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DaF - Theatergruppe Babylon - Aufführungen - 2012

Von Bergamo bis morgen früh

eine kunstreiche Komödie in zwei Teilen

von Dieter Waldmann

im Theater an der Uni

vom 2. bis 6. Juli


Inhalt

Harlekin und Pierrot ziehen mit einer Truhe voller Kostüme auf der Suche nach ihren Schauspieler-Freunden eher plan- und orientierungslos durch die Welt. Während Pierrot sich in den fantasierten Erinnerungen an seine Freunde verliert, entdeckt Harlekin auf seiner Suche nach Brot und Wein eine Stadt und überredet Pierrot, mit ihm in diese Stadt zu gehen.

Teil 1
Als erstes begegnen die beiden Freunde dem Polizisten Scharmützel, der auf die Anordnung einer unpersönlichen Macht den Verkehr regelt – auch wenn keiner da ist. Nach diesen Anordnungen  muss der die beiden auch verhören, da sie als Vagabunden ohne eine Wohnung in die Stadt kommen. Im Laufe dieses Verhörs missversteht Harlekin zum einen die gesichtslose Macht in dieser Stadt als einen ominösen Herrn „Man“ , auf dessen Namen er auch seinen späteren Plan, an Geld und Essen zu kommen, aufbaut, und erhält zum anderen, nachdem er Scharmützel mit seiner Uniform auch von den Zwängen seines Amtes befreit hat, die Adresse seiner Wohnung, wo Scharmützels Frau Lucie unter der Hand Zimmer vermietet. Als die beiden vor dem Verkehr fliehen, bekommt Scharmützel „versehentlich“ die Uniform Scarramuzzas aus Pierrots Truhe und verwandelt sich in die Maske Scarramuzzas und den ersten Schauspieler aus Harlekins und Pierrots Truppe.
Als die zwei die Wohnung von Frau Lucie finden, stellt sich heraus, dass das Zimmer eigentlich noch vermietet ist – und zwar an einen Maler namens Leander Leander, den Lucie allerdings bald aus seinem Zimmer werfen wird, da er seit über einem Jahr keine Miete zahlt.
In die Verhandlung über Kost und Miete platzt Scharmützel, der als Scarramuzza seinen Posten verloren hat. Das Wiedersehen mit seinen alten Freunden Harlekin und Pierrot wird von den Schimpfkanonaden seiner Frau Lucie begleitet. Um diese zum Schweigen zu bringen, stülpen Harlekin und Pierrot ihr das Kostüm der Donna Lucia über. Als Donna Lucia, Scarramuzza, Harlekin und Pierrot erkennen die vier in dem Liebespaar Leander Leander und Elisabeth und dem reichen Pillenfabrikanten van der Hoos, Elisabeths Vater, und dessen Wunsch-Schwiegersohn, dem dummen Bankier Goldner, eine Möglichkeit, an Geld zu kommen.
Der Plan kann entstehen und umgesetzt werden, als Elisabeth vor dem Drängen ihres Vaters, Goldener zu heiraten, da er pleite ist, zu ihrem Geliebten Leander Leander flieht und mit ihm durchbrennen will. Die vier entzweien mit einer Schauspielerintrige das Liebespaar,  sie verwandeln Elisabeth mit dem Kostüm der Isabella in die Figur und schicken sie mit dem Plan zu van der Hoos zurück, ihren Leander eifersüchtig zu machen, indem sie in die Verlobung mit Goldner einwilligt.
Die Sekretärin von van der Hoos hat währenddessen mit Goldner angebändelt und ihn nach Hause begleitet. Während der Krisensitzung des Fabrikanten mit seinen drei Mitarbeitern, da sie eine Pille angekündigt haben, die von Krieg träumen lässt, ihnen aber die Formel zur Herstellung dieser Pille fehlt, versucht Elisabeth, ihrem Vater klar zu machen, dass sie Goldner heiraten wird und also seine Geldsorgen Vergangenheit sind. In diese Besprechung fällt der Anruf von Harlekin als Herr Man von der Regierung, der die Pillen – nach der „Formel“ eines abstrakten Gemäldes des Malers Leander Leander – gegen Kost und Logis in der Fabrik von van der Hoos produzieren will.
Isabella kann ihrem Vater endlich begreiflich machen, dass sie sich mit Goldner verloben wird, und als Goldner diese Nachricht per Telefon erhält, wirft er Fräulein Taube hinaus. Mit diesem Anfang der Umsetzung von Harlekins Plan endet der erste Teil.
Teil 2
Der zweite Teil beginnt an dem Abend von Isabellas Verlobungsfeier mit Goldner. Harlekin und Pierrot sind als Staatsrat und Professor zu der Feier geladen. Allerdings hat Pierrot, der seit Tagen in der Fabrik von van der Hoos Farben zusammenmischt, um die „Formel“ zu produzieren, Bedenken: Donna Lucia und Scarramuzza sind unberechenbar und irgendjemand wird ihrem Betrug auf die Schliche kommen.
Mit dem gestohlenen Bild, der „Formel“, treffen sie schließlich auf der Verlobungsfeier ein – und zuerst scheint alles gut zu gehen. Aber während der Feier verführt Fräulein Taube nun Leander Leander, als er vom Malen kommt, um mit einem Gegeneifersuchtsplan Goldner zurückzugewinnen und Isabella und Leander wieder zu versöhnen.
Isabella fällt in Ohnmacht, als sie die Untreue ihres Leander Leander bemerkt, und in der Folge wirft Leander Leander Fräulein Taube aus seiner Wohnung. Als Colombina wird sie von ihren Füßen auf van der Hooses Fest geführt und erkennt dort, dass Harlekin und Pierrot etwas im Schilde führen. Sie schmeichelt aus Pierrot den Plan heraus und Harlekin versucht seine Intrige zu retten, indem er sie von Scarramuzza und Donna Lucia verhaften lässt und alle anderen des Betrugs bezichtigt.
In diesen verzweifelten Rettungsversuch hinein explodiert Pierrots Farbengemisch: Der Hauptmann – einer von van der Hoos’ Mitarbeitern - geht zwar davon aus, dass es endlich Krieg gibt und die Probleme und Hindernisse der langweiligen Friedenszeit sich endlich lösen, aber die Explosion stellt sich als eine sanfte, gewaltlose und künstlerische Revolution durch Phantasie heraus. Während der Explosion verwandelt Pierrot Leander Leander mit dem Kostüm von Don Leandro in den Geliebten von Isabella und zeigt ihm, dass Harlekin sein Bild gestohlen hat, das als eine Farben und Formenphantasie in der Explosion seine Wirksamkeit entfaltet. Harlekin und Pierrot erklären in zwei Monologen den Sieg des ewigen (Theater-)Spiels gegen die graue Welt der Stadt und durch das Anziehen der Kostüme werden alle Figuren zu den alten Schauspielerfreunden, die Harlekin und Pierrot am Anfang gesucht haben. Sie erkennen Harlekin als ihren Prinzipal und ziehen weiter in die nächste Stadt, um dort ihr Stück ein weiteres Mal aufzuführen …


Interpretation

Ein Autor, der 1960 eine Komödie schreibt, in der die Figuren seines Stückes, die ja eh schon eine Illusion der Gegenwelt auf die Theaterbühne stellen, diese Gegenrealität der grauen, modernen Stadt verlassen und langsam zeigen, dass die Stoffe, die gespielt werden, ewig sind und auch die Menschen in ihrer Suche nach Liebe und Geld immer wieder auf die alten „Masken“ der Commedia dell’arte zurückzuführen sind – das klingt erstens kompliziert und zweitens sehr naiv und unzeitgemäß.
Schon im Titel „Von Bergamo bis morgen früh“ zeigt sich für uns diese ganze Poesie und auch das Programm dieser Komödie – in der Gegenwelt des Theaters verschwimmen Zeit- und Raumgrenzen und so kann man auch an einem Ort – Bergamo – wo die Commedia dell arte entstanden ist, beginnen und sich durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart und eine utopische Zeitankündigung – bis morgen früh – auf eine Reise in die Welt des Theaterspiels begeben, in der die Menschen und ihre Geschichten sich zwar immer auf die gleichen Träume und Ängste zurückführen lassen, sich zugleich aber auch in den zeitlosen Figuren der Commedia immer wieder selbst finden.

Eine reine Träumerei also? Eine Flucht aus der grauen Wirklichkeit der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts in der grauen BRD? Ein bisschen Droge für das Publikum der Wohlstandsgesellschaft?

Wir leben in einer anderen Welt und müssen uns erst wieder daran erinnern, welche Assoziationen und Ereignisse in der Suche nach einer „Formel, die vernichtet“ und dem Verkauf und der – scheinbaren – Herstellung dieser Formel steckte. Als Gründgens die Komödie inszenierte, war es gerade fünfzehn Jahre her, dass die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki bewiesen haben, was für Formeln die Menschheit in der Zwischenzeit produzieren kann und dass sie durchaus bereit ist, die Resultate zu verwenden. Es ist fünf Jahre nach der Gründung der Bundeswehr in der BRD und acht Jahre, nachdem die Kubakrise die Welt an den Rand des dritten Weltkriegs gebracht und den Menschen die reale Gefahr eines Atomkriegs vor Augen geführt hatte.

Und in dieser Welt des Kalten Kriegs explodiert auf der Bühne eine Formel und während der Hauptmann noch begeistert „Krieg!“ schreit, wirbeln Farben durch die Luft und es gibt ein Feuerwerk: Das Publikum stellt fest: es ist eine Explosion der Phantasie – und sieht – nach dem Hauptmann zumindest – „...ja eklig sanft aus“ .

Wir haben uns an die Existenz von Atomwaffen gewöhnt und auch die Meldungen, welche Staaten in der Zwischenzeit waffenfähiges Plutonium produzieren können oder wollen/sollen, wie viele Atomsprengköpfe in den Armeen der Atommächte einfach verlorengegangen sind und wer welches U-Boot womit ausstattet, werden  zur Kenntnis genommen. Die Bedrohungslage ist unübersichtlich geworden, Atomwaffen sind eine altmodische Gefahr und die Idee, alles in einer künstlerischen Farbenexplosion auflösen zu können, ist schon ein bisschen einfach.

Aber wenn wir uns die heutige Welt anschauen, hat die Kritik an der Sucht nach gekaufter und kaufbarer Individualität und Jagd nach den neusten Ersatzbefriedigungen und den Sensationen, die man kaufen kann, an Schärfe nur noch gewonnen. Und der graue Man, hinter dem sich so viele Anweisungen und Notwendigkeiten verstecken, ist noch viel ungreifbarer geworden und allgegenwärtig.

Aber „in die[sem] grauen Labyrinth“ beweist uns dieses Stück, dass die besten Sensationen nicht zu kaufen sind und dass allen Menschen die Möglichkeit zur Phantasie und zum Träumen gegeben ist .. und vielleicht – um in die Vergangenheit zurückzugehen – der Mensch immer noch nur dann ganz Mensch ist, wenn er spielt.


rollen

HARLEKIN (Komödiant)
PIERROT (Komödiant)
SCHARMÜTZEL (Polizist) – SCARAMUZZA
LUCIE (Scharmützels Frau) – DONNA LUCIA
VAN DER HOOS (Fabrikant) – PANTALONE
ELISABETH (van der Hoos‘ Tochter) ISABELLA
FRÄULEIN TAUBE (van der Hoos‘ Sekretärin) – COLOMBINA
LEANDER LEANDER (Maler, ELISABETHS Freund) – LEANDRO
GOLDNER (ein junger Bankier) – AURELIO
DER HAUPTMANN A. D. (Vertreter in van der Hoos‘ Fabrik) – IL CAPITANO
KÜCKE (Syndikus in van der Hoos‘ Fabrik) – PULCINELLA
DER DOKTOR (Betriebspsychologe in van der Hoos‘ Fabrik) – IL DOTTORE

Die Handlung spielt in einer Stadt.


Die Masken der Commedia dell Arte:
SCARAMUZZA
DONNA LUCIA
PANTALONE
ISABELLA
COLOMBINA
LEANDRO
AURELIO
IL CAPITANO
PULCINELLA
IL DOTTORE


Die Werbestimmen


Autor

Dieter Waldmann wurde am 20.5.1926 in Greifswald geboren. 1944 bis 1949 studierte er Germanistik, Romanistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg. Schon während seiner Studienzeit hatte er Kontakte zum Theater und arbeitete dann nach seinem Studium als Schauspieler und Journalist.

Er war der Sohn des Greifswalder Professors und Tierseuchenforschers Otto Waldmann, der einen Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche entwickelte und den er in seine Emigration nach Südamerika begleitete.
Dort arbeitete er zuerst als Zimmergeselle und Montagearbeiter, dann als Chemikalienvertreter und als Redaktionssekretär bei einem spanischen Zeitschriftenverlag. Seine ersten Schreibversuche unternahm er auf Spanisch und nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1958 wurde 1959 mit „Der blaue Elefant“ sein erstes abendfüllendes Stück aufgeführt.

“Für Gründgens war er der einzige deutschsprachige Gegenwartsautor, mit dem sich Furore machen ließ”. („Die Zeit”, 10.12.1971)
Gustav Gründgens inszenierte mit großem Erfolg 1960 seine Komödie „Von Bergamo bis morgen früh“, die als ein Gegenentwurf zu dem absurden Theater von Beckett und Ionesco konstruiert wurde, eine Interpretation, gegen die sich Waldmann allerdings verwehrte.
Es blieb auf dem Theater sein größter Publikumserfolg, mit der Märchen- und Räuberkomödie „Atlantis“ fiel er 1963 in Stuttgart durch: „Waldmann war in die Schere geraten, mit der die damalige Bühne aus dem Theater die Etiketten der „poetischen“ oder „absurden“ Dramen schneiden wollte.“ (Die Zeit, 10.12.1971).
Im Anschluss schrieb er mehrere Hörspiele und arbeitete als Drehbuchautor (z.B. die Tatortfolge „Cherchez la femme oder die Geister vom Mummelsee”) und zwischen 1967 und 1971 als Leiter einer Fernsehspielproduktionsgruppe des Südwestfunks, wo er ein gesellschaftskritisches TV-Programm entwickelte. In dieser Zeit schilderte er in satirisch überspitzer oder die Wirklichkeit abbildender Manier die Schicksale sozial benachteiligter Menschen, deren Würde im Mittelpunkt seiner engagierten Beschreibungen steht.
Für die Groteske „Das ausgefüllte Leben des Alexander Dubronski“ erhielt er 1967 den Adolf-Grimme-Preis. Da er perfekt Spanisch sprach, geht seine Aufarbeitung der Ausländer-Diskriminierung „Der Unfall“ auf tatsächliche Vorfälle zurück, von denen er in den Gesprächen mit ausländischen Arbeitnehmern erfuhr.

Als „Notar der Zeit“ („Die Welt”, zitiert nach „Der Spiegel”) produzierte er auch 1970 Ulrike Meinhofs „Bambule“ über das Schicksal von Heimkindern, das allerdings im Giftschrank statt auf den Bildschirmen landete, da Ulrike Meinhof schon verdächtigt wurde, an der Befreiung von Andreas Baader beteiligt gewesen zu sein. Das Stück wurde deswegen erst 1994 ausgestrahlt.

Als linker und kritischer Beobachter der Bundesrepublik in den sechziger Jahren war Waldmann auch Gründungsmitglied des „Verlags der Autoren“. In seinem letzten Text, der Kolumne „Alle meine Leichen“ im Spiegel, äußerte er sich über die zu kurz greifende Folgerung der Fernsehmacher, die Kriminalstücke förderten die Gewalt in der Gesellschaft und den Ruf nach süßlichen Romanzen im Stil der „Lovestory“.

Dieter Waldmann starb am 4.12.1971 mit erst 45 Jahren in Baden-Baden an einem Herzinfarkt, als er gerade Bier holen gehen wollte.

Literatur: TV-Filmlexikon. Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952-1992, Frankfurt am Main: 1994.
Nachruf in „Die Zeit” vom 10.12.1971, „Harlekins Wiederkehr” in „Der Spiegel” Nr. 2/1961, S.54-55) und der Nachruf in „Der Spiegel” 13.12.1971.




  1. Universität Regensburg

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