Zu Hauptinhalt springen

DaF - Theatergruppe Babylon - Aufführungen - 2019

"Atlantis"

eine träumerische Komödie in fünf Akten und einem Epilog

von Dieter Waldmann

im Theater an der Uni

vom 9. bis 13. Juli


Inhalt

Bild 1
Am Hof der verarmten Prinzessin Fenice diskutieren sie und ihre Amme Agrippina über angemessene Kleidung – ihr Hofstaat kommt dazu und möchte, dass sie heiratet, um sie alle vor dem Hungertod zu retten. Fenice möchte aber als Romantikerin nur einen Mann namens Fortunat heiraten, der auch ohne sie schon glücklich ist, weil sie zu viele Märchen über ihn gehört hat. Als sie wieder mit ihrer Amme allein ist, hört sie Grabegeräusche, von denen Agrippina denkt, dass sie eine Illusion sind. Es ist aber ein Mann, der sich in das Schlafzimmer von Fenice gräbt und von ihr als Fortunat identifiziert wird.

Bild 2
Vor dem Schloss treffen – aus verschiedenen Richtungen - Dirnen mit Gaunern zusammen. Sie kennen sich von früheren, gemeinsamen Gaunereien. Im Laufe Unterhaltung stellt sich heraus, dass die drei Gauner auf Fortunat warten; er ist nämlich ihr Anführer und wollte im Schloss nachsehen, ob es dort etwas zu rauben gibt. Das ist nicht der Fall, aber er hat sich in die Prinzessin verliebt und möchte ihr Fortunat werden, deswegen schickt er seine Räuberbande fort und möchte mit seinem Anteil an der früheren Beute Fenices Hof finanzieren.

Bild 3
An dem Hof werden die Hochzeitsvorbereitungen organisiert; Fortunat, der ‚Prinz von Atlantis‘, soll mit einer Allegorie auf seine glückselige Insel geehrt werden, was aber an der Musik der Bauern zu scheitern droht. Während die Wissenschaftler des Hofes den genauen Ort von Atlantis bestimmen wollen, verweist die Hofdame auf das Wunder. Agrippina ist strikt dagegen, dass Fenice heiratet ,und warnt vor der Unzucht. Fenice glaubt, dass sie ihrem Prinzen ihre Sprache beibringt und das aus Liebe so gut funktioniert, allerdings verrät sich Fortunat, als er sagt, dass die Musik klingt, wie wenn man jemanden zum Galgen führt, da ihm Fenice dieses Wort natürlich nicht beigebracht hat. Beim Herrichten des Hochzeitsmahles kämpft Agrippina mit der Versuchung, einen kostbaren Becher zu stehlen, um sich so ins Kloster einzukaufen, während Fenice darum fleht, dass sie sich ihre Illusionen bewahren und weiter in ihrem Liebestraum leben und die Realität ignorieren kann. Cato, der Räuberlehrmeister von Fortunat, leidet unter dem Verrat von Fortunat, und erzählt – auch der lauschenden Fenice – wie Fortunat diesen Becher gestohlen hat und enthüllt so die ganze Täuschung. Katrein, eine der drei Dirnen, gibt vor, die Zukunft voraussagen zu können – in dieser „Vision“ möchte sie Fortunat erpressen, Fenice – die die Drohung dank ihres Wissens auch versteht – lädt sie gegen Fortunats Willen ins Schloss ein. Die anderen Gauner und Dirnen werden mit den Schauspielern für die Allegorie verwechselt und werden so zu einen Teil des Hochzeitsfestes.  Die verrückte Agrippina versucht, das Fest zu verhindern, verliebt sich aber am Ende des Bildes in Cato, da er auch hinkt. Im Laufe des Festes identifiziert Fortunat die Gauner  - gezwungenermaßen - als seine Gefährten aus Atlantis.

Bild 4
Am Morgen nach dem Fest ist alles durcheinander, die Gauner und Dirnen sind dabei, die Herrschaft über das Schloss zu übernehmen und den Besitz der Höflinge zu stehlen, wobei sie sich auf die Sitten von Atlantis berufen.  Fortunat möchte die Gauner loswerden, indem er sagt, sie hätten ihn am Abend betrogen und getäuscht; Fenice enthüllt ihm, dass sie auch über seine Herkunft Bescheid weiß. Während er glaubt, dass sie ihn nun fortjagt, zwingt sie ihn im Gegenteil dazu, bei ihr zu bleiben. In diese Szene kommt der Hofstaat, der möchte, dass die Herren über die Diebstahlvorwürfe entscheiden. Die Entscheidung fällt zu Gunsten der Diebe, und Fenice bestimmt, dass alle miteinander leben werden; als aber die Hofdame Alienor droht, dass sie den Hof verlassen möchte, sind die anderen zu feige und bleiben.

Bild 5
Während sich Teile des Hofes und der Gauner mit der Situation arrangieren, warnt Cato auf der einen Seite vor drohender Gefahr und auf der anderen Seite gibt es eine Verschwörung des Hofes, die Gauner loszuwerden. Agrippina hat die Hochzeit mit Cato arrangiert, der verlässt sie aber.  Cato hat (mit Fortunat) die Flucht organisiert, indem sie Fenice betäuben. Fortunat kann sie aber nicht verlassen, ohne sich zu vergewissern, dass die Droge nicht zu stark war – und Fenice hat den vergifteten Wein nicht getrunken und vereitelt so den Fluchtplan. Fenice droht Cato, da er ihre Illusion zerstören möchte, Cato geht mit dem Dolch auf sie los und Fortunat verteidigt sie. Die anderen kommen herbeigeeilt; Fenice spricht von einem anonymen Anschlag und verordnet allen die Gesellschaft aller - in einem letzten Versuch, die Harmonie zu bewahren. Die drei Dirnen möchten fliehen, weil ihnen die Situation zu gefährlich ist – und bemerken dabei, das Agrippina alles gestohlen hat, was sie gestohlen haben. Sie trägt es zum Kloster und dadurch und den Verrat der Dirnen kommt es zur Verhaftung der Räuber durch den Profos, der mit seinen Truppen vor dem Schloss steht.
Epilog

Der Hof ist wieder verarmt und in völliger Lethargie, da die endgültig in ihrer Illusion gefangene Fenice mit allen Entscheidungen auf die Rückkehr von Fortunat wartet, der schon längst hingerichtet worden ist. Aus Ausweglosigkeit stirbt sie.




Rechte bei Suhrkamp Theaterverlag


Interpretation

Der Name „Atlantis“ lenkt unsere Erwartungen mit seinem Klang: Wir denken an eine versunkene Zivilasation, an eine Utopie oder an eine Gesellschaft, die untergegangen ist, weil sie für ihre Sünden bestraft wurde.
Auch wenn sich die Wissenschaftler (und viele Pseudo-Wissenschaftler) sowohl über die Lage als auch die Realität von Atlantis streiten, über den Zweck dieses Konzepts oder über die Idee hinter der Entwicklung von Gegenwelten - eines bleibt allen diesen Ansätzen gemeinsam.
Atlantis ist eine Gegenwelt, entrückt in Zeit oder Raum, unbekannt und nicht zu entdecken. Und für uns steht Atlanits auch für die unbezähmbare Sehnsucht des Menschen nach einem idealen Leben und einem idealen Land, in dem es keine Schmerzen, kein Leid und keinen Kummer mehr gibt und wir endlich in unseren Träumen leben können.

Und diese Idee erfüllt sich für die bettelarme Fürstin Fenice auf den ersten Blick und in den ersten Akten unseres Stückes: Atlantis kommt zu ihr, oder genauer gesagt ihr Traumprinz Fortunat, der Fürst von Atlantis, der sich durch die ganze Erde bis in ihr Schlafzimmer gegraben hat.
Und er ist nicht nur der Mann ihrer Märchen - ein Glückskind mit dem richtigen Namen und der passenden Persönlichkeit, er ist auch so reich, wie sie arm ist, und macht diesen Hof mit seinem Gold wieder glänzend und prächtig.

So weit, so kitschig - aber sehr früh erfahren die (immer ein bisschen klügeren) Zuschauer, dass dieser Fortunat, den Fenice sieht, nur ihre Illusion, ihr Traum von ihrem Leben und Glück ist.
In der Wirklichkeit des Stückes ist er ein verkrachter und kriminell gewordener Student, der jetzt als Anführer einer Räuberbande durch die Lande zieht und genau aus diesem Glücksrittertum heraus in die Geschichte hineingeraten ist.

Auch er erlebt etwas, was in seinem Plan nicht vorgesehen war: Er verliebt sich in dieses versponnene, sture und in seinen Illusionen nicht kurierbare Kind, das mit Gewalt und auf Biegen und Brechen seine Träume zur Realität machen möchte.

Das sind sie nun, in ihrer unmöglichen Liebe gefangen, die auf Lügen und Illusionen und Annahmen  beruht - wie jede Liebe - und deren echte Sorge und Zärtlichkeit doch in den Dialogen und in allen Brüchen und Ecken durchschimmert. Wir ahnen schnell, das wird kompliziert, vor allem da Fortunat nicht nur mit dem neuen Gefühl der Liebe zu Fenice, sondern auch mit seiner alten Freundschaft mit seinem Retter und Meister zu tun hat - und mit einer Räuberbande, einem eifersüchtigen Hofstaat und ein paar Dirnen.

Ein romantisch versponnenes Stück über Liebe also? Nein, nicht nur. Als es vor 55 Jahren uraufgeführt wurde, war die Reaktion nicht besonders begeistert - vielleicht war der Autor seiner Zeit um ca. 55 Jahre voraus.

Wir haben dieses Stück ausgewählt, weil man in den zähen Illusionen von Fenice, die sie verteidigt gegen jeden Einbruch der Wirklichkeit und alles bessere Wissen, und in ihrer Unfähigkeit, zuzuhören und zuzugeben, dass man sich seine Welt nicht nach seinem eigenen Belieben zurecht manipulieren kann, sehr stark an die Filterblasen und virtuellen Welten der Jetztzeit erinnert.

Nur in unseren sterilen und solipsistischen Träumen, nur in unseren glattgefilterten Social-Media-Profilen können wir perfekt sein und in einer perfekten Welt leben, wo alle so sind, wie wir es uns träumen.

Aber diese künstlichen Paradiese sind nicht das Atlantis, das wir suchen. Denn was Menschen suchen und wollen ist eine Akzeptanz, die im echten Leben stattfindet und die uns sieht und annimmt, durch all die Lügen und Täuschungen hindurch und in allen unseren lächerlichen, kleinen Träumen und Fehlern, für die wir uns manchmal ein bisschen schämen.

In diesem Stück kann man das nicht finden, aber die Weise, wie Liebe, Freundschaft und Verrat verhandelt wird, hat etwas zugleich Zeitloses wie Zeitgemäßes.

Man kann von diesem Stück lernen, noch viel genauer auf die eigenen Illusionen zu lauschen und die eigenen Motive zu prüfen, man kann sich auf die bittersüßen Liebesgeschichten einlassen - beleibe nicht nur die zwischen Fenice und Fortunat, man kann die Tugenden, die sich zu Lastern verdrehen ebenso verfolgen wie die Lasterhaften , die dann doch edel handeln.
 
Vor allem aber kann man in einem traurigen modernen Märchen das Glücksverlangen der Menschheit finden und die Warnung, es nicht in einer virtuellen Welt zu verorten.


Zum Autor

Dieter Waldmann wurde am 20.5.1926 in Greifswald geboren.1944 bis 1949 studierte er Germanistik, Romanistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg. Schon während seiner Studienzeit hatte er Kontakte zum Theater und arbeitete dann nach seinem Studium als Schauspieler und Journalist.

Er war der Sohn des Greifswalder Professors und Tierseuchenforschers Otto Waldmann, der einen Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche entwickelte und den er in seine Emigration nach Südamerika begleitete.
Dort arbeitete er zuerst als Zimmergeselle und Montagearbeiter, dann als Chemikalienvertreter und als Redaktionssekretär bei einem spanischen Zeitschriftenverlag.

Seine ersten Schreibversuche unternahm er auf Spanisch und nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1958 wurde 1959 mit „Der blaue Elefant“ sein erstes abendfüllendes Stück aufgeführt.

“Für Gründgens war er der einzige deutschsprachige Gegenwartsautor, mit dem sich Furore machen ließ”. („Die Zeit”, 10.12.1971)
Gustav Gründgens inszenierte mit großem Erfolg 1960 seine Komödie „Von Bergamo bis morgen früh“, die als ein Gegenentwurf zu dem absurden Theater von Beckett und Ionesco konstruiert wurde, eine Interpretation, gegen die sich Waldmann allerdings verwehrte.
Es blieb auf dem Theater sein größter Publikumserfolg, mit der Märchen- und Räuberkomödie „Atlantis“ fiel er 1963 in Stuttgart durch: „Waldmann war in die Schere geraten, mit der die damalige Bühne aus dem Theater die Etiketten der „poetischen“ oder „absurden“ Dramen schneiden wollte.“ (Die Zeit, 10.12.1971).
Im Anschluss schrieb er mehrere Hörspiele und arbeitete als Drehbuchautor (z.B. die Tatortfolge „Cherchez la femme oder die Geister vom Mummelsee”) und zwischen 1967 und 1971 als Leiter einer Fernsehspielproduktionsgruppe des Südwestfunks, wo er ein gesellschaftskritisches TV-Programm entwickelte. In dieser Zeit schilderte er in satirisch überspitzter oder die Wirklichkeit abbildender Manier die Schicksale sozial benachteiligter Menschen, deren Würde im Mittelpunkt seiner engagierten Beschreibungen steht.
Für die Groteske „Das ausgefüllte Leben des Alexander Dubronski“ erhielt er 1967 den Adolf-Grimme-Preis. Da er perfekt Spanisch sprach, geht seine Aufarbeitung der Ausländer-Diskriminierung „Der Unfall“ auf tatsächliche Vorfälle zurück, von denen er in den Gesprächen mit ausländischen Arbeitnehmern erfuhr.

Als „Notar der Zeit“ („Die Welt”, zitiert nach „Der Spiegel”) produzierte er auch 1970 Ulrike Meinhofs „Bambule“ über das Schicksal von Heimkindern, das allerdings im Giftschrank statt auf den Bildschirmen landete, da Ulrike Meinhof schon verdächtigt wurde, an der Befreiung von Andreas Baader beteiligt gewesen zu sein. Das Stück wurde deswegen erst 1994 ausgestrahlt.

Als linker und kritischer Beobachter der Bundesrepublik in den sechziger Jahren war Waldmann auch Gründungsmitglied des „Verlags der Autoren“. In seinem letzten Text, der Kolumne „Alle meine Leichen“ im Spiegel, äußerte er sich über die zu kurz greifende Folgerung der Fernsehmacher, die Kriminalstücke förderten die Gewalt in der Gesellschaft, und den Ruf nach süßlichen Romanzen im Stil der „Lovestory“.

Dieter Waldmann starb am 4.12.1971 mit erst 45 Jahren in Baden-Baden an einem Herzinfarkt, als er gerade Bier holen gehen wollte.

Literatur: TV-Filmlexikon. Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952-1992, Frankfurt am Main: 1994.
Nachruf in „Die Zeit” vom 10.12.1971, „Harlekins Wiederkehr” in „Der Spiegel” Nr. 2/1961, S.54-55) und der Nachruf in „Der Spiegel” 13.12.1971.


Rollen

Fenice, eine junge Fürstin

Gräfin Alienor, eine ältere Hofdame

Comtesse Marialune, eine sehr junge Hofdame

Kanzler Gamaliel, ein alter Mann

Rat Cresecque, ein Mann in den besten Jahren

Marschall van Gouda, ein junger Mann

Agrippina, hinkende Wärterin der Fenice

Fortunat, ein junger, gut aussehender Mann aus gutem Hause

Schlüssel-Cato

Spieler-Klas

Schläger-Guy,          Diebe

Peronelle la Belle

Ydre die Katze,          Dirnen

Sudkatrein, Ydres alte Mutter

Musikanten, Stallburschen und Bedienstete

 

Die Handlung spielt vor und in einem kleinen Landschloß im flandrisch-wallonischen Grenzgebiet, zur Zeit der Frührenaissance.



  1. Universität Regensburg

Theatergruppe Babylon

Andreas Legner
Christine Kramel
Dr. Armin Wolff

Babylonlogo 2018

Kontakt

E-Mail