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Grünland-Projekt

Identifikation und Erhaltung historisch alten Grünlands

Modellvorhaben zur Evaluierung von Grünlandbeständen im Regierungsbezirk Tübingen (Baden-Württemberg)

Grünland ist neben Ackerland der älteste Lebensraum unserer Kulturlandschaft. Traditionelle Nutzungsweisen, wie die Feld-Gras-Wirtschaft, waren seit der Sesshaftwerdung in der Jungsteinzeit bis zur Industrialisierung flächendeckend verbreitet. Die lange Entwicklungsgeschichte und die Vielfalt an Standorten machen Wiesen zu einem der artenreichsten1 und vielseitigsten Biotope Mitteleuropas. Die Auswirkungen der historischen Landnutzung spiegeln sich bis heute in der floristischen Zusammensetzung, sowie in den Eigenschaften des Bodens wider2, 3, 4. Wiesen, die bereits seit langer Zeit der Grünlandnutzung unterliegen, zeigen eine hohen Anteil an spezialisierten und konkurrenzstarken Pflanzen. Wurde das Grünland vorher anderweitig genutzt, zum Beispiel als Acker, sind in der Regel Arten der vorangegangenen Bewirtschaftung noch einige Jahrzehnte nach Nutzungsänderung zu finden5. Entsprechende Flächen weisen erhöhte Gehalte an Nährstoffen auf, einerseits durch die Düngung, andererseits durch die geringe Humusakkumulation, da organische Substanzen bei Umbruch zersetzt werden.

Bild1 Die Silberdistel (Carlina acaulis L.)
ist eine Indikatorart für Kalkmagerrasen der Schwäbischen Alb.

Darüber hinaus hat die Landnutzungsgeschichte einen erheblichen Einfluss auf die genetische Struktur der Grünlandarten. Pflanzen passen sich an die ökologischen Bedingungen ihres Standortes, wie etwa die Landnutzung oder das Klima an6, 7, 8. Mutation, Rekombination und Selektion führen zur Entstehung spezifischer Ökotypen, die sich auf morphologischer und genetischer Ebene voneinander unterscheiden. Grünlandstandorte variieren daher nicht nur in ihrer floristischen Zusammensetzung, sondern auch in der genetischen Variation ihrer Arten.

Durch zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft, seit Mitte des 18. Jahrhunderts, ist ein Rückgang der Quantität und Qualität verschiedener Grünlandtypen festzustellen4, 9, 10, 11. Heutzutage werden nur noch ca. 28% der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland als Mähwiese oder Weide genutzt9, wobei vor allem traditionell bewirtschaftete Flächen einen starken Artenverlust verzeichnen.

Bild2 Glatthaferwiese im zweiten Aufwuchs mit Blütenständen des Mittleren Wegerichs (Plantago media L.) und des Wiesenbocksbarts (Tragopogon pratensis L.).

Dabei gehen in zunehmendem Maße nicht nur bestimmte Grünlandtypen oder –arten, sondern auch die genetische Variation dieser Arten verloren. Diese ist jedoch insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels von hoher Bedeutung, da eine Anpassung der Arten an sich ändernde Klimabedingungen nur möglich ist, wenn eine möglichst große Zahl unterschiedlich angepasster Genotypen vorhanden ist. Gerade im Kontext der Pflanzenzüchtung ist daher die Erhaltung historisch alten Grünlands von enormer Wichtigkeit. Bei der Produktion gebietseigenen (autochthonen) Saatgutes wird dieser Gedanke der lokalen standörtlichen Anpassung bereits berücksichtigt12.

Darüber hinaus sind Wiesen und Weiden Habitat und Nahrungsquelle zahlreicher gefährdeter Arten. Hierzu zählen eine Reihe an Pflanzen des Offenlandes, wie die Silberdistel, bodenbrütende Wiesenvögel, wie Bekassine oder Heidelerche und zahlreiche bestäubende Insektenarten. Zugleich stellt extensiv genutztes Grünland durch eine verringerte Bodenerosion, sowie Fixierung und Speicherung von Kohlenstoff wichtige Ökosystemdienstleistungen für uns bereit.

Bild3 Im 18/19 .Jh. wurden verstärkt Streuwiesen im württembergischen Allgäu zur Gewinnung von Einstreu angelegt.

Um den Einfluss historischer Landnutzung und Nutzungskontinuität auf die Biodiversität von heutigen Grünlandbeständen zu untersuchen, werden im Projekt Standorte mit verschieden langer Nutzungsgeschichte als Wiese oder Weide verglichen. Hierfür werden die Vegetationszusammensetzung, verschiedene Bodenparameter, sowie die genetische Variation landwirtschaftlich und ökologisch-naturschutzfachlich relevanter Pflanzenarten des Grünlands analysiert. Untersucht werden sowohl Kalkmagerrasen und Glatthaferwiesen auf der Schwäbischen Alb, als auch Kohldistel- und Streuwiesen im baden-württembergischen Allgäu.

Ziel des Projektes ist die Erarbeitung von Standards zur Identifikation und Erhaltung historisch alten Grünlands. Die historisch alten Grünlandstandorte, die aufbauend auf den Ergebnissen der Studie ausgewählt werden, sollen in Form von „Genetischen Erhaltungsgebieten“ zur langfristigen Sicherung von Artenvielfalt und genetischen Ressourcen beitragen. Um dies zu gewährleisten, ist es erforderlich das Management der Erhaltungsgebiete so anzupassen, dass eine langfristige Erhaltung der Pflanzenbestände und ihrer genetischen Ressourcen möglich ist.

Bild4 Die genetische Variation der ausgewählten Grünlandarten wird mittels molekularer Marker wie AFLPs oder Mikrosatelliten untersucht.

Das Projekt wird in Kooperation mit dem Regierungspräsidium Tübingen durchgeführt. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gefördert.

Bild5 Der Teufelsabbiss (Succisa pratensis MOENCH) ist eine charakteristische Art der Streuwiesen und die Wirtspflanze des seltenen Goldenen-Scheckenfalters.


Zielsetzungen

Zielsetzungen:

  • Identifikation landwirtschaftlich und naturschutzfachlich wertvoller Grünlandbestände im Regierungsbezirk Tübingen
  • Vegetations- und bodenkundlicher Vergleich von Grünland mit unterschiedlicher Nutzungsgeschichte
  • Genetische Untersuchung relevanter Grünlandarten für die Erarbeitung einer Gebietskulisse zur Erhaltung der genetischen Ressourcen
  • Erstellung einer Minimalkulisse für Grünland-Schutzgebiete (Anzahl, Größe und Lage)
  • Ex-situ-Schutz landwirtschaftlich wichtiger Wiesenpflanzen durch Einlagerung von Saatgut


Zusätzliche Informationen zum Projekt finden Sie in der Pressemitteilung:
https://www.uni-regensburg.de/pressearchiv/pressemitteilung/467272.html


Projektkoordination

Projektkoordination:

Prof. Dr. Peter Poschlod
Tel 0941 943-3108
Fax 0941 943-3106
Peter.Poschlod@ur.de
Prof. Dr. Christoph Reisch
Tel 0941 943-3131
Fax 0941 943-3106
Christoph.Reisch@ur.de



Projektbearbeitung:   

Theresa Lehmair Theresa-Anna.Lehmair@stud.uni-r.de
Ellen Pagel Ellen.Pagel@ur.de
Cornelia Straubinger Cornelia.Straubinger@ur.de
Eva-Rosa Wagner Eva-Rosa.Wagner@ur.de
Tel 0941 943-3123
T _bingen Ernaehrung Und LandwirtschaftBundesanstalt

Literatur

 1. Korneck, D., Schnittler, M., Klingenstein, F., Ludwig, G., Takla, M., Bohn, U., May, R. (1998) Warum verarmt unsere Flora? Auswertung der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. Schriftenreihe für Vegetationskunde 29:299–444.
 2. Cousins, S.A., Lindborg, R., Mattsson, S. (2009) Land use history and site location are more important for grassland species richness than local soil properties. Nordic Journal of Botany 27:483–489.
 3. Karlik, P., Poschlod, P. (2009) History or abiotic filter: which is more important in determining the species composition of calcareous grasslands? Preslia 81:321–340.
 4. Piqueray, J., Bisteau, E., Cristofoli, S., Palm, R., Poschlod, P., Mahy, G. (2011) Plant species extinction debt in a temperate biodiversity hotspot: community, species and functional traits approaches. Biological Conservation 144:1619–1629.
 5. Poschlod, P., Karlík, P., Baumann, A., Wiedmann, B. (2008) The history of dry calcareous grasslands near Kallmünz (Bavaria) reconstructed by the application of palaeoecological, historical and recent-ecological methods. Human nature: studies in historical ecology and environmental history. Institute of Botany of the Czech Academy of Sciences, Brno, CZ 130–143.
 6. Reisch, C., Scheitler, S. (2008) Disturbance by mowing affects clonal diversity: the genetic structure of Ranunculus ficaria (Ranunculaceae) in meadows and forests. Plant Ecology 201:699-707.
 7. Reisch, C., Poschlod, P. (2009) Land use affects flowering time: seasonal and genetic differentiation in the grassland plant Scabiosa columbaria. Evolutionary Ecology 23(5):753-764.
 8. Rudmann-Maurer, K., Weyand, A., Fischer, M., Stöcklin, J. (2007) Microsatellite diversity of the agriculturally important alpine grass Poa alpina in relation to land use and natural environment. Ann Bot 2:1531-1548.
 9. BMEL (Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft; 2013) Bodennutzung 2012. URL: www.bmelv-statistik.de/index.php (Abruf: 09.2013).
10.  Helm, A., Oja, T., Saar, L., Takkis, K., Talve, T., Pärtel, M. (2009) Human influence lowers plant genetic diversity in communities with extinction debt. Journal of Ecology 97:1329-1336.
11. Wesche, K., Krause, B., Culmsee, H., Leuschner, C. (2012) Fifty years of change in Central European grassland vegetation: Large losses in species richness and animal-pollinated plants. Biological Conservation 150:76–85.
12.  McKay, J.R., Christian, C.E., Harrison, S. Rice, KJ. (2005) "How local is local?" - A review of practical and conceptual issues in the genetics of restoration. Restoration Ecology 13:432-440

 


 



  1. Universität Regensburg
  2. Fakultät für Biologie und Vorklinische Medizin