Das Thema der Collage zieht sich von zwei Seiten durch das Leben von Imre Tóth: einerseits durch seine Tätigkeit als Künstler, bei der er Collagen erschuf, bevor ihm diese als künstlerische Ausdrucksform bekannt waren und andererseits durch seine Arbeit in der Wissenschaftsgeschichte. Er war nicht nur Mathematiker, sondern auch Philosoph und Philologe. Obwohl diese Fähigkeiten für die Beschäftigung der antiken Mathematik essentiell sind, gibt es heute nur noch wenige, die sich in allen drei Bereichen so gut auskennen, wie Imre Tóth es tat. Schon als Jugendlicher las er philosophische Texte, die er gerne mit Freunden diskutierte. Nach dem Abitur studierte er Mathematik und Physik und promovierte anschließend zum Parallelenproblem im Corpus Aristotelicum. In den Lehrveranstaltungen konnte er seine Interessen verknüpfen und vertiefen.
In den folgenden Jahren setzte er sich intensiv mit der antiken Mathematikgeschichte und der Geschichte der nichteuklidischen Geometrie auseinander. Als Wissenschaftshistoriker interessierte er sich insbesondere für die Erkenntnistheorie und die Grundlegung der Mathematik. Dabei entwickelte er die These, dass nicht-euklidische Geometrien bereits in der antiken Mathematik der Griechen angelegt war, zumindest als logische Möglichkeit. Diese These verdeutlicht seinen unkonventionellen Ansatz und brachte ihm auch viel Kritik ein.
Im Laufe seines Lebens baute sich Imre Tóth ein internationales Netzwerk an Kontakten und Freundschaften auf. Diese reichten von Siena und Neapel in Italien, über einen Forschungsaufenthalt an der École Normale Supérieur in Paris bis nach Princeton in den USA, wo er am History of Science Program der Princeton University zu Gast war und als Fellow am Institute for Advanced Study. Noch heute erscheinen in Italien Publikationen von ihm, sein Nachlass befindet sich in Siena.
Imre Tóth beschäftigte sich jedoch nicht nur durch seine wissenschaftliche Arbeit mit der Mathematikgeschichte der Antike. Er war durch und durch künstlerisch veranlagt und betätigte sich immer auf die eine oder andere Art kreativ: zum einen bemalte und verzierte er selbst kleinste Objekte aus seinem Umfeld, wie etwa einen Salzstreuer. Zum anderen war er ständig auf der Suche nach passenden Materialien für ein neues Projekt. Diese verwendete er dann in seinen Collagen, Skulpturen oder Erfindungen. Sein eigenes Werk präsentierte er beispielsweise 1989 in der Universitätsbibliothek in einer Ausstellung über Kunstwerke Regensburger Professorinnen und Professoren.
Doch auch wenn seine Kunst bald einen eigenen Status entwickelte und er sie sogar in Italien ausstellen durfte, hatte sie für Imre Tóth eine tiefere, persönliche Bedeutung: Die Kunst bot ihm ein Ventil, um die traumatischen Erfahrungen des Holocausts aufzuarbeiten und eine Möglichkeit, sich den Themen seiner Forschungen von einer anderen Seite zu nähern.
Hösle, Vittorio (2021): Imre Tόths Collagen, in: Becker, Andreas und Christian Reiß (Hrsg.): Imre Tóth (1921–2010) und die Institutionalisierung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg (Schriftenreihe des Universitätsarchivs Regensburg, Bd. 3), Regensburg: Universitätsverlag Regensburg.
Probst, Siegmund und Karine Chemla (2021): Der Wissenschaftler Imre Tóth, in: Becker, Andreas und Christian Reiß (Hrsg.): Imre Tóth (1921–2010) und die Institutionalisierung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg (Schriftenreihe des Universitätsarchivs Regensburg, Bd. 3), Regensburg: Universitätsverlag Regensburg.
Wenninger, Eleyne (2021): Imre Tóth: Collage eines Lebens, in: Becker, Andreas und Christian Reiß (Hrsg.): Imre Tóth (1921–2010) und die Institutionalisierung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg (Schriftenreihe des Universitätsarchivs Regensburg, Bd. 3), Regensburg: Universitätsverlag Regensburg.