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Mitteilungen der Universität Regensburg

Gegen die Fundamentalist:innen

Gender-Gerechtigkeit in globaler Perspektive – Dr. Nontando Hadebe ist derzeit Gast bei Prof. Dr. Ute Leimgruber


28. Juni 2022

„Gesellschaften“, sagt Dr. Nontando Hadebe, „brauchen Visionen“. Letztlich sei irgendwann alles möglich. Man müsse nur die Geduld aufbringen, sich selbst und die Dinge am Laufen zu halten. So wie Nelson Mandela: “It always seems impossible until it's done.” Es ist ein besonderer, fröhlicher Idealismus, den die Autorin und Theologin vom St. Augustine College in Südafrika versprüht. Derzeit ist sie Gast an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik der Universität Regensburg im Rahmen des Programms des bayerischen Wissenschaftsministeriums zur Gewinnung internationaler Gastprofessor:innen. Sie forscht und lehrt gemeinsam mit Gastgeberin Professorin Dr. Ute Leimgruber, die sich sichtlich über die Zusammenarbeit freut, zu Geschlechtergerechtigkeit in globaler Perspektive.

Am 2. Juli reist Nontando Hadebe weiter nach Genf zur 50. Konferenz des UN-Menschenrechtsrats (United Nations Human Rights Council), bei der die weltweite Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen und am öffentlichen Leben und der Stellenwert der Gleichstellung der Geschlechter und der Selbstbestimmung aller Frauen und Mädchen auf allen Kontinenten auf der Agenda stehen. Sie ist zum zweiten Mal in Präsenz dabei, in den vergangenen Jahren fanden die Sitzungen pandemiebedingt online statt. Als feministische Theologin und Mitglied des Global Interfaith Network wird Nontando Hadebe diesmal an einem Panel mit dem Titel „Rechte, Religion und Widerstand“ teilnehmen. Gemeinsam mit ihren Mitstreitrer:innen wird sie dabei religiösen Gruppen entgegenwirken, die das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit gegen Frauenrechte und gegen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität einsetzen.

Dr. Nontando Hadebe (l.) und Prof. Dr. Ute Leimgruber (r.). Foto: twa/UR

Ihr Einsatz für Menschenrechte, Diversität, Gender-Gerechtigkeit, gegen Unterdrückung, Sexismus, Homophobie ist immerwährend, sagt Nontando Hadebe. In fragilen konfliktbehafteten Staaten sind diese Themen eine besondere Herausforderung, in der katholischen Kirche ebenso. Weltweit. „Gender-Themen rufen noch immer Feindseligkeit und Fundamentalisten auf den Plan,“ sagt Nontando Hadebe, „auf allen Kontinenten“. Und sie fügt hinzu: „Als Theologinnen müssen wir dafür sorgen, dass die Stimmen von Frauen gehört werden.“ Unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Status. Als Mitglied der Gruppe afrikanischer Theolog:innen für den Bereich Synodalität wird sie dafür auch bei der Weltsynode in Rom im Oktober 2023 sorgen: Als Mitglied der südafrikanischen Catholic Women Theologians hat sie Zusammenkünfte von Frauen organisiert und ihre Geschichten eingesammelt und an die Diözese von Johannesburg weitergereicht. 170 Frauen haben dabei über ihre Erfahrungen mit der katholischen Kirche berichtet.

Die Menschen hören

Nontando Hadebe ist es wichtig, dass die Menschen selbst sprechen können, dass sie direkt zu Gehör bringen, was sie aus ihrem Alltag zu berichten haben, im Sinne eines „concrete reality based approach“. Theologie sei direkt im Leben der Menschen verankert, ist ihre tiefe Überzeugung. „Das Konzept kontextualisierter Theologie hat mich als Studentin geformt“, sagt sie über ihre Studienzeit, die auch von Apartheid geprägt war. Ihre persönliche multiethnische Familiengeschichte skizziert sie im Gespräch auf einem Blatt Papier: Geboren wurde sie in der zweitgrößten Stadt Simbabwes, in Bulawayo. Ihre Mutter stammt aus Botswana, es gibt Vorfahren aus KwaZulu-Natal. Heute lebt Nontando Hadebe in Johannesburg.

Zuletzt hat sie mit Kolleginnen ein Buch zu den Erfahrungen afrikanischer Frauen in der COVID-19-Pandemie herausgegeben. Auch hier kommen die Frauen selbst zu Wort, in Berichten, Lyrik oder Formen der Liturgie. Ein ähnliches früheres Projekt Hadebes setzte sich mit dem Thema Gender im Kontext von Aids/HIV auseinander: So räumte sie in ihrer Dissertation 2013 mit dubiosen kirchlichen Behauptungen auf, HIV sei eine Krankheit, die die Unmoralischen bestrafe, und machte die besondere Vulnerabilität von Frauen als die Gruppe der von der Krankheit am meisten Betroffenen deutlich.

Nontando Hadebe ist Mitglied in verschiedenen Organisationen, so im Circle of Concerned African Women Theologians, Catholic Women Preach oder Future Church, begleitet Schulungsprogramme, etwa zu Reaktionen der Kirchen auf Gewalt gegen LGBTQ-Personen. Sie moderiert eine wöchentliche Radiosendung zu Gender-Fragen mit dem Titel „Das Leben mit Dr. Nontando betrachten“ auf Radio Veritas, dem einzigen katholischen Radiosender in Südafrika. Ihre Maxime: „Doing theology!“

Diskriminierung ist individuell

„Gender is very much also an African struggle“, sagt Nontando Hadebe: „Frauen waren und sind aber überall überproportional diskriminiert.“ Zentral dabei sind die Wechselbeziehungen, das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen, ein Phänomen, das als „Intersektionalität“ beschrieben wird. Rassismus, Antifeminismus, Altersdiskriminierung, Sexismus, Ableismus/Disablismus – kaum eine Form der Diskriminierung taucht isoliert auf, daher betrachtet die Forschung zunehmend ihre Interdependenzen und Überkreuzungen, die intersections. Junge Women of Colour erfahren häufig Rassismus und gleichzeitig Sexismus. Ein körperlich beeinträchtiger Obdachloser wird anders perzipiert als einer ohne. Es gibt viele Überkreuzungen.

Das Erkenntnisinteresse der Intersektionalitätsforschung gilt unter anderem auch den Dynamiken dieser Überkreuzungen - im Hinblick auf das jeweilige Individuum oder im Hinblick auf Machtverhältnisse. So setzt Nontando Hadebe das Thema Geschlechtergerechtigkeit in Bezug zu Ökologie, LGBTQ oder Menschen mit Behinderungen. Prägend und immer präsent ist im afrikanischen Kontext zusätzlich das historische Erbe des Kolonialismus, das Machthierarchien und Ungleichheit in besonderer Weise bis in den heutigen Alltag beeinflusst. Diese Thematik begleitet Arbeit und Forschung der international tätigen Theologin. Unter anderem forschte sie an der Santa Clara University - Jesuit School of Theology im kalifornischen Berkeley und als Fulbright-Scholar-in-Residence am Emmanuel College in Boston, Massachusetts. Dort publizierte sie zu afrikanischer Erfahrung und kontextueller Theologie als Reaktion auf Gender, Aids/HIV und Armut.

If you educate a woman

Intersektionalität, Situiertheit und Kontextualität, da sind sich Nontando Hadebe und Ute Leimgruber einig, haben im Kontext katholischer Kirche und katholischer Theologie eine ganz besondere Dimension. Es sind für die katholische Kirche recht unbequeme Themen, die die beiden Theologinnen aufgreifen und gegen deren Instrumentalisierung sie sich wehren. Wenn Nontando Hadebe das Thema LGBTQ in Afrika aufgreift, begegnet ihr ständig das Narrativ, dass dies doch ein Thema des Westens sei. Wenn Ute Leimgruber zu sexuellem Missbrauch von Ordensfrauen in Deutschland forscht, begegnet ihr die Auffassung, dass so etwas vor allem in den Ländern des globalen Südens existiere. „Auch in den USA oder Europa gibt es solchen Missbrauch“, sagt Ute Leimgruber. „Bei Gender-Themen spielt man da die einen gegen die anderen aus, auf dem Rücken der Frauen.“

Welche Vision hat Nontando Hadebe für die afrikanischen Gesellschaften? Was sieht sie als besondere Herausforderungen der Zukunft? „Wir müssen die Ressourcen des Kontinents so verteilen, dass sie möglichst vielen Menschen nutzen“, lautet die leidenschaftliche Antwort. Sie versteht sich in der Tradition der Befreiungstheologie, will Wege finden, die Ressourcen-Verteilung inklusiv zu gestalten. Zentral dabei sind die Unterstützung von Local Ownership (Selbst- und Eigenverantwortung auf lokaler Ebene) und Empowerment von Mädchen und Frauen, ihre Rolle, ihre Möglichkeiten, ihr Selbstvertrauen stärken.

Dazu will Nontando Hadebe mit ihrer Arbeit, Forschung und Lehre beitragen. Zum Abschied zitiert sie noch eine in humanitären Kreisen oft verwendete Redewendung: “If you educate a man, you educate one person. If you educate a woman, you educate a community.” Nickt, lacht herzlich, nimmt einen tiefen Schluck Basilikum-Limonade und macht sich gemeinsam mit Ute Leimgruber auf den Weg ins nächste Seminar. 15 der 17 teilnehmenden Studierenden sind weiblich.

twa.

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