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Mitteilungen der Universität Regensburg

Schön? Hässlich? Sehnsuchtsort?

„Den Balkan in Bildern neu denken“: UR-Studierende kuratieren Ausstellung mit Fotografien des früheren Stern-Korrespondenten Harald Schmitt


7. Juni 2023

„Südosteuropa in Bildern neu denken“ war der Titel des Hauptseminars von PD Dr. Heike Karge, Historikerin und Koordinatorin des Bachelorstudiengangs Südosteuropastudien an der Universität Regensburg und Professor Dr. Ulf Brunnbauer, Historiker und akademischer Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) im Wintersemester 2022/23 an der Universität Regensburg. 14 Studierende kuratierten im Kontext des Seminars in zwei Semestern eine Ausstellung mit Balkan-Bildern des Stern-Fotografen Harald Schmitt, die noch bis 23. Juni 2023 in der Universitätsbibliothek Regensburg zu sehen ist.


Studentische Ausstellungskurator*innen an der Universität Regensburg mit Fotograf Harald Schmitt.

Die Brille Biographie

Ein nicht einfaches Experiment sei der Ansatz von Seminar und Ausstellung gewesen, resümiert Historikerin Karge, aber offensichtlich ein lohnendes: „Wir waren neugierig auf die Geschichten der jungen Generation.“ Sie selbst und ihr Kollege Ulf Brunnbauer „kennen Südosteuropa seit über einem Vierteljahrhundert. Unsere Vorstellungen vom Balkan sind biographisch geprägt, sind verknüpft mit der Zeit, in der wir ihm begegnet sind“. „Manches was die Studierenden sehen, war für mich überraschend“, berichtet Karge. „Meine Brille waren die Kriege in der Region, ich bin biographisch und akademisch mit ihnen erwachsen geworden.“

Nun sollte eine andere Generation, die der derzeit Studierenden, lesen, interpretieren, verwerten und die Bilder zu Geschichten zusammenbringen, neue Narrative zu ihnen finden. In den Sitzungen des Seminars diskutierten die Studierenden eigene und fremde Klischees, fanden „den Balkan“ manchmal schön, manchmal hässlich. Sie schrieben Essays, die sich im Umfeld der Bilder lesen lassen und den Betrachtenden eine Vielzahl von Impulsen geben. Der Kuratierungsprozess wurde von Moritz Mauderer, UR-Student, auch filmisch festgehalten.
Bei der Ausstellungseröffnung (v. l.) Dr. Aleksandra Salamurović, Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, Carolin Finkeldey, Harald Schmitt, Dr. Heike Karge.

Sammlung Schmitt in der BSB

Wie „der Balkan“ vielleicht aussieht, zeigen die Bilder von Harald Schmitt, ehemals Korrespondent des Magazins Stern, der zur Ausstellungseröffnung an der UR aus Hamburg angereist war. Er erzählt mit seinen Fotografien die Geschichte einer Region mit vielen offenen Wunden, nicht verheilten Grenzkonflikten, noch immer zerstörten Gebäuden, die Streetart und Graffiti tragen. Schmitt zeigt diesen Balkan ebenso wie seine Landschaften und Menschen.  Seit dem Jahr 1977 bereiste er Ost- und Südosteuropa, Zentralasien, das Baltikum. Er fuhr in die Sowjetunion, und dann eben auch nach Jugoslawien und Albanien. Zwischen 2015 und 2019 ging er fünfmal auf Reisen.
Schmitt erzählt Geschichten einer journalistischen Sehnsuchtszeit, in der das Motiv, das Geschichtenerzählen den Ausschlag gab, nicht „was das kostet“, sagt Schmitt, der 35 Jahre lang beim Stern tätig war und in dieser Zeit an die 100 Länder bereiste: „Wir suchten uns in jedem Land ein anderes Thema – von Märkten über Hochzeiten bis Blutrache.“ Als er vor drei Jahren wieder einmal nach Mostar reiste, resümiert Schmitt nachdenklich, „wurde mir aber auch irgendwie klar: Ich hätte mich mehr mit den Kriegen beschäftigen müssen. Dieser Irrsinn, wenn nebeneinanderliegende Länder miteinander kämpfen - das wollte ich noch einmal nebeneinanderlegen.“

Schmitts Stern-Fotosammlung und seine privaten Bilder befinden sich heute im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB), für die Caroline Finkeldey das Regensburger Publikum begrüßte. Die BSB verstehe sich nicht zuletzt als Gedächtnisinstitution, die Wissen nicht nur bewahren, sondern auch gerne zugänglich mache. So 2021/22, als Bilder von Helmut Schmitt bereits in München unter dem Titel „Facing the Balkans“ gezeigt wurden. „Wir wollten vielfältige Gesichter des Balkans zeigen und uns auch den Stereotypen und den Vorurteilen stellen“, berichtete Finkeldey, die sich freute, dass neue Perspektiven auf die Bilder mit dem Projekt entstanden sind und neue Fragen aufgeworfen werden.

Amina Smajlović.

Wahrnehmungen

Bevor Historiker Brunnbauer die Ausstellung offiziell eröffnete, skizzierte UR-Studentin Amina Smajlović ihren Blick auf das Seminar: Den Balkan aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, neu zu entdecken sei das Ziel gewesen, erzählte die Studentin, ausgehend von Assoziationen mit der Region und der Frage aller Fragen: Welche Länder gehören nun eigentlich zum Balkan? Die Heterogenität der Studierenden im Seminar habe schnell deutlich gemacht, „dass jeder von uns die Region mit ganz verschiedenen Dingen verband“, berichtete Smajlović, „niemand hatte eine neutrale Sicht“.

So assoziierten viele beim Stichwort „Balkan“ spontan „hässlich, rückständig, instabil“. Andere Wahrnehmungen seien „schöne Urlaube, gutes Essen, gastfreundliche Menschen“ gewesen. Dass man damit der Vielfalt des Raumes nicht gerecht werde, so die Studentin, habe man schnell bemerkt. Globalisierungskontexte seien deutlich geworden, in Themen wie Flucht, städtische Erscheinungsbilder, neue Seidenstraße oder Grenzsicherung. Die in Gruppen bearbeiteten Themen reichten von menschlicher Flexibilität und Anpassungsfähigkeit über alte und neue Heimat(en) bis hin zu Game of Thrones, der Ästhetik des Hässlichen und der Sehnsucht nach unberührter Natur, über die Smajlović selbst ihren Essay geschrieben hat.

twa.

Fotos: Stefanie Aufschnaiter & Tanja Wagensohn

Informationen/Kontakt

Die Ausstellung „Den Balkan in Bildern neu denken“  ist ein Projekt von Studierenden der Universität Regensburg, des UR-Instituts für Geschichte in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Regensburg, der Bayerischen Staatsbibliothek, seeFField und IOS. QR-Codes in der Ausstellung führen zu den ungekürzten Essays der Studierenden und ein Film gibt Einblick ins Seminar.

Zu PD Dr. Heike Karge

Zu seeFField A Small but Fertile Field. Strengthening Southeast European Studies in Regensburg

Zu Prof. Dr. Ulf Brunnbauer

Aktuelles aus der Universitätsbibliothek Regensburg

Zur Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek „Facing the Balkans“ 2021 

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