Die politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte weist die längste Tradition im Fach Politikwissenschaft auf. Sie beschäftigt sich aus historischer und philosophisch-systematischer Perspektive mit politischen Grundfragen und politischen Phänomenen und nimmt die wissenschaftstheoretischen und theoretischen Grundlagen des Fachs in den Blick. Es lassen sich vier Bereiche untergliedern:
Spätestens seit der Antike befassen sich Menschen systematisch mit politischen Fragen. Die Geschichte der politischen Ideen ist im Grunde eine historische Disziplin. Es ist aber in Deutschland üblich, sie der politischen Theorie zuzuordnen – und dies mit gutem Grund: Sie beschäftigt sich mit der Entstehung, Entwicklung und Wirkung der Vielzahl politischer Ideen, die Menschen im Laufe der Geschichte entwickelt haben. Die politische Ideengeschichte ist damit zugleich ein wesentlicher Teil der Wissenschaftsgeschichte der Politikwissenschaft insgesamt. Ihre Ergebnisse liefern insofern für alle Teildisziplinen des Faches einen historisch gewachsenen Fundus an Ideen, Argumenten, Begriffen, Interpretationen und Fragestellungen, der immer auch das Potenzial bietet, Gegenwartsperspektiven, Begriffe oder Analysekategorien in Frage zu stellen, neu zu denken oder fruchtbar anzureichern.
In der politischen Philosophie geht es nicht nur darum, wie Politik ist, sondern auch, wie sie sein sollte. Welche politischen Ziele sind wichtig, und welche sind – unter bestimmten Bedingungen – sinnvoll oder angemessen? Welche Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sind – unter welchen Umständen – moralisch zu rechtfertigen? Das sind zwei der allgemeinsten normativ-theoretischen Fragen, mit denen sich politische Philosoph*innen auseinandersetzen. Zur politischen Philosophie zählt darüber hinaus die Analyse begrifflicher Fragen, die mit normativen Fragen untrennbar verknüpft sind: Was ist sinnvollerweise gemeint mit dem Wort "Demokratie", wenn damit (heutzutage) in der Regel der einzige für legitim gehaltene politische Systemtyp bezeichnet wird? Welches sind ihre tragenden Ideen und Werte? Der Fokus der politischen Philosophie liegt nicht auf der Geschichte von Ideen, sondern darauf, Erkenntnisse zu normativ-politischen Fragestellungen zu gewinnen. Die Analyse historischer Quellentexte und der darin archivierte historische Fundus an Ideen, Argumenten, Begriffen und Fragestellungen bildet dafür jedoch eine zugleich wertvolle und unverzichtbare Basis.
Grundlage für die Beantwortung politikphilosophischer Fragen ist die Entwicklung und vor allem die Begründung von Wertmaßstäben; die politische Philosophie hat insofern notwendigerweise einen engen Bezug zur Moralphilosophie. Ein anderer notwendigerweise sehr enger Bezug besteht zur Rechtsphilosophie, da Politik wesentlich mit dem Beschließen und Durchsetzen verbindlicher gesellschaftlicher Entscheidungen, also mit der Gestaltung von Rechtsnormen und Rechtssystemen befasst ist.
Politische Philosophie kann mit dieser begrifflich-normativen Grundlagenarbeit auch praxisbezogenes Orientierungswissen für die Beurteilung und Gestaltung von Politik erarbeiten: Auf Orientierungswissen dieser Art zielt man, wenn man sich bspw. mit Fragen nach dem sogenannten „gerechten Krieg“, der politischen Gestaltung emergierender Technologien oder der Frage einer Gerechtigkeit zwischen den Generationen beschäftigt.
Als positive politische Theorie bezeichnet man die allgemeinen theoretischen Grundlagen für die empirische Politikwissenschaft, die Identifikation relevanter Betrachtungseinheiten (Individuen, Gruppen, Staaten, Institutionen, Normen, Systeme?) und die Erarbeitung analytischer Modelle.. Empirische politische Theorien haben das Ziel, politische Phänomene zu erklären, ggf. auch vorherzusagen. Die positive politische Theorie liefert das gedankliche Instrumentarium dafür und bildet folglich die Grundlage der Forschung in den anwendungsorientierten Teildisziplinen, etwa im Bereich Internationale Politik oder Analyse und Vergleich politischer Systeme. Der Teilbereich der Politischen Philosophie, Theorie und Ideengeschichte kann trotz seines insgesamt stärker auf das Verstehen und Beurteilen zielenden Erkenntnisinteresses durch historische und analytisch-systematische Perspektiven auch zu dieser Theorie-Arbeit beitragen.
Auf einer noch grundlegenderen Ebene ist die Wissenschaftstheorie der Politikwissenschaft zu verorten. Für die gesamte Politikwissenschaft stellen sich Fragen wie: Was ist überhaupt (politikwissenschaftliches) Wissen? Welche Methoden sind auf bestimmte Probleme anwendbar? Welche Voraussetzungen und Einschränkungen sind mit der Wahl einer bestimmten Methode verbunden? Die Wissenschaftstheorie der Politikwissenschaft befasst sich mit diesen Fragen. Sie untersucht, was die Politikwissenschaft zur Wissenschaft macht, welche politikwissenschaftlichen Methoden wissenschaftlichen Standards genügen etc. Die Politikwissenschaft wird damit selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion. Ein wichtiges Ziel der Wissenschaftstheorie ist es, Wissenschaft und Spekulation gegeneinander abzugrenzen und Kriterien für die Wissenschaftlichkeit politikwissenschaftlicher Arbeit aufzustellen. Eine politisch bewusste und gesellschaftlich verantwortliche Politikwissenschaft setzt zudem voraus, das spannungsreiche Verhältnis von Wissenschaft und Politik zu reflektieren (bspw. Wissenschaftsfreiheit als Voraussetzung guter Wissenschaft; ethisch-politische Grenzen der Wissenschaft [Humanexperimente]; Politisierbarkeit der Wissenschaft [auch in der Politikberatung]; normative Expertise in pluralistischen Demokratien; etc.).
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