In der deutschen Sprache kommt es vor, dass Wörter, die ähnlich klingen oder aussehen, sehr unterschiedliche Bedeutungen haben.
Ein Paradebeispiel bilden die in der Rechtswissenschaft wichtigen Wörter anscheinend und scheinbar. Viele Muttersprachler verwenden diese Wörter synonym, obwohl ihre Bedeutung sehr unterschiedlich ist. Anscheinend bedeutet, dass etwas dem Anschein nach so ist. Zwar weiß der Sprecher nicht sicher, ob die Aussage zutrifft, vermutet es aber und kann das aufgrund der Anhaltspunkte auch schlüssig tun. Das Wort ist somit gleichbedeutend mit Wörtern wie vermutlich oder wahrscheinlich.
Scheinbar hingegen bedeutet, dass eine Situation so zu sein scheint, tatsächlich aber eine ganz andere ist. Bei korrekter Verwendung kann es daher stets mit dem Wort nur verbunden werden.
Hierzu zwei Beispiele:
„Herr Müller ist anscheinend ein guter Anwalt.“
„Herr Müller ist scheinbar ein guter Anwalt.“
In beiden Fällen scheint Herr Müller ein guter Anwalt zu sein. Der erste Satz sagt auch genau dies aus. Die zur Verfügung stehenden Informationen lassen den Schluss zu, dass Herr Müller ein guter Anwalt ist. Der zweite Satz sagt hingegen aus, dass Herr Müller nach außen vielleicht seriös wirkt, tatsächlich aber ein schlechter Anwalt ist. Deutlicher tritt dieser Sinn hervor, wenn Sie sich, wie oben beschrieben, das Wort nur hinzudenken.
Richtig verwendet wird dieses Wortpaar daher vom OVG Münster, NJW 1962, 698 ff.:
„Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des Abs. 2 Ziff. 4 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Das ist hier nur scheinbar [Hervorhebung des Verf.] geschehen; in Wahrheit genügt die Bemerkung am Schlüsse [sic!] der Vfg. v. 27. 4. 1961, dem ASt. fehle infolge seiner Betäubungsmittelsucht die für die Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit, seine weitere Berufsausübung bedeute eine Gefahr für die Allgemeinheit, nicht den Mindestanforderungen an eine Begründung i.S. von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. […] Anscheinend [Hervorhebung des Verf.] will der AGg. mit dem zuletzt zitierten Satz nicht behaupten, der ASt. gefährde seine Patienten dadurch, daß er ihnen zuviel Pervitin verordne; denn eine solche Begründung wäre sogar ungeeignet, die auf § 7 RÄO beruhende Vfg. zu rechtfertigen. Gemeint ist wohl, […].“
Diese Unterscheidung ist nicht nur allgemeinsprachlich wichtig, sondern auch für das juristische Arbeiten. So kennt das Ordnungsrecht den Begriff der Anscheinsgefahr. Bei einer Anscheinsgefahr sprechen alle verfügbaren Informationen dafür, dass tatsächlich eine Gefahr vorliegt, ein Eingreifen ist der Ordnungsbehörde daher möglich. Bei einer Scheingefahr hingegen spricht der Schein zwar für eine Gefahr, tatsächlich liegt allerdings keine vor, was der Beamte auch hätte erkennen können. Ähnlich verhält es sich mit der Anscheinsvollmacht im Zivilrecht. Der Vertragspartner wird hier geschützt, da es für ihn so aussieht, als wäre der Vertreter vertretungsbefugt. Der Begriff der Scheinvollmacht suggeriert hingegen die Bösgläubigkeit des Vertragsschließenden. Als weiteres Beispiel lässt sich § 117 BGB, das sogenannte Scheingeschäft, anführen. Hier werden Willenserklärungen nur zum Schein abgegeben, sodass auch eine [nur] scheinbare Einigung vorliegt.
Mehr zu dem Thema „Wortpaare“ finden Sie bei Walter, Kleine Stilkunde für Juristen, 2. Aufl. 2009, München, S. 47 f.
Tobias Welzel