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Mitteilungen der Universität Regensburg

Forschung unterstützen, Kindern helfen

Von Bubbles bis Virtual Reality: Doktorand:innen und Early Career Researcher der UR suchen jugendliche Studienteilnehmer:innen 


22. November 2022

Ist das Gesicht auf dem Bildschirm neutral oder traurig? Wirklich klar ist nur die Mundpartie zu sehen. Mia überlegt ein wenig, tippt aufs M der Tastatur, das für „traurig“ steht. Weitere Bilder folgen, auch hier sind einzelne Gesichtspartien deutlicher zu sehen als andere. Mia empfindet die nächsten drei Gesichter als „neutral“ – dafür steht das Y. Klick-klick-klick. Viele Gesichter wandern über den Laptop, die 14-jährige Schülerin ordnet sie weiter zu. Später wird sie noch einen Fragebogen ausfüllen. Mia nimmt am „Bubble-Experiment“ teil, das Psycholog:innen hilft, herauszufinden, welche Informationen Menschen benötigen, um ihre Gefühle zu erkennen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in wissenschaftliche Studien ein, die Hinweise auf Erkrankungen wie Selbstverletzung, Anorexie oder Depressionen geben und Ärzt:innen und Therapeut:innen im klinischen Alltag unterstützen.

Wer kann bei welchen Studien mitmachen? Das hängt von Forschungsgegenstand und der Fragestellung ab. In der Regel sollten Studienteilnehmer:innen zwischen 11 und 21 Jahre alt sein. Meist sind die Studien für gesunde ebenso wie erkrankte Jugendliche offen. Auch das inhaltliche Spektrum ist breit. Beim „Bubble-Experiment“ etwa wollen die Forschenden mehr über selbstverletzendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen lernen. Viele psychische Erkrankungen nehmen zu. „Wir haben gerade wieder mehrere Notaufnahmen auf Station“, sagt Professor Dr. Romuald Brunner, Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Fakultät für Medizin der Universität Regensburg. Der Wissenschaftler ist auch Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Regensburg, einer Kooperationsklinik der medbo – der medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz. 180.000 Kinder leben in der Oberpfalz, drei bis fünf Notfälle nimmt diese Klinik täglich auf.

Das Team (v. l.): Leitende Oberärztin Dr. Stephanie Kandsperger, Prof. Dr. Romuald Brunner, Alexandra Otto, Dr. Irina Jarvers, Angelika Ecker und Daniel Schleicher. Fotos: twa/UR

Mit der leitenden Oberärztin Dr. Stephanie Kandsperger erörtert Professor Dr. Romuald Brunner auf dem Weg zur Lehrstuhlbesprechung noch kurz, wie die Dinge geregelt werden konnten, denn die Station ist voll. „2021 waren es in der ambulanten Versorgung etwa 10.000 Kontakte“, sagt Romuald Brunner. „3500 Kinder und Jugendliche wurden als neue Patient:innen aufgenommen.“ Ihre Versorgung profitiert von der Nähe zu universitärer Forschung und Lehre, dessen ist der Mediziner sicher. Suizidalität und nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten, Borderline-Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter, dissoziative Störungen sowie Angststörungen und depressive Störungen gehören zu seinem Forschungsspektrum. Stress-, Emotions- und Präventionsforschung sind Schwerpunktbereiche am Lehrstuhl.

Forschung und Therapie – Hand in Hand

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen des Lehrstuhls begeistern sich sichtlich für die Forschung und kombinieren sie mit ersten klinisch-therapeutischen Erfahrungen. Alexandra Otto (l.), wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin, führt das „Bubble-Experiment“ durch. Dafür sucht sie aktuell sowohl gesunde Mädchen als auch Mädchen mit selbstverletzendem Verhalten zwischen 12 und 21 Jahren. Im Bubble-Experiment besteht die Aufgabe darin, verschiedene Gefühle anhand einzelner Gesichtsmerkmale, etwa einem Teil des Auges oder des Mundes, zu erkennen. Die aufgedeckten Bereiche werden „Bubbles“ genannt und enthalten die für das Erkennen von Gefühlen relevanten Informationen. Zusätzlich untersucht Alexandra Otto in Zusammenarbeit mit Doktorandin Franziska Schroter vom Lehrstuhl für Sportwissenschaften dissoziative Symptome bei Jugendlichen. Beim Rubber-Hand-Illusionsexperiment etwa ist die Verbindung von Gefühlen und Körperwahrnehmung Untersuchungsgegenstand. Auch hier werden gesunde Jugendliche im Alter von 12 bis 21 Jahren gesucht.

Hinweise aus Studien fließen in der Klinik direkt auch in die multiprofessionellen Teams, die neben Ärzt:innen, Psycholog:innen, pädagogischen und pflegerischen Fachkräften eine Vielzahl von Fachtherapeut:innen (Ergotherapie, Logopädie, Motopädagogik, Musiktherapie, Kunsttherapie) sowie außerklinische Expert:innen integrieren. Wer krisenbedingt Beratung braucht, kann sich über die Pforte jederzeit in der Klinik melden. Einrichtung und Flure sind bunt und fröhlich - Giraffe und Zebra lächeln von den Wänden, im Aufenthaltsraum steht ein Kickertisch. Es gibt Hängematten, Sitzsäcke, eine Kletterhöhle und persönliche Spinde für Geld und Handys der Patient:innen. Eine gemütliche Küche lädt zu gemeinsamem Kochen und Essen ein.

Das Spektrum der jungen Patient:innen, die hier Hilfe suchen und bekommen, reicht von Vorschulkindern bis Jugendlichen im Alter von 17 Jahren. Die sogenannten Störungsbilder seien extrem heterogen, erklärt Romuald Brunner, die kognitiven Voraussetzungen sind es ebenfalls. Sie reichen von starken Einschränkungen bis Hochbegabung. All das will in Betracht gezogen sein, wenn Patient:innen geholfen werden soll. Zudem spielt bei der Behandlung junger Patient:innen das persönliche Umfeld eine wesentliche Rolle: die Familie, die Schule, die sozialen Kontakte.

Neue Technologien nutzen

Angelika Ecker und Daniel Schleicher widmen sich in ihren Studien unter anderem dem Thema Schule und analysieren das Zusammenspiel von Anstrengung, Entspannung und Hormonen bei gesunden Kindern und Jugendlichen. An dieser Studie der beiden Doktorand:innen mitwirken können Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren. Die Teilnehmenden dürfen in kurzen Rollenspielen oder im Virtual-Reality-Studio in verschiedene Situationen eintauchen, etwa, wie sie an der Schule vorkommen. Die dadurch erzeugte Anstrengung – wenn man ein Referat halten soll, zum Beispiel – lässt sich unter anderem mit einer Eye-Tracking-Brille nachvollziehen. Außerdem führen die beiden Doktorand:innen Interviews zum Erlebten. Für das alltägliche Wohlbefinden wird dann noch eine Smartphone-App, die Entspannungsübungen bereithält, ausprobiert. Die beiden Doktorand:innen möchten moderne Technologien stärker in der Forschung mit Kindern und Jugendlichen nutzen und langfristig weiter entwickeln.

Zur Früherkennung von depressiven Erkrankungen im Jugendalter arbeitet Angelika Ecker an einem einfach zugänglichen Chatbot, an den sich Kinder und Jugendliche, die Hilfe suchen, unproblematisch und jederzeit wenden können sollen. Dieses Vorhaben ist wie verschiedene andere Projekte des Lehrstuhls interdisziplinär. In diesem Fall arbeitet man mit Professor Dr. Bernd Ludwig (Informationslinguistik an der Universität Regensburg) zusammen. 

Alexithymie - ein Risikofaktor

Risikofaktoren für psychische Erkrankungen sind vielfältig. Einer ist die sogenannte Alexithymie, oft auch „Gefühlsblindheit“ genannt: Von ihr spricht man, wenn Menschen sich schwer damit tun, eigene Emotionen zu erkennen und zu beschreiben, nicht (mehr) registrieren, wenn sie traurig, müde oder erschöpft sind. Denn Gefühle und Körperwahrnehmung sind eng miteinander verbunden. Alexithymie spielt beispielsweise bei Selbstverletzung eine Rolle oder auch bei Anorexia Nervosa, „Magersucht“, an der hauptsächlich Mädchen leiden und die oft chronisch verläuft. Dazu forscht Dr. Irina Jarvers, Postdoc und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl. „Zu den Ursachen für diese Krankheit, gehören neben vielfältigen anderen Risikofaktoren extreme Vergleiche der betroffenen Mädchen mit vermeintlichen Schönheitsidealen auf Sozialen Medien“, berichtet die junge Wissenschaftlerin.

Irina Jarvers erhebt Daten in dieser Studie über Interviews und Befragungen, in einem zweiten Schritt zusätzlich mit bildgebenden Verfahren, der Magnetresonanztomografie (MRT). Denn Gewichtsabnahme und Mangelernährung wirken sich auch auf das Gehirn aus. Mädchen zwischen 11 und 19 Jahren, mit oder ohne Anorexia Nervosa, können an ihrer Studie teilnehmen. Irina Jarvers führt mit ihnen diagnostische Gespräche, bittet sie darum, Fragebögen zum Essverhalten auszufüllen und macht ein (medizinisch unbedenkliches) MRT des Kopfes.

Ziel ihrer Studie ist es, die körperlichen Auswirkungen von Gewichtsabnahme und Mangelernährung auf das Gehirn besser verstehen und Patient:innen besser behandeln zu können. COVID-19 hat auch hier Spuren hinterlassen: „In einigen Kliniken gibt es seit 2021 einen siebzigprozentigen Anstieg von Anorexie-Fällen“, berichtet die Early Career Wissenschaftlerin, die auch auf dem Feld der Kleinkindforschung tätig ist. Auch bei den Jüngsten hat die Pandemie Spuren hinterlassen –Irina Jarvers fand heraus, dass Kinder, die in den Shutdowns Notbetreuung nutzen konnten und damit mehr soziale Kontakte hatten, besser durch diese Phase der Corona-Zeit kamen als Kinder, deren Kitas geschlossen waren.

twa.

Informationen/Kontakt

Der UR-Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie lädt interessierte Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern ein, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen, die Forschung damit zu unterstützen und das Wissen um Risikofaktoren, Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten psychischer Erkrankungen zu erweitern. Wer 18 Jahre alt ist, darf allein kommen, bei Minderjährigen müssen die Eltern dabei sein und ihre Zustimmung zur Teilnahme schriftlich erklären. Für die jungen Studienteilnehmer:innen gibt es das Taschengeld aufbessernde Einkaufsgutscheine als Aufwandsentschädigung.
Hinweise zu den aktuellen Studien, Teilnahmevoraussetzungen und E-Mail-Adressen sowie Telefonnummern für Rückfragen sind in den jeweiligen Studien-Flyern zu finden.

Zum Lehrstuhl von Prof. Dr. Romuald Brunner und den Publikationen des Lehrstuhls

Zur Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie der Universität Regensburg am medbo Bezirksklinikum Regensburg

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