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Mitteilungen der Universität Regensburg

"Warum das Neue Testament erforschen?"

Internationales (Post-)Doktorand*innenkolloquium und Seminar der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe Beyond Canon_ (FOR 2770)


12. Juni 2023

Forschungsprojekte und die Zukunft der Forschung zum Neuen Testament: Themen internationaler Early Career Scholars bei einer Tagung der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe Beyond Canon_, die vom 17. bis 20. Mai 2023 im Haus Johannisthal in der Oberpfalz tagte. Dr. Judith König, Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl von Professor Dr. Tobias Nicklas, Lehrstuhlinhaber für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments an der Universität Regensburg und Generaldirektor der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe Beyond Canon_, hatten die Tagung gemeinsam mit Dr. David Cielontko von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Karls-Universität Prag organisiert. Die Teilnehmer*innen kamen von der Universität Regensburg, der Karls-Universität Prag und der Trinity Western University (TWU) bei Vancouver, Kanada, unter der Ägide von Professor Dr. Thomas R. Hatina, Chair des Departments of Religious Studies an der TWU und Gastprofessor an der Karls-Universität Prag.

Early-Career-Konferenz von Beyond Canon_ mit (v.l.) Prof. Thomas Hatina, Prof. Tobias Nicklas, Dr. Mari Mamyan, Dr. Elisa Manzo, Marina Čakić, Naomi Rey, Stu Talene und Marko Jovanović.

Von einem (fast) unbekannten antiken Autor zur Theorie der „parting(s) of the ways“

Im Seminar präsentierten die Doktorand*innen und Postdocs ihre thematisch breitgefächerten Projekte: Stu Talene, TWU und Doktorand an der Karls-Universität, untersucht das Marcion-Evangelium sowie die Abfassung der Lukas-Akten und stellte fest: "Bedeutende Autoren beschreiben die Welt nicht, sie verändern sie." Dr. Elisa Manzo, Postdoktorandin der spanischen Margarita Salas Foundation, stellte den Zuhörer*innen den spätantiken Historiker und Theologen Orosius vor. In ihrem Projekt verbindet Manzo historische, theologische und exegetische Forschung und beschrieb ihre Herangehensweise als das Vorangehen mit einer Fackel, während sie versuche, Raum zwischen den Worten von Orosius' Texten zu schaffen und zu erhellen, um exegetische Bedeutungen zu entdecken. Dabei betonte sie: "Der Kontext ist immer entscheidend, ohne dass dabei aber das eigentliche Produkt, also der Text, vergessen werden darf."

Professor Dr. Tobias Nicklas charakterisierte Orosius als "einen Künstler, der mit dem Medium der Bibel gemalt“ habe. Sein Doktorand Marko Jovanović präsentierte seine Dissertation; er stellte die Modelle und Theorien des sogenannten „parting(s) of the ways“ von Christentum und Judentum, die immer wieder kontrovers diskutierte Kritik an diesem Ansatz sowie Modelle der Verflechtung vor und schloss mit einer Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Verwendung von Modellen allgemein.

Auch armenische Manuskripte werden in Regensburg erforscht

Dr. Mari Mamyan, seit 2019 Postdoc bei Beyond Canon_, derzeit mit DFG-eigener Stelle, forscht im Rahmen ihres Projektes am Armenian Infancy Gospel. Mamyan erläuterte, wie der Vergleich von verschiedenen Überlieferungen eines Textes aus unterschiedlichen Handschriften und die Analyse aller Variationen, Auslassungen und Ergänzungen – z. B. die Verwechslung grafisch ähnlicher oder ähnlich klingender Wörter – neue Ergebnisse und Aspekte der Textgenese und ihrer Variationen in Übersetzungen zu Tage fördert.

Die semantische Verschiebung des Wortes ὥστε (so dass, dadurch) von der Ergebnis- zur Zweckbestimmung sowie dessen Verwendung im Buch Levitikus der Septuaginta und in und wie es in der LXX Leviticus und in bestimmten griechischen Papyri verwendet wird, wurde von Naomi Rey, einer vielversprechenden Nachwuchswissenschaftlerin der TWU, vorgestellt, die im Rahmen ihrer Masterarbeit zu diesem Thema forscht.

Dr. Judith König, ehemalige Doktorandin von Professor Dr. Tobias Nicklas und aktuell in der Vorbereitung ihres Habilitationsprojekts, bewies dessen immense gesamtgesellschaftliche Relevanz, indem sie sich mit der Frage der sexuellen Autonomie in der Antike befasst und die Rolle der Bibel, insbesondere neutestamentlicher Texte, im Kontext der sexuellen Autonomie von Frauen untersucht. Diesem Projekt wurde das Potenzial attestiert, das gesamte Feld der neutestamentlichen Forschung zu verändern: Die Bibel wurde und werde immer noch benutzt, um großes Unheil anzurichten und zu rechtfertigen – eine text- und historisch-kritische Erforschung der Bibel könne daher nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn letztendlich käme Wissenschaftler*innen auch eine gewisse Verantwortung zu.

Mit der Präsentation des Dissertationsthemas von Kyle Parsons, ebenfalls TWU/Karls-Universität, folgten die Teilnehmer*nnen der Spur negativer Reputationen im frühen Christentum, etwa am Beispiel der Rezeption des Todes des Judas, der ganz unterschiedlich gelesen werden könne, als negative oder tragische Figur.

Tagungswand: Gründe für die große Bedeutung weiterer Forschung am Neuen Testament. Fotos: Charlotte von Schelling/Beyond Canon_

"Warum erforschen wir heute immer noch das Neue Testament?"

Die übergreifende Frage des Workshops bildete jedoch die nach der Relevanz der Erforschung bzw. der Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments in der Gegenwart: Als von entscheidender Bedeutung angesehen wurden die lehrende Funktion von Mythen in Bezug auf die Fähigkeit des „Menschseins“ sowie die Offenbarung über uns als menschliche Wesen. Die kritische Auseinandersetzung mit Texten, von denen potenzielle Gefahren ausgehen könne, gehe einer mit Verantwortung, Schadensbegrenzung und der Chance, Schaden rückgängig zu machen. Geschichte zu verstehen durch Texte, deren Kontext immer mitgedacht werden muss, könne moralische und ethische Orientierung bieten, Resilienz gegen Ideologien lehren und gesellschaftliche Emanzipation trainieren. Veränderungen mit der Kompetenz, Fragen zu stellen zu begegnen, könne eventuell einen Weg darstellen, Frieden zu ermöglichen.

Wie immer bot auch dieser Austausch zwischen internationalen Nachwuchswissenschaftler*nnen verschiedener Hintergründe mit den betreuenden Professoren eine ideale Gelegenheit des Austauschs über die eigenen disziplinären Grenzen hinaus; die während dieses Seminars geknüpften Beziehungen werden zukünftige intensivere Forschung entstehen lassen.

Informationen/Kontakt

Zur DFG-Kolleg-Forschunsgruppe / Centre for Advanced Studies Beyond Canon_ (FOR 2770)

UR - Universität Regensburg
Universitätsstraße 31
D-93053 Regensburg

Ansprechpartnerin für Medien:

Charlotte von Schelling, Charlotte.Von-Schelling@ur.de

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