Der Deutsche Arbeitsgerichtsverband e. V. fördert die Vermittlung und Kommunikation über Arbeitsrecht und Arbeitsgerichtsbarkeit u.a. durch die Durchführung von Ortstagungen. Als Forum der Begegnung zwischen haupt- und ehrenamtlichen Richtern, Unternehmens- und Verbandsjuristen sowie Fachanwälten und Wissenschaftlern soll die Ortstagung Theorie und Praxis des Arbeitsrechts in einem lebendigen Gedanken- und Erfahrungsaustausch verbinden und ein persönliches Kennenlernen der Mitglieder erleichtern.
Seite der Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes zur Ortstagung
Deutschland ist auf dem Weg in eine digitale Ökonomie. „Industrie 4.0“ heißt das Schlagwort, das den tiefgreifenden Wandel in Produktion und Dienstleistung auf den Punkt bringt. Andere sprechen gar von einer vierten industriellen Revolution. Und das mit Recht: Denn während es in der 1. Revolution um die Mechanisierung, in der 2. um die Industrialisierung und in der 3. um Automatisierung ging, heißt jetzt das Paradigma: „Digitalisierung“. Dieser Trend hat auch das Personalwesen erfasst und zu weitreichenden Änderungen im Umgang mit den Beschäftigtendaten geführt – nicht nur im Bewerbungsverfahren, sondern auch bei der Entscheidung über Beförderungen, der Bewertung der Arbeitsqualität von Mitarbeitern und bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Parallel zum Datenwachstum verbessern sich die algorithmischen Verfahren und Strategien der Datenanalyse. Screening und Big Data sind überall im Personalwesen auf dem Vormarsch.
Damit ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen Vor- und Nachteilen: Während die Digitalisierung die Entscheidungsfindung für Arbeitgeber bei diversen Personalfragen erleichtert, besteht andererseits die Gefahr, dass „gläserne Belegschaften“ entstehen. Kann das neue Datenschutzrecht mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) der Europäischen Union den Weg in die digitale Ökonomie ebnen und gleichzeitig die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern schützen?
Dieser Frage widmete sich der Deutsche Arbeitsgerichtsverband auf seiner vierten Regensburger Ortstagung am 10.10.2017.
Wie in den Vorjahren zeigte sich auch dieses Mal wieder ein reges Interesse bei den über 100 anwesenden Richtern, Rechtsanwälten, Personalverantwortlichen in den Unternehmen und Behörden mit ihren Betriebs- und Personalräten sowie den Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
In seiner Einführung zeigte der Präsident des LAG München, Dr. Harald Wanhöfer, das oben genannte Spannungsverhältnis auf, das auch der Arbeitsgerichtsbarkeit einiges Kopfzerbrechen bereitet. Sodann führte Prof. Maschmann mit dem ersten Vortrag in das neue Datenschutzrecht ein. Er verdeutlichte, dass es sich bei der DS-GVO um ein „Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt“ handelt. Einzelne Überwachungs- und Kontrollmethoden für Arbeitgeber würden gemessen an den Erlaubnistatbeständen, die die DS-GVO und das im Mai 2018 in Kraft tretende neue Bundesdatenschutzgesetz enthalten. Herausgestellt wurde auch der Hybridcharakter der DS-GVO, die wegen ihrer zahlreichen Öffnungsklauseln teilweise einer Richtlinie gleicht. Hieraus ergeben sich Umsetzungsprobleme des deutschen Gesetzgebers. Prof. Maschmann zeigte dabei die Regelungsspielräume und Zweifelsfragen auf. Er beendete seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass die Diskussion jetzt auf europäischer Ebene geführt werden müsse. Bei ihr habe jedoch der Europäische Gerichtshof und nicht das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort.
Anschließend beleuchtete Dr. Christoph Betz, Richter am Arbeitsgericht Regensburg, in seinem Vortrag das Problem der gerichtlichen Verwertung datenschutzwidrig erlangter Beweismittel. Er begann seine Ausführungen mit einer geschichtlichen Betrachtung und zeigte damit die gestiegene Relevanz des Problems ausgehend vom „Lochbohrerfall“ im Jahre 1970 hin zur Verwertbarkeit eines Keyloggerprotokolls im Jahre 2017. Da einfachgesetzliche Regelungen zu dieser Problematik fehlten, sei stets ein Rückgriff auf Art. 103 Abs. 1 GG notwendig. Dr. Betz präsentierte sodann die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Abwägungslehre, wonach im Einzelfall zwischen dem Beweisführungsinteresse und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzuwägen sei. Abschließend erörterte er die Fernwirkung von Beweisverboten und die Möglichkeit, Zufallsfunde zu verwerten.
Im Anschluss hieran zeigte Ute Opritescu, LL.M., Justitiarin bei der IG Metall Bayern, die Arbeitnehmerperspektive auf und differenzierte detailliert zwischen verschiedenen Kontrollmöglichkeiten und deren technischen Umsetzungen. Opritescu betonte, dass „Kontrolle nicht gleich Kontrolle“ sei und deshalb die Gewerkschaften die Überwachungsmöglichkeiten, die die neuen Technologien böten, auch nicht generell ablehnten. Entscheidend seien angesichts der persönlichkeitsrechtlichen Relevanz aller Maßnahmen zur Mitarbeiterüberwachung konstruktive Lösungen, bei denen vor allem der datenschutzrechtliche Grundsatz der Datensparsamkeit beachtet werden müsse.
Schließlich zeigte Artur Nowak, Verbandsjurist bei der Regensburger Geschäftsstelle des Verbands der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie die Position der Wirtschaft bei der Digitalisierung der Arbeitswelt auf. Er vertrat die Ansicht, dass die Digitalisierung für die deutschen Unternehmen auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischer Konkurrenz sei. Hierbei stellte Nowak klar, dass nicht nur der persönlichkeitsrechtliche Datenschutz von Relevanz sei, sondern auch das Thema Datensicherheit diskutiert werden müsse. Nowak begrüßte die Aufgeschlossenheit seiner Vorrednerin hinsichtlich konstruktiver Methoden, mahnte jedoch an, dass mit Beschäftigtendaten effizient umzugehen sei. Die sich aus den gesteigerten Datenvolumina ergebenden Möglichkeiten sollten unbedingt genutzt werden.
vlnr: Prof. Dr. Frank Maschmann, Dr. Christoph Betz, Dr. Harald Wanhöfer, Ute Opritescu, LL.M. und Artur Nowak
Anschließend entspann sich unter Leitung von Präsident Dr. Wanhöfer eine lebhafte Aussprache zwischen den Referenten, in die auch die Zuhörer eingebunden waren, die engagiert Fragen stellten. Wanhöfers Fazit: Wir stehen am Anfang der Debatte. Sie muss mit allen Betroffenen geführt werden. Die Regensburger Ortstagung bot hierfür wieder ein exzellentes Forum.