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Zurück ins 19. Jahrhundert

Vermeintlich oder tatsächlich altertümliche Sprache löst unterschiedliche Reaktionen aus. Der hier vorgestellte Beitrag von Roland Schimmel zeigt, worüber man stolpern könnte, und animiert zum Umformulieren. Dahinter steht die — nicht selten zutreffende — Einschätzung, dass altertümelnde Formulierungen gewählt werden, um die eigene Bedeutsamkeit zu unterstreichen.
Vielleicht kann man das Stolpern über älteres, vermeintlich „antiquiertes“ Deutsch aber auch einmal anders nutzen, indem man neugierig den Reichtum der Sprache, ihre Veränderungen und damit nicht zuletzt die Geschichtlichkeit („Historizität“) unseres Tuns wahrnimmt. Denn manche jener sprachlichen Veränderungen sind auch Verluste und das stolpernd begonnene Lernen neuer alter Worte wird vielleicht ein Gewinn. Schließlich sind nicht wenige vermeintlich moderne Bereicherungen nichts als Wortgeklingel im Kampf um Aufmerksamkeit. Es gibt, jenseits der Verständlichkeit, keine eindeutige Regel, wo man umformulieren sollte oder umgekehrt die alte Formulierung mit einer gewissen Stilzärtlichkeit festhalten darf. Sich darüber Gedanken zu machen, aber, verbessert in jedem Fall Sprache und Stil. Viel Freude also mit der Experimentieranregung von Roland Schimmel. (Pascale Cancik) 


Zurück ins 19. Jahrhundert (Beitrag 13, Februar 2022)

Das Recht ist eine konservative Angelegenheit. Die Rechtswissenschaft ist es — auf weiten Strecken — ebenfalls. So verwundert es kaum, wenn auch die Sprache des Rechts und der Rechtswissenschaft stark bewahrende Züge trägt. Sie bewahrt nicht zuletzt eine Ausdrucksweise, die an das 19. Jahrhundert gemahnt. Dagegen ist nicht leicht anzugehen; ohne (Antrags- und Urteils-)Formeln, Standardformulierungen und dergleichen kommt man im Recht nicht aus. Dort tradiert sich also leichter, was anderswo in Vergessenheit gerät. Nachwachsende Juristen gewöhnen sich die Benutzung antiquierter Ausdrücke leicht an, kann man doch mit ihnen leicht Signale sozialer und professioneller Zugehörigkeit senden.

Doch manchmal geht das auf Kosten der Verständlichkeit. Und Adressatenfreundlichkeit im 21. Jahrhundert erforderte vielleicht noch einmal etwas ganz anderes. 

Glücklicherweise hat es jeder selbst in der Hand, ob er sich eines solchen antiquierten Ausdrucks befleißigen möchte. Wer noch zögert, nutze die nachstehenden harmlosen Beispiele, um im familiären oder freundschaftlichen Nahumfeld ein paar kleine Verständlichkeitstests durchzuführen.

Alle Leser sind eingeladen, eine leichter zugängliche Fassung zu formulieren. Nur mal so zum Ausprobieren, wie sich das anfühlt.
 
Beispiel 1.

Mit dem Alter kommen die Gebrechen, klar. Aber kennen Sie gebrechen auch als Verb?

Eine Befangenheit der Prüfer kann sich aus der Art und Weise ihres Umgangs mit den eigenen Feh­lern bei späteren Nachkorrekturen ergeben; sie liegt nicht nur vor, wenn sich die Prüfer von vornhe­rein darauf festgelegt haben, ihre Benotung nicht zu ändern, sondern auch dann, wenn es ihnen an der Fähigkeit gebricht, eigene Fehler zu erkennen und einzuräumen, oder auch nur, diese mit dem ihnen objektiv gebührenden Gewicht zu bereinigen.
 
Beispiel 2.             

Will man dem Schriftsatz oder der Urteilsbegründung einen antikisierenden Hauch verleihen, genü­gen oft schon wenige bedachtsam gewählte kleine Akzente.

Unbeschadet dieser Lückenhaftigkeit der Verfassung besitzt das Finanzverfassungsrecht keine an­dersartige Geltungskraft gegenüber den übrigen Abschnitten des Grundgesetzes.[Fn.] Die Bestimmungen des X. Abschnitts des GG sind damit voll justiziabel.[Fn.]

Unbeschadet benutzt allerdings noch der Gesetzgeber des 21. Jahrhunderts in § 439 IV, § 443 I BGB als Synonym für ungeachtet oder ohne Nachteil für. Die meisten Menschen lesen es als unbeschädigt. Das trifft den juristischen Sinn nur eher ungefähr.
 
Beispiel 3.             

Und dann haben wir Juristen noch Wörter, die nicht einmal der Duden kennt. Unbehelflich, nur mal so zum Beispiel.

Unbehelflich ist schließlich auch der von der Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und ebenso von dem Berufungsgericht gegen eine Anwendung der Grundsätze des Se­natsurteils vom 29. April 2015 (VIII ZR 197/14, aaO) auf die hier gegebene Fallgestaltung geltend gemachte weitere Einwand, wonach das betroffene Grundstück durch den auf einem benachbarten Grundstück erfolgenden Neubau, insbesondere wenn hierdurch eine Baulücke geschlossen werde, eine „Aufwertung“ erfahren könne.
 

Wer die Beispiele im Zusammenhang nachlesen möchte, findet sie bei

  1. BVerwG NVwZ 2000, 915 Ls.2 = t1p.de/5zdg, 
  2. Schwarz JA 2021, 184 (185) und 
  3. BGH ECLI:DE:BGH:2020:290420UVIIIZR31.18.0 = NJW 2020, 2884 (2889) Rn. 51 = hier

 
Bei den Beispielen (1.) und (3.) kann man überlegen, ob der Inhalt auf mehrere Sätze aufteilbar ist. Bei Beispiel (2.) ist die Substantivquote recht hoch. Gelingt Ihnen eine leichter zugängliche Fassung?

Roland Schimmel (Frankfurt am Main)


  1. Fakultät für Rechtswissenschaft

Prof. Dr. Bernd J. Hartmann, LL.M. (Virginia)

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften


Gebäude RW(L), Zi. 2.09 lehrstuhl.hartmann(at)ur.de

Sekretariat: Karolin Kuntscher
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