Inhalt
Im Kosmos
Bild 1: Das Stück beginnt in unserem Sonnensystem. Dort beraten die Planeten mit der Sonne, warum die Sphärenharmonie nicht mehr stimmt. Die Sonne hat festgestellt, dass die Erde aus dem Takt geraten ist – bleibt nur die Frage: Warum? Als Experten hat die Sonne den Erdmond herbeigerufen und dieser klärt das Rätsel dann auf: Die Erde hat Menschen und dieses Ungeziefer irritiert sie so, dass sie sich nicht mehr auf ihre Drehungen konzentrieren kann. Jetzt braucht man natürlich eine Lösung zu diesem Problem; ein vorbeiziehender Komet, Konrad, wird auf den Weg geschickt, auf die Erde aufzuprallen und so die Menschen zu vernichten und das Problem zu beseitigen.
Auf der Erde
Bild 2: Professor Guck entdeckt bei seinen astronomischen Studien einen neuen Kometen, seine Freude verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, als er berechnet, dass dieser in vier Wochen die Erde treffen und vernichten wird. Er macht sich auf, die Menschheit zu warnen und den Weltuntergang mit einer Erfindung zu verhindern.
Bild 3: Die Journalisten berichten von dem bevorstehenden Weltuntergang wie von allen anderen Sensationen.
Bild 4: Bei seinem Versuch, die Menschheit zu informieren und zu retten, hat Professor Guck eine Audienz bei „Einem Führer“, der das Ausmaß dieser Entdeckung nicht erkennt und die und Guck nur für seine machtpolitischen Kalkül missbrauchen möchte.
Bild 5: In fünf Einzelszenen sieht man, wie die Menschheit mit der Nachricht über ihren Untergang umgeht. Sie vertrauen auf die Aussagen der Obrigkeit, glauben, dass der Weltuntergang nur die anderen treffen wird, überlegen sich, was man zum Weltuntergang am besten anzieht … Kurz, sie können sich nicht vorstellen, dass die Katastrophe wirklich sie trifft, planen munter ihr Leben nach dem Weltuntergang und leben ansonsten ihr kleines Leben mit ihren Träumen, Hoffnungen und Sorgen weiter.
Bild 6: Professor Guck hat seine Erfindung, um die Menschheit zu retten, vollendet, und versucht jetzt, irgendeinen Staat dazu zu bringen, sie zu bauen. Allerdings vergeblich, da er an schon der Dummheit, den Ressentiments und der Faulheit der kleinen Beamten scheitert, von denen er sich Genehmigungen erhofft.
Bild 7: Zwölf Stunden vor dem Auftreffen des Kometen auf der Erde irrt Professor Guck verzweifelt auf einer Straße umher. Nachdem er alles versucht hat, um die Menschen über die Situation aufzuklären, beobachtet er fassungslos, wie sie weiter ihren Geschäften nachgehen, singen, rauben, Selbstmord begehen. Ein lebendig gewordenes Plakat, die Titze-Tante, singt ihn mit einem Werbelied in den Schlaf. Aufgeweckt wird er von einem Wachmann, der ihm den Hinweis gibt, dass sich in Amerika Menschen versuchen, mit einem Luftschiff in Sicherheit zu bringen. Professor Guck fährt nach Amerika ...
Bild 8: Die Menschen, die sich retten wollen, sind ein immens reicher Großindustrieller mit seiner Frau und Sekretärin sowie ein Dichter und eine Filmdiva – sie haben den Ernst der Lage nicht im Geringsten begriffen und wollen nur ihre Aktien retten. Die Dinge, die Professor Guck zum Überleben der Menschheit mitgeben möchte, haben so keinen Platz mehr. Allerdings stellt sich heraus, dass der Erbauer dieses Luftschiffs ein Betrüger war, der nur das Geld ergaunern wollte und dass seine Passagiere - wie der Rest der Menschheit - , dem Untergang geweiht sind.
Bild 9: Eine Minute vor dem Auftreffen des Kometen auf die Erde zieht Professor Guck Bilanz.
… und wieder im Kosmos.
Bild 10: Die wütenden Planeten und die Sonne wollen von dem Kometen Konrad wissen, wieso der Plan nicht geklappt hat …
interpretation
Warum spielt man 2010 ein Stück von 1936, und zwar keinen Klassiker, keine überzeitliche Komödie, sondern ein Stück, das seine Zeitverhaftetheit in jeder Zeile, in jeder Replik und in jeder politischen und gesellschaftlichen Anspielung aufs immer Neue beweist?
Von den Notverordnungen, die stärker sind als die physikalischen Gesetze, über die Unterstellung einer „jüdischen“ Physik, die leider keine Überspitzung ist, sondern benutzt wurde, um Einsteins Relativitätstheorie zu disqualifizieren, bis zu dem „Schweiger“ (Karl Kraus) und der Anspielung auf sein Schweigen nach der Machtergreifung der Nazis 1933 – ein dichter, eng verwobener Teppich an satirischem Kommentar des Tagesgeschehens und Insiderwitzen.
War unsere Entscheidung, den "Weltuntergang“ von Jura Soyfer zu spielen, also nur der Freude, die Andeutungen zu entschlüsseln, und dem Vergnügen an dem satirischen Kommentar zur politischen Lage Mitte der dreißiger Jahre geschuldet?
Was uns an diesem Stück von Anfang an fasziniert hat, ist im Gegenteil die - nur leicht verborgene – Überzeitlichkeit des kritischen Blicks auf die Menschheit und das Gesellschaftssystem, in dem wir heute noch leben.
Denn für Zeitungen ist auch heute jede Meldung nur eine Meldung, egal, ob es sich um eine Umweltkatastrophe, einen Dopingskandal oder einen Mord handelt. Und berechnet wird die Relevanz dieser Meldung nach ihrer Neuigkeit und dann ist sie langweilig und muss nicht mehr weiterverfolgt werden.
Und Politiker jeder Coleur benutzen auch heute Erfindungen und Entdeckungen, um ihre machtpolitischen Ziele zu verfolgen.
Dass die Finanzmärkte in jeder Lage versuchen, ihre Gewinne zu maximieren und eine Einsicht in das Risiko und die Amoral des entfesselten Marktes nicht zu den Haupttugenden der Großkapitalisten gehört, haben wir wohl alle in den letzten zwei Jahren erfahren.
Und die Menschen? Die einfachen Leute? Heute wie vor knapp siebzig Jahren leben sie ihr Leben und vergessen die großen Katastrophen und Probleme der Welt hinter ihren Sorgen und Träumen und dem täglichen Bemühen, ein gutes Leben zu haben und zu führen.
So satirisch und böse, pointiert und überspitzt der Text von Soyfer sich auch präsentiert – getragen ist er von der Sympathie gegenüber diesen Menschen, von dem Verständnis für ihren Kampf ums Überleben. Und so lernt Professor Guck, der auf seiner Odyssee zur Rettung des Planeten und der Menschheit nur Figuren begegnet, die auf den ersten Blick Karikaturen sind, nachdem er seinen Elfenbeinturm verlassen hat: „Das alles ist äußerst merkwürdig. Die Menschen müssen sich offenbar so viel mit dem Leben herumschlagen, daß sie gar nicht dazu kommen, an den Tod zu denken.“
Und das ist eine Lehre für uns alle, die an der Universität Regensburg studieren, arbeiten oder forschen – die Wissenschaft ist für die Menschen da, und wenn die keine Kraft mehr haben, Entdeckungen ernst zu nehmen, sollten wir einmal untersuchen, was uns alle diese Kraft kostet.
Die Sympathie des Autors – und das ist wieder aus seiner Zeit heraus zu erklären – ist eine Sympathie mit einem sozialistischen, marxistischen Blick. Die Menschheit hat eine bessere Zukunft, wenn sie nur die richtige Gesellschaft wählt, denn eigentlich ist die Erde schön und der Mensch zum Guten fähig. Das klingt nun endgültig verstaubt und überholt: Aber hat sich nicht gezeigt, dass viele Menschen zusammen die Welt – zum Besseren – verändern können? Und sollten wir nicht gerade heute hin und wieder daran denken, dass unsere Welt schön und bewahrenswert ist?
Aber „Der Weltuntergang“ ist keineswegs moralinsauer, er mahnt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger; er zeigt uns einen rasant schnellen, ironisch-überspitzen Bilderbogen an Szenen. Wir haben diesen Text als Revue gesehen und interpretiert; als eine schnelle Folge von einzelnen Bildern, Liedern, Szenen, die zusammen ein Thema darstellen und kommentieren. Lassen wir also die knappe Rettung der Menschheit vor diesem Kometen Revue passieren – und fühlen wir uns nicht zu sicher …
rollen
Guck
Ein Führer
Britischer, französischer, deutscher, österreichischer Beamte
Mr. Wood
Rockford
Mrs. Rockford
Journalistin der NYT
Gwinnie Winston
Miss Violet
Sonne
Venus
Saturn
Mars
Mond
Komet Konrad
Weltuntergangsprediger
Titze-Tante
Selbstmörder
Diplomaten
Modedamen
Junges Mädchen
Wiener 1 und 2
Lora
Dieb
Alte Jungfer
Intellektueller Herr
Intellektuelle Dame
Straßensängerin
Straßensänger
Junger Mann
Wachmann
Stimmen von vier Journalisten
Lautsprecher
Photograph
autor
Jura Soyfer wurde am 8. Dezember 1912 in Charkow in der Ukraine geboren. Er war der Sohn eines jüdischen Industriellen und seine wohlbehütete, bürgerliche Kindheit endete mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. 1920 flieht die Familie, als die Bolschewiken die ukrainische Hauptstadt erreichen, über die türkische Grenze und lässt sich 1921 in der Nähe von Wien nieder.
Die gesellschaftliche Veränderungen der zwanziger Jahre machten den Fünfzehnjährigen über das Studium sozialistischer Schriften zum überzeugten Marxisten, eine Haltung, die durch die sich zuspitzende politische Situation in Österreich noch bestärkt wird. 1927 tritt er in den “Bund sozialistischer Mittelschüler Österreichs" ein. 1929 wird bei einem Aufenthalt in einer Ferienkolonie Soyfers satirisches Talent entdeckt, als er bei einer Lagerrevue mitmacht – und von da führt sein Weg in das politische Kabarett der sozialdemokratischen Partei. Er publiziert seine ersten Texte z. B. in der Arbeiter-Zeitung.
Nach seiner Matura im Jahre 1931 schreibt Soyfer sich an der Universität Wien in den Fächern Deutsch und Geschichte ein; auch um die Gegenwart verstehen zu lernen und über ein Studium der Germanistik zum Schriftsteller zu werden. 1932 wird er auf einer Reportage-Reise Zeuge der Zustände in Deutschland und prophezeit in einem Text “Die Zukunft Deutschlands ist nicht nur grau, sie ist feldgrau”.
Seine Texte in dieser Zeit sind politische Texte, Gebrauchstexte für den Kampf gegen den erstarkenden (Austro-)Faschismus und als solche dem Tagesgeschehen verhaftet und von der Agit-Prop-Kultur geprägt. Nach 1934 ändern sich die Produktionsbedingungen für ihn radikal; mit der Illegalisierung der Arbeiterbewegung und der Einführung der Zensur gingen für Soyfer einerseites viele Publikationsmöglichkeiten verloren, andererseits trat er aber auch der - illegalen – KPÖ bei.
So fand Soyfer mit seinen - satirischen – Mittelstücken - den Weg in die oppositionellen Kellertheater der politisch gewordenen Wiener Kleinkunst, die ein Gegengewicht zu dem harmlosen, geregelten Abonnementenbetrieb der großen Theater bildeten und ihre eigene Zeit kritisierten und zu verändern suchten.
Der Weltuntergang – sein erstes Mittelstück – wurde 1936 aufgeführt und warnt in seinem – prophetischen – Titel und Inhalt vor der menschgemachten politischen Katastrophe, die Soyfer nicht nur in dem Nachbarstaat Deutschland, sondern auch in Österreich näher kommen sieht.
Nach einer Verhaftung aufgrund einer Verwechslung, die allerdings die österreichische Polizei auf den gleichfalls oppositionellen Soyfer aufmerksam macht, wird er bei dem Versuch, auf Skiern über die Schweizer Grenze zu fliehen, mit seinem Freund Hugo Ebner am 13. März 1938 festgenommen. Sie werden nach Dachau gebracht und im Herbst nach Buchenwald überstellt.
Dort starb Soyfer am 16. Februar 1939 mit sechsundzwanzig Jahren an Typhus, nachdem er seine Entlassungspapiere und ein Visum in die USA erhalten hatte.
Bild und Informationen: Jura Soyfer: Das Gesamtwerk, hg. von Horst Janka, Wien, 1980, sowie weitere Informationen aus: Langmann, Peter: Sozialismus und Literatur. Jura Soyfer. Studien zu einem österreichischen Schriftsteller der Zwischenkriegszeit, Frankfurt am Main, 1986.