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Journal 1/2025

Vorwort der Herausgeber | Journal für Kunstgeschichte 1/2025

Museen als Care-Pakete?

Nach langwierigen und zähen Diskussionen – und schließlich einer in Prag im August 2022 verabschiedeten englischsprachigen Definition – was ein Museum sei, hatten die Nationalkomitees des internationalen Museumsverbandes ICOM Belgien, Deutschland, Österreich und Schweiz im Sommer 2023 eine deutsche Übersetzung der ICOM-Museumsdefinition vorgelegt:

„Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.“

Während die Bewahrung des materiellen wie immateriellen Kulturguts direkt hinter dem Hinweis steht, dass das Museum als Institution eine gesellschaftliche Verantwortung hat, wird ferner darauf verwiesen, dass das Museum jeder Person zugänglich gemacht werden sollte. Durch die Präsentationen der Objekte und spezifisch zugeschnittene Ausstellungskonzepte solle es den Besuchenden diverse und nachhaltige Themen näherbringen beziehungsweise die Artefakte unter diesen beiden Prämissen (re)-kontextualisieren. In der sehr intensiv geführten Diskussion ging es immer wieder um die Frage, inwieweit die politische Verantwortung der Museen, somit ihre inklusive und nachhaltige, respektive soziale Verantwortung stärker in den Vordergrund zu stellen ist oder auf gleicher Ebene gelagert sei wie die Bewahrung von material und immaterial heritage, somit „Critical Heritage“ mit einer eindeutigen Gewichtung auf dem ersten Wort zu lesen sei. Die 27. General Conference von ICOM wird im November diesen Jahres in Dubai, die unter dem Titel ‚The Future of Museums in Rapidly Changing Communities‘ abgehalten wird, noch einen Schritt weiter gehen. Beschlossen wird hier das Fünf-Punkte-Papier eines Ethik-Codex der Museen. Derzeit warnt etwa Thomas Thiemeyer, Professor für Empirische Kulturwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen eindringlich vor den Auswirkungen dieser Entwicklung.[1] Auch wenn die fünf Ethikbereiche – dies wird vom ICOM betont – nicht hierarchisch gelesen werden sollen, missfällt ihm, dass nun an erster Stelle die „Soziale Verantwortung“ steht, wo vormals die Bewahrung und Vermittlung von Kultur gestanden habe. Sorgearbeit (care-working) für die Erinnerungskultur stehe im Vordergrund, ebenso die wiederholte Betonung der Diversität der Gesellschaft, in der Definition die „Communities“, der die Museen durch Vielstimmigkeit und Aufbereitung der Inhalte ganz anders Rechnung zu tragen hätten. Thiemeyer betont, dass das Museum dadurch seine Position als „neutraler Akteur“ oder als im Schillerschen Sinne „moralische Anstalt“ verliere, da es auf sämtliche und zuvor marginalisierte Gruppen zu reagieren habe. Dass die Museen seit ihren Gründungen jederzeit politisch waren, ist ein Allgemeinplatz, die Kritik richtet sich an die „machtkritische und diskriminierungssensible“ Haltung, die vom Kerngeschäft des Museums ablenke und die eigentliche Arbeit überlagere. Die Frage ist, wie sich die in diesem Jahr zu treffenden Entscheidungen in der Praxis auswirken werden und auch, wie sich die Vertreter*innen in der Diskussion darüber in Dubai einigen – es ist zu erwarten, dass ein Konsens noch schwieriger zu erzielen sein wird, als bei der Frage, wie das Museum in Zukunft zu definieren sei.

Auch die Auswahl der in diesem Heft vorgestellten Publikationen bietet nicht nur einen Überblick über vielfältige aktuelle Forschungsansätze, sondern auch über aktuelle Standortbestimmungen in der Museumsarbeit.

Der Ausstellungskatalog Nudes verbindet historische und zeitgenössische Perspektiven auf die Aktdarstellung und setzt zugleich ein Zeichen für Diversität. Das Buch Materialities in Dance and Performance eröffnet interdisziplinäre Zugänge zu den materiellen Dimensionen performativer Künste. Ulrich Knapps Monografie Die Klosterkirche Preetz beleuchtet die Baugeschichte des ältesten Frauenklosters Schleswig-Holsteins. Anna Koopstra betrachtet in Hans Memling in Brügge den altniederländischen Maler und seinen Einfluss auf die Stadt. Was sind das für Zeiten? erschließt die Kooperationen von George Grosz, Erwin Piscator und Bertolt Brecht und bietet dabei auch Einblicke in bisher unveröffentlichte Briefwechsel. In die Malerei der klassischen Moderne führt der Ausstellungskatalog der Kunstsammlungen Chemnitz und des Museums Gunzenhauser, welcher sich dem Netzwerk und künstlerischen Schaffen Willi Baumeisters widmet und dazu einlädt, sich näher mit dem Künstler und seinem Kontext zu befassen. Der Katalog zur Ausstellung ‚Leo von König. Liebe, Kunst & Konventionen‘ wiederum beleuchtet neben dem Werk des Porträtmalers auch seine komplexe Rolle im Nationalsozialismus. In der Publikation Keine Kompromisse? arbeitet Daniel Hornuff die Ambivalenzen in Wilhelm Wagenfelds Leben während des Nationalsozialismus heraus. Der Otto Piene gewidmete Ausstellungskatalog dokumentiert dessen künstlerische Entwicklung von seiner ZERO-Zeit bis zu seinen ökologisch orientierten Kunstprojekten. Inside Other Spaces untersucht Environments von Künstlerinnen von 1956 bis 1976 und beleuchtet weibliche Perspektiven im Feld der immersiven Kunst. Inventing Nature regt als Ausstellungskatalog, in dem über 500 Jahre künstlerischer Pflanzendarstellungen präsentiert werden, zu einer erweiterten Reflexion des (eigenen) Umgangs mit der Umwelt an. In Christoph Asendorfs Asien und die Avantgarden werden die Rezeptionsweisen asiatischer Kulturen seit dem 20. Jahrhundert untersucht und analysiert, wie transkulturelle Entwicklungen die Moderne beeinflussten.

Wir danken wir sehr herzlich unseren Autorinnen und Autoren für ihre anregenden Beiträge und unseren Mitarbeiterinnen, federführend Stella Geiger, sowie Annika Bless und Charlotte Steinhauer für ihre wertvolle redaktionelle Unterstützung.

            

Birgit Ulrike Münch                                                        Christoph Wagner


[1] Wie Kulturerbe zum Spielball von Aktivisten wird, FAZ, 5.2.2025, Nr. 3, S. 12.


Das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis zum Download.


  1. Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften