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Nachruf auf Franz Heiduk (1925-2023)
Die frühen und die späten Jahrzehnte seines langen Lebens hätten einen weniger gefestigten Menschen als Franz Heiduk in Verzweiflung oder Trübsinn treiben können. Zunächst waren es „die Verhältnisse“, die ihn daran hinderten, das zu tun, was er wollte und konnte. Als er zu studieren begonnen hatte – nicht Sprache und Literatur, sondern das Bauwesen –, wurde er in den Krieg, an die Ostfront kommandiert, wurde verwundet, dann gefangengenommen und östlich des Ural in Zwangsarbeit zermürbt. Als Kranker durfte er 1949 in das übriggebliebene Deutschland zurück. Der Vater, aus Breslau vertrieben, war dabei, in der Oberpfalz sein Baugeschäft neu zu gründen, und als Franz gesundheitlich wiederhergestellt war, half er ihm dabei. Aber bald war ihm klar, dass er kein Bauunternehmer sein wollte. 28 Jahre war er alt, als er das Abitur erwarb, und 40, als er nach einem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie, das sich durch Krankheit und Weggang von Prüfern verzögerte, an einem Frankfurter Gymnasium endlich in Amt und Würden war.
Aus dem hessischen Schuldienst wechselte er rasch in den bayerischen, weil Paul Stöcklein ihn gebeten hatte, den 75-jährigen Karl Schodrok in Würzburg bei der Leitung des Kulturwerks Schlesien und der Eichendorff-Stiftung zu unterstützen. Er folgte dem Wunsch. Mitglied der Eichendorff-Stiftung war er schon während des Krieges geworden, aber zu Schodrok hatte er von Anfang an ein kritisches Verhältnis. Er sah in ihm einen glänzenden Kommunikator ohne wissenschaftliche Ambitionen, dem Eichendorff vor allem als Fahnenträger des Schlesiertums und des Katholizismus diente. Schlesier und Katholik war Heiduk auch, aber er wollte Eichendorff anders gewürdigt sehen. In drei Jahren rang er Schodrok das Placet zur Trennung von Kulturwerk und Eichendorff-Stiftung ab. Sich selbst konzentrierte er auf letztere und verwandelte sie, ebenfalls mit Schodroks Zustimmung, in eine literarische Gesellschaft. Das war auch die Voraussetzung, unter welcher der gerade emeritierte Münchner Ordinarius Hermann Kunisch sich bereitgefunden hatte, die Präsidentschaft zu übernehmen. Schodrok wurde Ehrenpräsident, Heiduk Geschäftsführer. Auf ihm ruhte nun die Hauptlast der Gesellschaft. Seine Wohnung wurde deren Agentur, Cockpit, Archiv und Bibliothek. Die Tätigkeit der Gesellschaft konzipierte er neu, den bisherigen Almanach „Aurora“ verwandelte er in ein wissenschaftliches Jahrbuch. Der Nürnberger Verleger Heinrich G. Merkel, ein Freund Schodroks, der auch Heiduks Freund wurde, sorgte großzügig für ein Startkapital der Gesellschaft, aber Planung und Finanzierung ihrer Aktivitäten blieben abenteuerlich. Die Eigenmittel aus Mitgliedsbeiträgen reichten bei weitem nicht, viele Bittgänge zu den Kultusministerien waren zu unternehmen. So gelang es, in zweijährigem Turnus wissenschaftliche Kongresse, bald auch mit Germanisten aus dem Ausland, zu halten. Den letzten der neun von Heiduk organisierten, 1988 in Bonn, konnte er mit einer Aufführung von Pfitzners Eichendorff-Kantate festlich krönen. Die Aurora gab er bis 1977 allein, bis 1989 zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern heraus.
1990 wurde er pensioniert und beendete auch seine ehrenamtliche Tätigkeit für die Gesellschaft – aber nicht die für Eichendorff. Durch eine glückliche Fügung war dies die Zeit der Wende, und nun öffneten sich Räume, die der Eiserne Vorhang weitgehend verschlossen hatte. Mit großer Willenskraft und listiger Menschenkenntnis machte er sich daran, mit der findigen Sibylle von Steinsdorff in Tschechien verschollene Handschriften, Gedenkstücke und Ahnenbilder zu erwerben. Mit Zustimmung und Hilfe der Behörden und der Bevölkerung gelang es, in Schlesien Erinnerungsorte und Gedenkstätten der Familie Eichendorff wiederherzustellen, zu sanieren, manchmal sogar mit dem Detektor aufzuspüren und auszugraben.
Heiduks literaturwissenschaftliche Arbeit hatte nicht mit Eichendorff begonnen. Bei Stippvisiten an der Universität Bonn traf er in den frühen sechziger Jahren auf Richard Alewyn, der mehr nachdachte als schrieb. Aber geschrieben hatte er über Angelus Silesius, Richard Beer und höfische Feste, und er gewann, geradezu en passant, Heiduks Interesse für den Barock. Als der gerade nach Frankfurt berufene Paul Stöcklein davon erfuhr, bestimmte er Hoffmannswaldau als Thema der Examensarbeit. Bei Stöcklein promovierte er auch, aber die Dissertation schrieb er erst in Würzburg, neben seiner beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeit, oft in Nachtstunden. In der Druckfassung heißt sie „Die Dichter der galanten Lyrik“. Es sind Studien zu den Autoren, deren Texte in den sieben Bänden der Neukirchschen Sammlung vorliegen. Später gab Heiduk die Lyrik von Erdmann Neumeister und die Werke von Hoffmannswaldau heraus und verfasste biographische Artikel über Hölmann, Neukirch und Scheffler.
Für das Deutsche Literatur-Lexikon schrieb er mehr als 300, für das von ihm allein verfasste Oberschlesische Literatur-Lexikon mehr als 2000 Artikel. Er enthält sich dabei jeder Wertung und Deutung; seinem Lexikon gibt er mit Recht den Untertitel „Biographisch-bibliographisches Handbuch“. Die „Kunst der Interpretation“ war nicht sein Metier. Er schaute den Interpretationskünstlern und Kommentatoren auf die Finger und rügte sie unerbittlich, cum ira et studio, wenn überprüfbare Sachaussagen nicht stimmten. Einen späten Aufsatz überschrieb er „Nugae“ – auf Deutsch: unnützes Zeug, Flausen. Er findet sie in vorliegenden Kommentaren zu Eichendorffs Tagebüchern, u. a. zum „Wien-Fragment“. Vor allem Wilhelm Kosch, immerhin einen Doyen der Eichendorff-Philologie, und diejenigen, die ihn „unkritisch übernommen haben“, nimmt er aufs Korn. Viele ihrer Kommentare nennt er „ungereimt, erstaunlich mangelhaft, wenn nicht unbegreiflich“, und er belässt es natürlich nicht bei einem summarischen Tadel, sondern berichtigt und ergänzt die Getadelten seitenlang. Das im Wiener Fragment nicht genannte, aber beschriebene Fest identifiziert er zum Beispiel als Fronleichnamsfest und datiert es auf den 13. Juni 1811, die Träger des Namens Krause, die nicht auseinandergehalten werden, identifiziert er. In diesem konkreten Fall konnte er es selbst „besser machen“: zusammen mit Ursula Regener wurde ihm die Neuedition von Eichendorffs Tagebüchern in der Historisch-Kritischen Ausgabe übertragen.
In den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens ging ihm allmählich verloren, was er für das Leben „dazwischen“ gebraucht hatte. Schon, dass er nicht mehr Auto fahren konnte, schränkte seine Aktionen in Schlesien ein, dann nahmen die körperliche und die geistige Beweglichkeit ab. Seine Kinder aber blieben ihm nahe und hilfreich, und wenn er von seinem Sohn im Rollstuhl bei hellem Licht durch die Straßen von Würzburg gefahren wurde, ging es ihm gut.
In der Zeit, in der er tun konnte, was er wollte, war er nicht müßig. Werke und Daten hat er geborgen, wiederhergestellt, bewahrt. Germanistische Flausen hat er gerügt und korrigiert. Ohne ihn wäre die Eichendorff-Gesellschaft nicht das geworden, was sie vier Jahrzehnte lang war. Am 8. Januar 2023 hat er uns verlassen.
Volkmar Stein
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Gründungsgeschichte, Verlauf und Ziele der Eichendorff-Gesellschaft e.V.
Liste der HKA (= Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet von Wilhelm Kosch und August Sauer, fortgeführt und hg. von Hermann Kunisch (†) und Helmut Koopmann)
Über AURORA, das Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft und weitere Veröffentlichungen der Eichendorff-Gesellschaft können Sie über die nebenstehend angegebene Adresse Informationen erhalten.
Als zusätzliche Jahresgabe war unsere Heftreihe "APROPOS EICHENDORFF. Kleine Beiträge zur klassisch-romantischen Zeit" gedacht (erschien unregelmäßig).
Die Bände der Ausgabe: Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet von Wilhelm Kosch und August Sauer, fortgeführt und hg. von Hermann Kunisch (†) und Helmut Koopmann können Sie über den Buchhandel beziehen.
»Eichendorff in seiner Zeit« | MÜNCHEN (6.–8. April 1972) |
»Eichendorff in der Musik« | REGENSBURG (26.–28. September 1974) |
»Die Bildsprache der deutschen Romantik« | KÖLN (14.–17. Juli 1976) |
»Literatur und Staat in Preußen zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms III.« | BERLIN (12.–15. Juli 1978) |
»Kultur und Kulturpolitik des Habsburger Reiches im Spiegel der Literatur (1809–1848)« | WIEN (9.–12. Juli 1980) |
»Literatur und bildende Kunst in der Zeit der deutschen Romantik« | WÜRZBURG (14.–17.Juli 1982) |
»Eichendorff und seine Gegner« | AUGSBURG (12.–15. Juli 1984) |
»Eichendorff im 20. Jahrhundert« | ERLANGEN (17.–20. Juli 1986) |
»Eichendorff zwischen Romantik und Moderne« | BONN (30. Juni – 3. Juli 1988) |
»Schiller und die Romantik« | MARBACH (5.–8. Juli 1990) |
»Europa in der Romantik – Die Romantik in Europa« | TRIER (17.–20. September 1992) |
»Dresden – eine Residenzstadt der Künste zur Zeit der Romantik« | DRESDEN (14.–17. Juli 1994) |
»Kunst – Literatur – Religion zur Zeit der Romantik« | BAMBERG (11.–14. Juli 1996) |
»Studenten, Dichter, Taugenichtse – Romantische Lebensformen« | JENA (18.–20. Juni 1998) |
»Romantische Kulturmodelle« | MARBURG (25.–28. Mai 2000) |
»Dämonen - Geister - Wiedergänger« | HEIDELBERG (13.–16. Juni 2002) |
»›Wir alle sind, was wir gelesen‹. Zur Intertextualität der Romantik« | BAYREUTH (13.–16. Mai 2004) |
»Eichendorff wiederfinden«. Vorüberlegungen zu einer Ausstellung im Gedenkjahr 2007 | FRANKFURT AM MAIN (27.–28. Oktober 2006) |
»›Mythos - Kult - Ritual‹. Eine Archäologie romantischer Mentalität« | REGENSBURG (2.-4. Oktober 2008) |
»Romantische Räume. Strukturelle, semiotische und kulturgeschichtliche Aspekte der romantischen Raumgestaltung« | REGENSBURG (7.-9. Oktober 2010) |
1974 | Professor Dr. Oskar Seidlin (Bloomington, USA) Schulrat Karl Schodrok (Würzburg) |
1976 | Professor Dr. Paul Stöcklein (Frankfurt am Main) Verleger Heinrich G. Merkel (Nürnberg) |
1978 | Professor Dr. Keiichi Togawa (Tokio) Lt. Bibl.-Direktor Dr. Hans M. Meyer (Würzburg) |
1980 | Professor Dr. Robert Mühlher (Wien) |
1982 | Professor Dr. Elisabeth Stopp (Cambridge) Dr. Franz Heiduk (Würzburg) |
1984 | Professor Dr. Klaus Köhnke (Johannesburg) Dr. Volkmar Stein (Büdingen) |
1986 | Ilse Aichinger (Frankruft am Main) Horst Bienek (Ottobrunn) Professor Dr. Egon Schwarz (St. Louis / USA) |
1988 | Professor Dr. Gerhard Schulz (Melbourne) Verleger Georg Bensch (Sigmaringen) |
1992 | Professor Dr. Wolfgang Frühwald (München) |
1994 | Professor Dr. Günther Debon (Heidelberg) |
1998 | Professor Dr. Eberhard Haufe (Lübeck) |
2000 | Professor Dr. Christoph Perels (Frankfurt am Main) |
2002 | Wolfgang Herbst (Max Niemeyer Verlag, Tübingen) |
2004 | Dr. Sibylle von Steinsdorff (München) (Laudatio) |
2006 | Irmela Holtmeier (München) (Laudatio) |
2008 | Dr. Günther Schiwy (Wörthsee) (Laudatio) |
2010 | Professor Dr. Hermann Korte (Siegen) |
1982 | Dr. Roger Paulin (Cambridge) |
1984 | Dr. Ansgar Hillach (Frankfurt am Main) |
1986 | Professor Dr. Alfonsina Janes (Barcelona) |
1988 | Dr. Richard Littlejohns (Birmingham) |
1990 | Dr. Marek Zybura (Wrolaw/Breslau) |
1994 | Harry Fröhlich (Augsburg) Dr. Andreas Lorenczuk (Erlangen) |
1996 | Dr. Ursula Regener (Augsburg) |
1998 | Dr. Johannes Endres (Trier) |
2002 | PD Dr. Jürgen Daiber (Trier) |
2008 | Thomas Petraschka M.A. (Regensburg) |
2010 | Vera Bachmann M.A. (München) |
2012 | Florian Scherübl (Regensburg) |
1986 | "Von der Romantik zur Revolution. Düsseldorfer Graphik zu Eichendorffs Zeit" |
1987 | "Annäherungen an Eichendorff. Aquarelle von Renate Hoffmann-Korth" |
1988 | "Ich bin mit der Revolution geboren ... Joseph von Eichendorff. 1788-1857" |
1989 | "Friedrich von Spee und Joseph von Eichendorff. Ein rheinischer Barockdichter in romantischer Sicht" |
1991 | "Mozart-Rezeption im Eichendorff-Kreis" |
1992 | "Handschriften und Dokumente Joseph von Eichendorffs im Besitze der Eichendorff-Gesellschaft" |
1994 | "Dresden - Eine Residenzstadt der Künste zur Zeit der Romantik" |
2007 | "Eichendorff wieder finden" |
Otto Föll: Taugenichts-Zyklus
Beate Ditsche-Klein: Joseph von Eichendorff - Wünschelruten im Kopf
Beitrag zum Oskar-Seidlin-Preis 2010 von Herrn Markus Setzler: (Reise-)Bewegungen und (Schiff-)Brüche zwischen (T-)Raumgärten und Schlösser. Raumschreibungen in Joseph von Eichendorffs Novelle "Eine Meerfahrt"
Ein junger Musikverlag aus Halle/Saale, der sich der Wiederbelebung bzw. Wahrung der Dichtkunst verschrieben hat, vertont oft und gerne - neben eigenen Texten - Gedichte des geschätzten Dichters Eichendorff. Schauen Sie sich hier doch mal um.
Vom 26.11. bis 30.11.2007 strahlte der SWR in der Sendung "Musikstunde" den Themenschwerpunkt "Schläft ein Lied in allen Dingen... Joseph von Eichendorff und die Musik" aus. Mitschnitte können Sie direkt beim SWR erwerben:
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76522 Baden-Baden
Tel: 07221-929 6030
Fax: 07221-929 4511