem sich die Teilnehmer zuvor am Buffet ihr (kostenloses) Mittagessen zusammenstellen konnten. Das studentische Leben spielt sich vor allem im südlich gelegenen Universitätsviertel Hyde Park ab, in dessen Szenerie sich malerische Universitätsgebäude im Hogwarts-Stil mit – teilweise etwas in die Jahre gekommenen – Stadtvillen abwechseln. Downtown ist dank mehrerer Expressbuslinien und einer Bahnverbindung direkt zum Millennium Park nur ca. 20 Fahrminuten entfernt.
In Sachen Entertainment lässt Chicago keine Wünsche offen. Die University of Chicago unterhält zwar kein ernstzunehmendes College-Football Team (die Spiele in der Division III sind schlechter als so manches High-School Derby). Dafür beheimatet die „Windy City“ mit den Bears, Bulls, Blackhawks, Cubs, den White Sox und Chicago Fire aber gleich sechs Profimannschaften, die in der Regular Season teilweise günstige Studententickets für 20-30 USD anbieten. River North lädt sowohl am Wochenende als auch abends dazu ein, durch die (abgesperrten) Straßen zu flanieren und sich in einem der vielen Restaurants kulinarisch verwöhnen zu lassen oder in einer der zahlreichen Bars zu versacken; von Country über Jazz bis Electro ist hier für jeden Musikgeschmack das passende dabei! Wer es lieber etwas hipper mag, der ist in West Loop bestens aufgehoben, wo aufstrebende Craft-Beer Brauereien in ausgedienten Lagerhallen oder auf den Dächern alter Fabriken ihre neusten Kreationen – mit deutschem „Bier“ hat das teilweise nicht mehr viel zu tun – anbieten und dazu Pulled Pork Burger und tripple-fried Sweet Potato Fries serviert werden. Einen Besuch wert ist auch der Signature Room im 95. Stock des Hancock Towers, aus dem man einen atemberaubenden Blick über die Stadt und den Lake Michigan hat und in dem ein Cocktail in etwa genau so viel kostet, wie der Eintritt in das ein Stockwerk höher gelegene Observation Deck. Selbst aus dieser Höhe ist das gegenüberliegende Ufer des Sees übrigens nicht zu sehen, sodass an der wunderschön angelegten Lakefront – jedenfalls im Frühling, Sommer und Frühherbst – bisweilen echtes Küsten-Flair aufkommt. Mit seinen zwei Hub-Flughäfen O’Hare und Midway ist Chicago außerdem der perfekte Ausgangspunkt für mehrtägige Ausflüge in alle Ecken der Vereinigten Staaten – egal ob Großstädte wie Miami oder New York, atemberaubende Landschaften und Nationalparks in Colorado oder New Mexico, das „real America“ der Südstaaten, oder Strand und Urlaubsfeeling auf den Key Islands oder in Puerto Rico.
Wer einen LL.M. Titel erwerben und dabei sowohl fachlich als auch persönlich neue Erfahrungen machen will, für den sind die USA generell und die University of Chicago im Besonderen zweifelsohne eine Top-Adresse. (Künftige) Studierende können sich dort auf hochkarätige Dozenten, eine enge Betreuung, inspirierende Lunchtalk-Speaker und ein ausgeprägtes und ausgelassenes Sozialleben freuen, im Rahmen dessen man mit Menschen unterschiedlichster Nationalitäten und Kulturen in Austausch kommt. Das alles hat natürlich seinen Preis; in meinem Fall knappe 100.000 USD. Durch eine Kombination deutscher Stipendien (DAAD, SddV, Fulbright) mit einem Studiengebührennachlass (Waiver) der amerikanischen Universität lässt sich ein beträchtlicher Teil davon abfangen; eine volle Finanzierung ist wegen der begrenzten Fördersummen (je ca. 30.000 EUR) und der vielfältigen Unvereinbarkeit der deutschen Stipendien untereinander allerdings nur bei einer Förderung durch DAAD und SddV möglich. Und das obwohl das deutsche Stipendienwesen – gerade im Vergleich zu meinen internationalen Kommilitonen – besonders großzügig ist und die deutschen Bewerber auch bei der Gewährung der Studiengebührennachlässe regelmäßig ganz oben mitspielen; in meinem Jahrgang beispielsweise hatten alle sechs Deutschen eine Deckung von mindestens 60.000 USD. Sich frühzeitig über die in Betracht kommenden Stipendiengeber zu informieren und die Beratungsangebote der Fakultät wahrzunehmen, lohnt sich also allemal!
Bleibt also die Frage, ob sich die finanzielle Investition lohnt? Monetär wohl für die wenigsten, persönlich aber umso mehr! Mir wurde im Vorfeld von allen Rückkehrern das „beste Jahr meines Lebens“ versprochen. Rückblickend kann ich sagen, dass es das für mich persönlich nicht war, was aber möglicherweise auch an meinen lange gehegten Träumen und zu hohen Erwartungen gelegen haben mag. Dennoch kehre ich nach Regensburg zurück mit vielen guten Erinnerungen, Freundschaften um die ganze Welt, neuen Erkenntnissen – auch über mich selbst und mein eigenes Leben in Deutschland – und vor allem mit einen geänderten Blick auf das Recht. Insofern hat der in Chicago allgegenwärtige „law and economics approach“ mein Verständnis von (Privat-)Recht nachhaltig verändert und wird auch meine künftige Arbeit prägen.
Fazit: Ein LL.M.-Studium ist eine Erfahrung, von der man noch lange zehren kann; ein Auslandsaufenthalt mit intellektuellem Anspruch, während dessen es nie langweilig wird und in dem man seine fachlichen und persönlichen Interessen – gerade nach einem oder gar zwei Staatsexamina mit vorgegebenem Pflichtfachstoff und straffem Lernplan – zum Vollsten ausleben kann."
Fabian Kratzlmeier im Februar 2023