Das gemeinsam von den Justizministerien Bayerns und Niedersachsens mit den Lehrstühlen für Deutsches Verfahrensrecht (Prof. Dr. Althammer) und für Medieninformatik (Prof. Dr. Wolff) der Universität Regensburg durchgeführte Projekt dient der Gewinnung von Erkenntnissen über die digitalen Möglichkeiten einer formellen Strukturierung des Parteivortrags im Zivilprozess.
Es soll in ausgewählten Zivilverfahren praktisch erprobt werden, in welcher konkreten Ausgestaltung und in welchen Fällen sich die Arbeit mit einem sog. Basisdokument als einer Form der strukturierten Aufbereitung des Prozessstoffs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für die Prozessbeteiligten – Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Richterinnen und Richter, Parteien – als vorteilhaft erweist. Die Erprobung soll anhand eines eingeschränkt funktionsfähigen Prototypen erfolgen, der nach den Methoden des Legal Design im Projekt entwickelt wird.
Das Projekt soll ergebnisoffen unter Einbeziehung der Sichtweisen aller Stakeholder geführt werden. Am Ende des Projekts soll eine empirisch fundierte Empfehlung über die Einführung des Basisdokuments durch den Gesetzgeber stehen.
In letzter Zeit sind rechtspolitische Forderungen nach einer strukturierten Aufbereitung des Sachverhalts im Zivilprozess durch die Parteien von verschiedener Seite erhoben worden. So hat die Arbeitsgruppe der OLG-Präsidentinnen und Präsidenten „Modernisierung des Zivilprozesses“ die Einführung eines sog. Basisdokuments gefordert.
Auch die bayerische Praktiker-Arbeitsgruppe „Massenverfahren“ hat sich für eine Strukturierung des Parteivorbringens in dieser Weise ausgesprochen. Die niedersächsische Praxis wünscht sich ebenfalls eine stärkere Strukturierung des Vortrags, gerade in Massenverfahren. Auf der 93. Jumiko (Frühjahr 2022) ist gefordert worden, Überlegungen zu Strukturvorgaben für den Parteivortrag und deren Durchsetzung zur Bewältigung der Massenverfahren anzustellen. Der Deutsche Richterbund hat festgestellt, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung für eine Strukturierung des Parteivorbringens nutzbar gemacht werden sollten und entsprechende Modellprojekte vorgeschlagen.
Eine abschließende Bewertung des Vorschlags der Strukturierung durch ein sog. Basisdokument kann derzeit noch nicht erfolgen. Der Vorschlag scheint grundsätzlich geeignet, den von allen Seiten betriebenen Aufwand bei der Sachverhaltserfassung im Zivilprozess ganz erheblich zu reduzieren. Sowohl die Beurteilung des Nutzens als auch der Nachteile aber hängt wesentlich von der konkreten Ausgestaltung ab.
Das Projekt soll in der Form eines sog. Reallabors (Testraum für Innovation und Regulierung) durchgeführt werden. Das Basisdokument soll unter realen Bedingungen in der gerichtlichen Praxis von Anwältinnen und Anwälten sowie Richterinnen und Richtern erprobt werden. Das Erkenntnisinteresse ist vorrangig auf die zukünftige Rechtssetzung gerichtet. Ergänzend zum regulatorischen Lernprozess sollen aber auch Erkenntnisse für die technische Umsetzung gewonnen werden.
Der Prototyp soll anhand der Methoden des User-Centered-Designs entwickelt werden. Die Erwartungen der künftigen Nutzer sollen Maßstab für die Entwicklung bilden. Der Prototyp wird sich so auf die Gestaltung der Benutzeroberflächen fokussieren. Ein funktionsfähiges „Backend“ im Sinne der Schaffung einer vollständigen und echten Datenbankstruktur wird für die Pilotierung nicht angestrebt. Ziel ist die Schaffung einer Software, die ein für eine Erprobung taugliches barrierefreies „Frontend“ bietet und überdies rudimentäre Funktionen zur Verfügung stellt, die eine Kommunikation mit dem Gericht ermöglichen.
In der Vorbereitungsphase erstellt die Universität Regensburg einen im erforderlichen Umfang funktionsfähigen ersten Prototyp des Basisdokuments. Grundlage für die Benutzerschnittstelle sollen die Anforderungen der beteiligten Berufsgruppen sein, die in dieser Phase z.B. im Rahmen von Workshops oder durch Interviews erhoben werden. Im Rahmen des agilen Ansatzes der Softwareentwicklung soll eine ständige Fortentwicklung des Prototyps während des Prozesses erfolgen.
Die Vorbereitungsphase dient überdies bereits Überlegungen für einen Rechtsrahmen im Realeinsatz. Die unterschiedlichen Optionen sollen geprüft werden. Hierzu gehören die Fragen des Einsatzbereiches – auch im Hinblick auf Massenverfahren und das vom BMJ derzeit projektierte Online-Verfahren –, die Frage einer gesetzlichen Anordnungskompetenz oder einer solchen des Gerichts, die Fragen der Verfahrenseinleitung durch das Basisdokument unter Einbeziehung der Beklagtenseite sowie Möglichkeiten des Übergangs zum Schriftsatzaustausch. Die Optionen sollen in der Erprobungsphase, dem eigentlichen Reallabor, sodann einem Praxistest unterzogen werden.
Parallel zu den technischen und rechtlichen Vorbereitungen sollen erprobungswillige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Richterinnen und Richter gewonnen werden.
Das Reallabor soll an Gerichten in Bayern und Niedersachsen stattfinden. Vorbehaltlich anderer Entscheidungen in der Vorbereitungsphase soll die Erprobung an Landgerichten in erster Instanz stattfinden.
Auch während der Erprobungsphase sollen noch Anpassungen des Prototyps erfolgen können, um Nutzerbedürfnissen besser Rechnung tragen zu können. Hierzu sollen regelmäßig Feedbackrunden mit den Projektbeteiligten stattfinden.
Die Dauer der Erprobungsphase ist auf ein Jahr angelegt. Dieser Zeitraum erscheint notwendig, um den Prototypen in einer genügenden Zahl von Verfahren über einen ausreichenden Zeitraum erproben zu können. Hierzu gehört mindestens der Zeitraum von der Klageerhebung bis zum ersten Termin der mündlichen Verhandlung.
Die Auswertung der Ergebnisse der Erprobungsphase erfolgt auf Grundlage einer abschließenden Bewertung durch die Mitwirkenden. Hierzu wird nach Beendigung der Erprobungsphase ein Abschlussbericht erstellt, in dem die gewonnen Erkenntnisse im Einzelnen dargelegt und bewertet werden. Der Bericht soll politische Handlungsempfehlungen enthalten und als Anstoß für eine breite Diskussion der Ergebnisse dienen.
Ziel ist es, das Reallabor in dem vorhandenen Rechtsrahmen zu erproben. Die Kommunikation zwischen Gericht und Parteien soll daher im Wege des Dokumentenaustauschs im elektronischen Rechtsverkehr einschließlich der Vorgaben der ERVV erfolgen. Das rechtliche Gehör und der Grundsatz des fair trial müssen bei der Ausgestaltung gewahrt bleiben.
Die Schaffung eines sog. Basisdokuments wirft auch Fragen der Integration in die vorhandene IT-Infrastruktur, insbesondere in die E-Akten-Systeme der Länder, auf. Zugriffe Externer auf innerhalb des Justiznetzes gespeicherte Daten sind aus Gründen der Informationssicherheit problematisch. Diesen Bedenken muss bereits in der Erprobungsphase Rechnung getragen werden. Die im Pilotprojekt erarbeitete technische Lösung soll Zugriffe auf ein in der Justiz gespeichertes Dokument nicht nötig machen. Eine Anpassung an die E-Akten-Systeme ist für die Pilotierungsphase nicht beabsichtigt. Das Projekt soll aber Erkenntnisse darüber liefern, welche technischen Maßnahmen und rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür bei einer endgültigen Entwicklung und Implementierung erforderlich wären.
Für die Durchführung des Projekts kann in rechtlicher Hinsicht auf die Vorarbeiten der OLG-Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ zurückgegriffen werden. In dem von dieser veröffentlichten Diskussionspapier werden die Anforderungen an ein Basisdokument umrissen. Diese sollen den Ausgangspunkt für das Projekt bilden, aber von diesem kritisch gewürdigt und – soweit erforderlich – an die während des Projekts gewonnenen Erkenntnisse angepasst werden.
Eine erste Anforderungsanalyse für eine technische Umsetzung durch Interviews mit der gerichtlichen und anwaltlichen Praxis ist bereits durch die Universität Regensburg erfolgt. Dort ist auch bereits ein erster (nicht funktionsfähiger) Prototyp entwickelt worden. Dieser soll als Grundlage für eine iterative Fortentwicklung während des Projekts dienen.
Die Entwicklung des für die Erprobung des Basisdokuments notwendigen Prototyps erfolgt vornehmlich durch den Lehrstuhl für Medieninformatik (Inhaber: Prof. Dr. Wolff). Mit der Entwicklung durch Mitarbeitende und Studierende sind zugleich Ausbildungszwecke verbunden. Das gilt auch für die rechtliche Unterstützung durch Mitarbeitende und Studierende der Rechtswissenschaften am Lehrstuhl für Deutsches Verfahrensrecht (Inhaber: Prof. Dr. Althammer).