Abschlussbericht zum interdisziplinären Seminar "Facetten jüdischen Lebens in Deutschland seit 1945: Literarische Stimmen der Nachkriegszeit und Gegenwart"
Vom 04.10. bis 06.10.2021 fand mit 20 Studierenden der slavistischen, historischen und theologischen Studiengängeder Universität Regensburg unter Leitung von Prof. Dr. Sabine Koller, Prof. Dr. Rainer Liedtke und Prof. Dr. Michael Fricke ein Blockkurs zum Seminar: "Facetten jüdischen Lebens in Deutschland seit 1945: Literarische Stimmen der Nachkriegszeit und Gegenwart" im Haus Johnnisthal, Windischeschenbach, statt. Anlass des Seminars war das Gedenken an 1700 Jahre jüdischen Leben in Deutschland, zu welchem im Jahr 2021 bundesweit verschiedene Veranstaltungen initiiert wurden. Ziel war es, unterchiedliche Zugänge aus literaturwissenschaftliche, historischer und theologischer Persepektive aufzuzuzeigen und in den anschließenden Diskussionen mehr Verständnis und ein umfassenderes Gesamtbild zum jüdischem Leben in Deutschland zu erhalten. Die Tatsache, dass nicht der Zweite Weltkrieg und dessen Folgen, sondern jüdisches Leben der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur Gegenwart im Fokus standen, gab dem Plenum Raum, sich auf andere Weisen mit der jüdischen Kultur und ihrer Präsenz in Deutschland auseinanderzusetzen.
Von Seiten der Slavistik wurd den Teilnehmer*innen ein literaturwissenschaftlicher Zugang anhand der Arbeit an ausgewählten Gedichten und Texten der jiddischen Schriftsteller Mendel Man, Meyer-Ber Gutmann und Yekhezkl Keythlman zur Sitatuion jüdischer Überlebender aus Osteuropa, so genannter Displaced Persons (DPs), die nach Kriegsende nach Deutschland gekommen waren, aufgezeigt. Für die nötigen Hintergrundinformationen wurde auf die Bedeutung der Jiddischen Sprache und das florierende kulturelle Leben der Juden in der Vorkriegszeit in Polen verwiesen, an welches die Kulturschaffenden im Nachkriegsdeutschland wieder anzuknüpfen versuchten. In diesem Zusammenhang spielten die Verarbeitung von Verlust an sich, auch in der Sprache, sowie dei Themenkomplexe Heimat, Vernichtung, Vertreibung und die Verantwortung für das kulturelle Erbe durch die Überlebenden der Shoa eine wesentliche Rolle in der jiddischen Nachkriegsliteratur.
Am zweiten Tag waren die Historiker an der Reihe, den Kursteilnehmer*innen ihren Ansatz vorzustellen. Hierbei wurden auf den Jom-Kuppur-Krieg und den Sechs-Tage-Krieg eingegangen, das Olympia-Attentat 1972 in München und seine Folgen vorgestellt und die politischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland über den Zeitraum seit der Staatsgründung bis in die 70er Jahre analysiert. Die Studierenden erhielten so einen Einblick in zusammenhängenden Strukturen von Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft und soziokulturellen Tendenzen, die sich wechselseitig von israelischen, arabischen und deutschen Akteuren bis in die Gegenwart bedingen.
Aus der theologischen Perspektive schließlich gewährte eine erste Arbeitsgruppe mit der Thematik jüdischer Essensvorschriften Einblicke in deren Lebenswelt. Ein erstes Fazit konnte hier hinsichtlich der Aktualität der jüdischen Kaschrut-Praxis gezogen werden, da ihr Wertvorstellungen und Leitlinien zugrunde liegen, die in den letzten Jahren mit der verstärkten Debatte um Nachhaltigkeit und Konsumverhalten durchaus Parallelen-hier im direkten Vergleich mit dem Veganismus-mit anderen Essgewohnheiten aufweisen. Am dritten und gleichzeitig letzen Tag führt die zweite theologische Gruppe abschließend in das jüdisch-christliche Verhältnis der doppelten Perspektive, nämlich empirischer Bestandsaufnahmen und normativer Wegweiser, ein.
Zusätzliche Einblicke zum Thema boten Abendveranstaltungen. Dies war einmal der Besuch der Autorin Eva Lezzi vor Ort mit einer Lesung aus ihren Kinderbüchern, die sich mit jüdischen Traditionen und deren Spannung mit der Umgebungskultur beschäftigen. Zum anderen bot ein digitales Treffen mit drei jüdischen Vertreterinnen von "meetajew" die Möglichkeit, Fragen zu Erfahrungen im heutigen jüdischen Alltagsleben zu stellen.
Die Veranstaltung endete mit einer Abschlussrunde im Plenum, wo auswertend die Ergebnisse der interdisziplinären Bereiche zusammengetragen diskutiert wurden. Die Studierenden kamen durch die interdisziplinäre Herangehensweise des Seminars mit diversen, teils alltäglichen Herausforderungen von jüdischen Menschen und deren Glauben in Berührung. Hierbei wurden Themenbereiche behandelt, welche nicht-jüdischen Menschen im Alltag nicht zwingend geläufig sind, für viele jüdische Menschen jedoch eine wichtige Rolle in ihrem Leben und Glauben spielen.
Zusammenfassend hielt die Blockveranstaltung tolle Gespräche und Diskussionen bereit. Sie ermöglichte allen Teilnehmer*innen ein besseres Verständnis über das gegenwärtige und vergangene Leben jüdischer Menschen in Deutschland.
Besonders Dank gilt dem "Zentrum Erinnerungskultur" der Universität Regensburg, das das Blockseminar in Johannisthal mit einem namhaften Zuschuss finanziell unterstützt und dadurch die Teilnahme der Studierenden ermöglich hat. (Bericht: Veronika Kanf)