Ihre Früchte – botanisch gesehen eigentlich Scheinbeeren - gibt die gewitzte Mistel nur scheinbar ungern den hungrigen Vögeln im Winter ab. Für die Misteldrossel erweist sich ein Teil ihrer Lieblingsspeise als recht unverdaulich: Die zähen Fruchthäute mit dem daran anhaftenden Samen werden nach kurzer Zeit ausgeschieden. Da die Früchte bis ins späte Frühjahr an der Pflanze verbleiben können, findet die Mönchsgrasmücke als Zugvogel auch im Frühjahr in ihnen Futter. Sie schlägt die Beeren an einem Ast auf und pickt das Fruchtfleisch heraus. Der Kern wird auf dem zukünftigen Wirt abgestreift. So tragen mehrere Vogelarten zur optimalen Verbreitung und Platzierung, aber auch Keimung der Mistelsamen bei, indem sich Pflanze und Vögel in ihren Zyklen komplementär zueinander verhalten. Die Entfernung des Fruchtfleisches, sei es durch die Magen-Darm-Passage oder mechanisch, ist eine Voraussetzung für die Keimung. Dies hat bereits vor über 2300 Jahren der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrast erkannt und in seinen Büchern zur Botanik festgehalten!
Missel Thrush, Turdus viscicorus [Misteldrossel]. In: The birds of Europe. Text: John Gould; Graphiken: Elizabeth Gould, Edward Lear. London 1837. Bd. 2. Tab. 77. Mit freundlicher Genehmigung der Smithsonian Libraries.
Dennoch kann die Mistel auch den Vögeln zum Verhängnis werden, wie der Lateiner zu sinnieren weiß: Turdus ipse sibi cacat malum.
Tubeuf, Karl von: Monographie der Mistel. München/Berlin 1923. S. 16.
Das äußerst klebrige Fruchtfleisch der Beeren wurde bis in die Neuzeit für Leimruten verwendet. Von Attrappen oder Futter angelockt, gingen die als Leckerbissen begehrten Vögel sprichwörtlich den Voglern auf den Leim.
Auf der linken Seite der Darstellung wird ein Vogelschwarm durch eine Attrappe angelockt. Die Vögel bleiben auf den mit Vogelleim beschmierten Ästen der Sträucher hängen. (Christoph Weigel d. Ältere: [Methoden des Vogelfangs]. Kupferstich, wohl um 1700. Provenienz unbekannt. UB Regensburg.)