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Mitteilungen der Universität Regensburg

Avocados, Beef, and Wood

Durch Raum und Zeit der Lieferketten: Nachhaltigkeit lässt sich kartieren


20. Mai 2022

Ein Steak vom Grill mit Guacamole? Wer sich aus der Perspektive der Wirtschaftsgeographie und mit Blick auf Nachhaltigkeit an den Tisch setzt, wird sich die Augen reiben. Joshua Newell, Associate Professor an der School for Environment and Sustainability der University of Michigan (U-M) und derzeit Gastprofessor am Leibniz-WissenschaftsCampus Europe and America in the Modern World, fragt gemeinsam mit seinen Kolleg:innen der Urban Sustainability Research Group nach Produktionsbedingungen, Lieferketten und ihren Folgen. Für Städte, für Räume.

In seinem Gastvortrag „Tracking the Economic Geography of Commodities: Avocados, beef, and wood” im Rahmen der IOS Economics Seminar Series Anfang Mai an der Universität Regensburg skizzierte Newell Studierenden und Kolleg:innen drei Fallstudien, die er mit seiner Forschungsgruppe bearbeitet (hat): Speist sich der Handel mit Holz aus Russland aus nachhaltigen Quellen? Woher kommt Nordamerikas Guacomole? Und: Was haben die Fleisch-Lieferketten des größten US-amerikanischen Supermarktes Costco und Umweltgerechtigkeit in Kalifornien miteinander zu tun?                            Foto: twa/UR

 Tracking Corporate Actors across Time and Space

„Ich habe mich immer dafür interessiert, wo die Dinge herkommen, die ich esse“, sagt Joshua Newell. Die Gesellschaften des industrialisierten Westens distanzieren sich aus Sicht des Wirtschaftsgeographen viel zu sehr von ihren Nahrungsmitteln und Konsumgütern: „We need ethics of distancing.“ Für Newell nicht zuletzt aus Umweltgründen unabdingbar.

Seine Forschung setzt bei den weltweit größten Konzernen an, denen, die unseren globalen Alltag begleiten – von Royal Dutch Shell, Ikea und Nike zu Volkswagen, Microsoft, Gazprom oder Nestlé. Relevant sind diese Unternehmen für Newells Team nicht nur wegen ihrer Größe, sondern auch, weil ihre Produktion(sstätten) in bestimmten Regionen und innerhalb großer Bevölkerungseinheiten liegen: Sie lassen soziale Missstände oder Umweltschäden, die durch Produktion entstehen, relativ schnell und gut erkennen.  Es zeichnet sich auch ab, dass die Analyse solcher Probleme zum Umdenken in den betroffenen Konzernen führen kann. Studien wie die der Urban Sustainability Research Group werden auch von den Konzernen meist positiv bewertet, berichtet Josh Newell, die Wissenschaft werde als neutrale Partei respektiert. Newell sieht „changes in behavior“, etwa hinsichtlich der Transparenz der Firmenpolitik oder in veränderten Lieferketten. Im Idealfall entstehe so auch gesellschaftlicher Wandel.


Wieviel Wasser braucht Nahrungsmittelproduktion im weltweiten Durchschnitt? Eine US-Gallone entspricht etwa 3,79 Litern. Quelle: Josh Newell / Water Footprint Network.

Methodisch bedienen sich die Umweltgeograph:innen der U-M des „Tracking Corporate Actors across Time and Space (TRACAST)“. Die Idee ist, Lieferketten zu kartieren und Hotspots an besonders problematischen Orten zu finden. Dabei helfen „life cycle assessment“, die Analyse von Handels- und Ökobilanzen, GIS-Daten oder Jahresberichte ebenso wie NGO-Berichte oder Interviews mit Beschäftigten und Umfragen. Diese Daten bergen Herausforderungen – sprachlicher Natur etwa, oder weil sie vor Veröffentlichung anonymisiert wurden, oder weil sich die Firmen innerhalb der Lieferketten verändern.


 
Quelle/Grafik: Goldstein, B., & Newell, J.P. (2020). How to track corporations across space and time. Ecological Economics, 169, 106492

Travelling with Beef and Timber
Josh Newell hat sich intensiv mit der Frage nach Holz aus Russland beschäftigt und ist mit dem Holz gereist, von Russlands Fernem Osten nach Japan. Eine Kollegin seines Teams folgt den Avocados von New Mexico in die USA, von der Farm bis in den Supermarkt. Ein weiteres Mitglied der Forschungsgruppe recherchiert die Bedingungen, unter denen der Supermarkt-Gigant Costco sein Fleisch produziert. Immer ein Thema: Umweltschäden, Tierwohl, (soziale) Missstände, die die Arbeiter:innen gar nicht umreißen. Häufig begegnen die Wissenschaftler:innen auch Phänomenen, denen sich meist eher die Sozial- und Gesellschafswissenschaften intensiver widmen, etwa Korruption, Good Governance und Lobbyismus.

Worauf stößt die Urban Sustainability Research Group? Avocado-Anbau in eigentlich zu schützenden Biosphären; massive COVID-Ausbrüche in Schlachthöfen mit prekären Arbeitsverhältnissen; Kühe, die zu schwach sind, um zu stehen und denen in 200 Tagen 300 Pfund mit Mais auf die Rippen gefüttert werden – in „Concentrated Animal Feeding Operations“.  Über allem schwebt der Klimawandel, den die Nahrungsmittelproduktion an- und die Treibhausgasemissionen in die Höhe treibt.

Die Folgen spüren vor allem die Menschen in Zentralamerika, im Amazonas-Gebiet, in Brasilien. Aber auch in Kalifornien, wo sich die höchste Luftverschmutzung über den riesigen Feedlots messen lässt, auf denen die Rinder gehalten werden. In deren Umgebung gibt es deutlich mehr Krankheit: Meist leben dort die Arbeiter:innen, die auf den Schlachthöfen arbeiten. Auch das weisen die Umweltgeograph:innen empirisch nach. Eine wichtige Erkenntnis für das interdisziplinäre Publikum: Stadtforschung und Forschung zu Städten, alles, was wir kaufen und essen, ist nie losgelöst von dem, was in anderen Regionen, Ländern, auf anderen Kontinenten passiert.

Informationen/Kontakt

Zu Joshua Newell

Zur Forschungsgruppe Urban Sustainability Research Group, School for Environment and Sustainability, University of Michigan

Leibniz ScienceCampus Europe and America in the Modern World

Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS)

Kommunikation & Marketing

 

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